Fluggast biss anderen Passagier und attackierte Crew
Im Ausgangsrechtsstreit verlangt ein Fluggast von der portugiesischen Airline TAP eine Ausgleichzahlung, weil er erst mit einer erheblichen Verspätung von fast 24 Stunden an seinem Endziel in Oslo ankam. Die Arline weigert sich, den geforderten Ausgleich zu zahlen und beruft sich auf einen "außergewöhnlichen Umstand". Ursächlich für die Verspätung sei ein ausrastender Fluggast auf einem vorangegangenen Flug gewesen, der einen anderen Passagier gebissen und weitere Fluggäste sowie das Kabinenpersonal angegriffen habe. Das Flugzeug habe deshalb umgeleitet und der Fluggast von Bord gebracht werden müssen. Nach der Fluggastrechte-Verordnung sei siedeshalb von der Ausgleichsverpflichtung befreit.
EuGH: "Außergewöhnlicher Umstand" möglich
Das portugiesische Vorlagegericht bezweifelte, dass sich die Airline in diesem Fall auf einen "außergewöhnlichen Umstand" berufen kann und ob sie alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat. Es rief daher den EuGH zur Auslegung der Fluggastrechte-Verordnung an. Der EuGH hat entschieden, dass ein "außergewöhnlicher Umstand" in diesem Fall vorliegen kann. Solche Umstände setzten voraus, dass sie nicht Teil des normalen Flugbetriebs und von der Airline nicht beherrschbar seien. Ein "außergewöhnlicher Umstand" könne insbesondere bei Sicherheitsrisiken eintreten. Ein Sicherheitsrisiko habe der ausrastende Fluggast begründet. Ein solches Verhalten gehöre auch nicht zum normalen Flugbetrieb. Eine Airline könne ein solches Verhalten ferner grundsätzlich nicht beherrschen. Denn Verhalten und Reaktionen des Fluggastes seien unvorhersehbar. Zudem besäßen der Kommandant und die Besatzung an Bord nur begrenzte Mittel, um ein solches Verhalten zu beherrschen.
Kein "außergewöhnlicher Umstand" bei frühen Anzeichen für Verhaltensstörung
Ein "außergewöhnlicher Umstand“ sei aber ausgeschlossen, wenn die Airline zum Verhalten des Fluggastes beigetragen habe. Dasselbe gelte, wenn es für das störende Verhalten Anzeichen gegeben habe und die Airline durch angemessenes Eingreifen bedeutsame Auswirkungen auf den Flug hätte vermeiden können. Dies könne insbesondere dann der Fall sein, wenn die Airline einen Fluggast habe an Bord gehen lassen, der bereits Verhaltensstörungen gezeigt habe, als oder bevor er an Bord gegangen sei.
Ausraster muss für Verspätung des späteren Fluges kausal sein
Damit sich die Airline auf die Verhaltensstörung des Fluggastes als "außergewöhnlichen Umstand" berufen könne, müsse zudem ein unmittelbarer ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Verhalten und der Verspätung oder Annullierung des späteren Fluges bestehen. Dies müsse das nationale Gericht prüfen. Dabei müsse es insbesondere den Betriebsmodus des eingesetzten Flugzeugs beurteilen.
Airline muss Ersatzflüge anbieten – auch anderer Fluggesellschaften
Der EuGH unterstreicht außerdem, dass die Airline "alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel" einsetzen müsse, um eine „zumutbare, zufriedenstellende und frühestmögliche anderweitige Beförderung“ sicherzustellen. Dazu müsse die Airline auch andere direkte oder indirekte Flüge suchen, und zwar auch solche anderer Fluggesellschaften, selbst wenn diese nicht der derselben Fluggesellschaftsallianz angehörten, sollte die Flugverspätung dadurch geringer ausfallen. Daher genüge es nicht, wenn die Airline nur den nächsten von ihr selbst durchgeführten Flug anbiete, der am Tag nach dem ursprünglich vorgesehenen Ankunftstag am Ziel ankomme. Etwas anderes gelte aber dann, wenn auf einem anderen direkten oder indirekten Flug mit weniger Verspätung kein Platz frei sei oder die anderweitige Beförderung für die Airline angesichts ihrer Kapazitäten zum maßgeblichen Zeitpunkt ein untragbares Opfer bedeute.