EuGH: Auch private Unternehmen dürfen Ascheurnen aufbewahren

Die italienische Regelung, die es privaten Unternehmen verbietet, die Aufbewahrung von Ascheurnen anzubieten, widerspricht dem Unionsrecht. Sie stelle eine ungerechtfertigte Beschränkung der unionsrechtlich garantierten Niederlassungsfreiheit dar, so der Gerichtshof der Europäischen Union (Urteil vom 14.11.2018, Az.: C-342/17, BeckRS 2018, 28332).

Urnenaufbewahrungsdienst außerhalb des Friedhofs

Memoria, eine Gesellschaft nach italienischem Recht, bietet den Angehörigen der Verstorbenen, die eingeäschert wurden, einen Urnenaufbewahrungsdienst an, der es ihnen ermöglicht, es zu vermeiden, die Urnen bei sich zu Hause oder auf einem Friedhof aufzubewahren. Die zur Urnenaufbewahrung genutzten Orte bieten ästhetisch ansprechende, ruhige und geschützte Räumlichkeiten, die für die Andacht, das Gebet und das Andenken an die Verstorbenen besonders geeignet sind.

Gemeindeverordnung untersagt Aufbewahrung durch gewerblichen Dienstleister

Antonia Dall’Antonia beabsichtigt, die Leiche ihres Ehemanns einäschern zu lassen und die Urne mit seiner Asche in einer dieser Räumlichkeiten aufzubewahren. Mit einer Entscheidung aus dem Jahr 2015 änderte die italienische Gemeinde Padua ihre Gemeindeverordnung über Bestattungsdienste, die es Empfängern einer Ascheurne seither ausdrücklich untersagt, private gewerbliche Dienste, die von gemeindlichen Bestattungsdiensten unabhängig sind, in Anspruch zu nehmen, um die Urnen außerhalb ihres Hauses aufzubewahren.

Italienisches Gericht befragt EuGH zu Vereinbarkeit mit Niederlassungsfreiheit

Memoria und Frau Dall’Antonia erhoben beim Verwaltungsgericht für die Region Venetien, Italien, Klage, um die Aufhebung dieser Entscheidung zu erwirken. In diesem Zusammenhang möchte das Gericht vom Gerichtshof wissen, ob der in Art. 49 AEUV verankerte Grundsatz der Niederlassungsfreiheit einer Regelung wie der von der Gemeinde Padua erlassenen entgegensteht.

Vorabentscheidungsersuchen trotz innerstaatlichen Charakters zulässig

Der EuGH stellte zunächst klar, dass das Vorabentscheidungsersuchen zulässig ist, auch wenn es sich um einen Rechtsstreit mit rein innerstaatlichem Charakter handelt. Das italienische Recht, dass dem Verwaltungsgericht für die Region Venetien zufolge im vorliegenden Fall anzuwenden ist, sehe vor, dass "Vorschriften des italienischen Rechts, die im Vergleich zu den durch die italienische Rechtsordnung garantierten Bedingungen für Unionsangehörige und zu deren Behandlung diskriminierende Wirkungen haben, … auf italienische Staatsangehörige nicht anwendbar" sind.

Dienstleistungsrichtlinie nicht anwendbar

Der EuGH betonte sodann, dass die von der Gemeinde Padua erlassene Regelung zur Folge hat, den städtischen Urnenaufbewahrungsdiensten ein Monopol einzuräumen. Da die Dienstleistungsrichtlinie (RL 2006/123/EG) nicht die Abschaffung von Dienstleistungsmonopolen betreffe und somit nicht anwendbar sei, sei die Frage allein anhand der Bestimmungen des Vertrags, insbesondere anhand des Art. 49 AEUV, der die Niederlassungsfreiheit garantiert, zu prüfen.

Regelung nicht gerechtfertigt

Eine nationale Regelung, die es den EU-Angehörigen verbietet, einen Urnenaufbewahrungsdienst in einem Mitgliedstaat anzubieten, begründet nach Auffassung des EuGH eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit im Sinne des Art. 49 AEUV. Diese Beschränkung sei auch nicht durch die von der italienischen Regierung geltend gemachten zwingenden Gründe des Allgemeininteresses am Schutz der öffentlichen Gesundheit, am Erfordernis, die gebührende Achtung des Andenkens an die Verstorbenen sicherzustellen, und am Schutz der in Italien vorherrschenden moralischen und religiösen Werte, die den mit der Aufbewahrung der Asche verbundenen geschäftlichen und gesellschaftlichen Tätigkeiten und daher der Aufbewahrung der sterblichen Überreste mit Gewinnerzielungsabsicht angeblich entgegenstehen, gerechtfertigt.

Sterbliche Überreste durch Hitze steril

Was den Schutz der öffentlichen Gesundheit betrifft, wies der EuGH darauf hin, dass die Asche, anders als die sterblichen Überreste, vom biologischen Gesichtspunkt aus inert sei, da sie durch die Hitze steril werde, sodass ihre Aufbewahrung keine auf Erwägungen der öffentlichen Gesundheit beruhende Verpflichtung darstellen könne.

Achtung des Andenkens nicht in Gefahr

In Bezug auf den Schutz der gebührenden Achtung des Andenkens an die Verstorbenen geht die in Rede stehende nationale Regelung nach Ansicht des Gerichtshofs über das hinaus, was zur Erreichung eines solchen Ziels erforderlich ist. Es gebe nämlich weniger einschränkende Maßnahmen, um dieses Ziel genauso gut zu erreichen, wie insbesondere die Pflicht, die Urnenaufbewahrung unter gleichen Bedingungen wie auf den Friedhöfen der Gemeinde sicherzustellen und im Fall der Beendigung der Geschäftstätigkeit die Urnen auf einen öffentlichen Friedhof zu bringen oder sie den Angehörigen des Verstorbenen zurückzugeben.

Gewinnerzielungsabsicht kann in moralisch akzeptierte Bahnen gelenkt werden

Was die in Italien vorherrschenden moralischen und religiösen Werte angehe (die einer Aufbewahrung der sterblichen Überreste mit Gewinnerzielungsabsicht angeblich entgegenstehen), so unterliege die Aufbewahrung der Asche von Verstorbenen in Italien Gebühren, die von den Behörden festgelegt werden. Die Öffnung dieser Art von Tätigkeit für private Unternehmen könnte derselben gebührenrechtlichen Regelung unterstellt werden, die Italien für sich genommen offenbar nicht als seinen moralischen und religiösen Werten widersprechend ansehe.

EuGH, Urteil vom 14.11.2018 - C-342/17

Redaktion beck-aktuell, 14. November 2018.