EuGH: Ausschluss vom subsidiären Schutz wegen "schwerer Straftat" nur nach umfassender Einzelfallprüfung

Eine Person darf nicht allein aufgrund des nach nationalem Recht vorgesehenen Strafmaßes wegen der Begehung "einer schweren Straftat" von der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen werden. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 13.09.2018 in einem Vorlagefall aus Ungarn entschieden. Vielmehr müsse die Schwere der Straftat anhand einer umfassenden Prüfung der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden (Az.: C-369/17).

Afghane verlor Flüchtlingsstatus nach Schutzantrag an afghanisches Konsulat  

Im Jahr 2000 wurde der Ausgangskläger, ein afghanischer Staatsangehöriger, wegen der Verfolgung, der er in seinem Herkunftsstaat ausgesetzt war, in Ungarn als Flüchtling anerkannt. Im Rahmen eines später in Ungarn gegen ihn eingeleiteten Strafverfahrens ersuchte er darum, das Konsulat von Afghanistan vollständig über seine Lage zu unterrichten. Da sich aus dem Antrag auf Schutz, den der Ausgangskläger von sich aus an seinen Herkunftsstaat gerichtet hatte, der Schluss ableiten lasse, dass die Verfolgungsgefahr weggefallen war, erkannten ihm die ungarischen Behörden im Jahr 2014 den Flüchtlingsstatus ab.

Anschließend begehrter subsidiärer Schutz wegen "schwerer Straftat" abgelehnt

Der Ausgangskläger stellte erneut einen Antrag auf Anerkennung als Flüchtling und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. 2016 wiesen die ungarischen Behörden den Antrag zurück, sprachen jedoch zugleich ein Abschiebungsverbot aus. Insbesondere könne dem Ausgangskläger kein subsidiärer Schutz gewährt werden, da ein Ausschlussgrund im Sinne des ungarischen Asylgesetzes vorliege, mit dem die Flüchtlings-Richtlinie der Union 2011/95/EU umgesetzt worden sei: die Begehung einer "schweren Straftat", die nach ungarischem Recht mit einer Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren bedroht sei.

Ausgangskläger rügte fehlende Abwägungsmöglichkeit in ungarischer Regelung

Der Ausgangskläger focht die ablehnende Entscheidung vor den ungarischen Gerichten an und machte geltend, dass die nationale Regelung den mit ihrer Anwendung betrauten Verwaltungsorganen und den mit der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidungen betrauten Gerichten jede Möglichkeit zur Abwägung entziehe, obwohl die in der Richtlinie verwendete Formulierung "eine schwere Straftat begangen hat" impliziere, dass alle Umstände des betreffenden Einzelfalls zu würdigen seien.

Ungarisches Vorlagegericht: Bestimmung der Schwere der Straftat allein nach vorgesehenem Strafmaß zulässig?

Das ungarische Vorlagegericht bat den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren, diese Formulierung als Grund für den Ausschluss von der Gewährung subsidiären Schutzes auszulegen. Insbesondere wollte es geklärt wissen, ob die Schwere der Straftat ausschließlich anhand des nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats für eine bestimmte Straftat vorgesehenen Strafmaßes bestimmt werden kann.

EuGH: Erfordernis umfassender Einzelfallprüfung auf Ausschluss vom subsidiären Schutz zu übertragen

Der EuGH hat entschieden, dass es unionsrechtswidrig ist, allein aufgrund des nach nationalem Recht vorgesehenen Strafmaßes die Begehung "einer schweren Straftat" anzunehmen und einer Person deshalb subsidiären Schutz zu verweigern. Der EuGH verweist auf seine Rechtsprechung, wonach jeder Entscheidung, eine Person von der Anerkennung als Flüchtling auszuschließen, eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des Einzelfalls vorausgehen müsse. Dieses Erfordernis sei auf Entscheidungen über den Ausschluss vom subsidiären Schutz zu übertragen.

Schwere der Straftat anhand sämtlicher Einzelfallumstände zu beurteilen

Nach Ansicht des EuGH kommt dem Kriterium des in den nationalen strafrechtlichen Vorschriften vorgesehenen Strafmaßes deshalb zwar eine besondere Bedeutung bei der Beurteilung der Schwere der Straftat zu, die den Ausschluss vom subsidiären Schutz rechtfertige. Die zuständige nationale Behörde dürfe sich gleichwohl erst dann auf den Ausschlussgrund berufen, wenn sie im jeweiligen Einzelfall die ihr bekannten tatsächlichen Umstände gewürdigt habe, um zu ermitteln, ob schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass die Handlungen des Betreffenden, der im Übrigen die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erfülle, unter diesen Ausschlusstatbestand fallen.

EuGH, Urteil vom 13.09.2018 - C-369/17

Redaktion beck-aktuell, 13. September 2018.