Klage gegen Bedingungen indirekter Privatisierung der Luftfahrtgesellschaft TAP
Die Associação Peço a Palavra ist ein gemeinnütziger Verein portugiesischen Rechts, der sich gegen das Reprivatisierungsverfahren der Luftfahrtgesellschaft TAP wendet. Dieser Verein erhob zusammen mit vier Privatpersonen vor dem Obersten portugiesischen Verwaltungsgericht Klage, um das von der portugiesischen Regierung im Rahmen dieses Reprivatisierungsverfahrens im Januar 2015 beschlossene Lastenheft für nichtig erklären zu lassen. Das Verfahren der indirekten Reprivatisierung des Gesellschaftskapitals von TAP sollte unter anderem durch den sogenannten Referenzdirektverkauf von Anteilen erfolgen, die bis zu 61% des Gesellschaftskapitals der TAP SGPS SA (der Holding, die das Kapital von TAP hielt) darstellten.
Portugiesisches Vorlagegericht: Privatisierungsbedingungen mit EU-Recht vereinbar?
Der Verein und die Privatpersonen machten geltend, dass einige der in diesem Lastenheft enthaltenen Bedingungen gegen die im AEUV verbürgten Freiheiten der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs verstießen. Das Oberste Verwaltungsgericht rief den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren an, um Fragen nach der Unionsrechtskonformität dieser Bedingungen vorzulegen. Diese Bedingungen bestehen in der Fähigkeit, Gemeinwohlverpflichtungen zu erfüllen, der Verpflichtung, den Sitz und die tatsächliche Leitung der Gesellschaft in Portugal zu belassen und der Verpflichtung, die derzeitige nationale Operationsbasis (hub) zu erhalten und zu entwickeln.
EuGH: Verpflichtung zur Einhaltung von Gemeinwohlverpflichtungen nicht zu beanstanden
Laut EuGH steht die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) den ersten beiden Bedingungen nicht entgegen. In Bezug auf erste Bedingung weist er darauf hin, dass sich diese Anforderung auf die Fähigkeit beziehe, die TAP obliegenden Gemeinwohlverpflichtungen zu gewährleisten, gegebenenfalls einschließlich hinsichtlich der Flugverbindungen zwischen den wichtigsten Flughäfen im Inland und in den autonomen Regionen, sowie die Kontinuität und die Stärkung der Strecken sicherzustellen, die die autonomen Regionen, die im Ausland ansässigen portugiesischen Gemeinschaften und die Länder und Gemeinschaften bedienten, in denen Portugiesisch gesprochen werde oder Amtssprache sei. Der EuGH hebt hervor, dass Portugal in der Vergangenheit den Luftfahrtunternehmen, die die regelmäßigen Flugverbindungen zwischen Portugal und seinen autonomen Regionen – so die in äußerster Randlage befindliche Inselgruppe der Azoren oder die Insel Madeira – bedienten, Gemeinwohlverpflichtungen auferlegt habe, deren Vereinbarkeit mit der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 über die Durchführung von Luftverkehrsdiensten nicht in Frage gestellt worden sei.
Prüfungsmaßstab allein Luftverkehrsdiensteverordnung, nicht Art. 49 AEUV
Da diese Verordnung eine abschließende Harmonisierung in der Union im Bereich von Gemeinwohlverpflichtungen auf dem Gebiet der Luftverkehrsdienste vorgenommen habe, sei jede in diesem Bereich erlassene nationale Maßnahme anhand dieser Harmonisierungsmaßnahme und nicht anhand des Primärrechts zu prüfen. Der Gerichtshof weist darauf hin, dass nach der Verordnung ein Mitgliedstaat Gemeinwohlverpflichtungen nur auf bestimmten Strecken in der Union, unter anderem zwischen einem Flughafen in der Union und einem Flughafen, der ein Randgebiet seines Hoheitsgebiets bediene, auferlegen könne. Soweit das Lastenheft nur verlange, dass der am Ende des fraglichen Reprivatisierungsverfahrens ausgewählte neue Anteilseigner etwaige Gemeinwohlverpflichtungen einhält, die TAP im Einklang mit den in der Verordnung vorgeschriebenen materiellen und verfahrensrechtlichen Anforderungen auferlegt worden seien, sei diese nationale Maßnahme daher mit dem Unionsrecht vereinbar, ohne dass sie anhand des Primärrechts, insbesondere am Maßstab der Niederlassungsfreiheit, zu prüfen sei.
Verpflichtung hinsichtlich Verbleib des Sitzes und tatsächlicher Leitung in Portugal beschränkt Niederlassungsfreiheit
Dem EuGH zufolge sind die Verpflichtungen in Bezug auf den Verbleib des Sitzes und der tatsächlichen Leitung in Portugal sowie den Erhalt und die Entwicklung der derzeitigen nationalen Operationsbasis (hub) hingegen am Maßstab der Niederlassungsfreiheit zu prüfen, da sie nicht einem durch die Verordnung harmonisierten Bereich zuzuordnen seien. Diese Anforderungen beschränkten auch die Niederlassungsfreiheit, da sie die Ausübung dieser Freiheit insofern behindern oder weniger attraktiv machten, als sie für den Erwerber Beschränkungen der Entscheidungsfreiheit mit sich brächten, über die die Organe von TAP SGPS normalerweise verfügten.
Anbindung portugiesischsprachiger Drittländer rechtfertigt Verpflichtung
Die Verpflichtung, den Sitz und die tatsächliche Leitung der Gesellschaft in Portugal zu belassen, sei aber gerechtfertigt. Das Erfordernis der Gewährleistung einer Dienstleistung von allgemeinem Interesse, die ein ausreichendes Maß an regelmäßigen Luftverkehrsdiensten nach und aus portugiesischsprachigen Drittländern, zu denen Portugal besondere historische, kulturelle und soziale Beziehungen unterhalte (wie Angola, Mosambik oder Brasilien), stelle einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses dar. Die Anforderung in Bezug auf den Verbleib des Sitzes und der tatsächlichen Leitung der Gesellschaft in Portugal sei im Hinblick auf diesen zwingenden Grund des Allgemeininteresses verhältnismäßig, da dieser Verbleib unabdingbar sei, um die Luftverkehrsrechte beizubehalten, die aufgrund von bilateralen Abkommen zwischen diesem Mitgliedstaat und den genannten Drittländern eingeräumt seien. Vorbehaltlich einer Prüfung durch das Oberste Verwaltungsgericht würden in diesen Abkommen nämlich die Verkehrsrechte, die TAP für Flugverbindungen in diese Länder habe, von der Voraussetzung abhängig gemacht, dass der Hauptgeschäftssitz von TAP in Portugal verbleibt. Die Verlegung des Sitzes in ein anderes Land könnte zudem zu einem Verlust der Gültigkeit der Betriebsgenehmigung und des Luftverkehrsbetreiberzeugnisses führen, die TAP von der zuständigen portugiesischen Behörde erteilt worden seien. Dies würde die Durchführung aller regelmäßigen Luftverkehrsdienste, einschließlich derjenigen nach und aus den betreffenden portugiesischsprachigen Drittländern, die einen wesentlichen Teil der Tätigkeiten von TAP darstellten, verhindern. Die Angemessenheit dieser Anforderung werde außerdem dadurch untermauert, dass sie der Gründung von Zweitniederlassungen durch TAP wie Zweigstellen oder Tochtergesellschaften außerhalb Portugals nicht entgegensteht.
Verpflichtung zu Erhalt und Entwicklung der nationalen Operationsbasis (hub) unverhältnismäßig
Nach Ansicht des EuGH stellt dagegen die Anforderung an den Erwerber der Beteiligung, den Erhalt und die Entwicklung der derzeitigen nationalen Operationsbasis (hub) sicherzustellen, eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar. Denn diese Anforderung gehe über das hinaus, was erforderlich sei, um das angestrebte Ziel der Anbindung der betreffenden portugiesischsprachigen Drittländer zu erreichen.