EuG: Klage mangels anwaltlicher Vertretung unzulässig
Im Rahmen eines Forschungsprogramms hatte die Exekutivagentur für die Forschung (REA) mit der Universität Wrocław eine Finanzhilfevereinbarung geschlossen. Da die Universität sich nicht an die Bestimmungen der Vereinbarung hielt, kündigte die REA die Vereinbarung und forderte Mittel zurück. Dem kam die Universität nach. Sie erhob daraufhin Klage beim Gericht der Europäischen Union und beantragte unter anderem, die Entscheidungen der REA, mit der diese die Finanzhilfevereinbarung gekündigt und einen Teil der entsprechenden Fördermittel zurückgefordert hatte, für nichtig zu erklären. Das Gericht wies die Klage als offensichtlich unzulässig ab, weil der Rechtsberater, von dem sich die Universität vertreten lies, durch einen Lehrvertrag an diese gebunden war. Dagegen legten die Universität Wrocław und die Republik Polen Rechtsmittel ein.
EuGH: Voraussetzungen für Vertretung vor Unionsgerichten
Der EuGH führt aus, dass Art. 19 der Satzung in Bezug auf die Vertretung einer nicht in den ersten beiden Absätzen dieses Artikels genannten Partei in Klageverfahren vor den Unionsgerichten zwei unterschiedliche Voraussetzungen enthält, die kumulativ erfüllt sein müssen: Erstens müsse eine solche Partei vor den Unionsgerichten durch einen "Anwalt" vertreten sein. Zweitens müsse der diese Partei vertretende Anwalt berechtigt sein, vor einem Gericht eines Mitgliedstaats oder eines anderen Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) aufzutreten. Die zweite Voraussetzung erfülle der Rechtsberater der Universität Wrocław. Zu klären sei, ob auch die erste Voraussetzung erfüllt sei.
Anwaltsbegriff autonom auszulegen – Anwalt muss unabhängig sein
Laut EuGH ist der Begriff "Anwalt" im Sinn von Art. 19 der Satzung autonom und einheitlich auszulegen. Dabei seien nicht nur der Wortlaut dieser Vorschrift, sondern auch ihr Zusammenhang und ihr Ziel zu berücksichtigen. Gemäß dem Wortlaut dieses Artikels dürfe eine nicht in den ersten beiden Absätzen dieses Artikels genannte "Partei" nicht selbst vor einem Unionsgericht auftreten, sondern müsse sich eines Anwalts bedienen, während die in den ersten beiden Absätzen genannten Parteien durch einen Bevollmächtigten vertreten werden könnten. Das Ziel der Vertretung durch einen Anwalt gemäß Art. 19 der Satzung bestehe vor allem darin, in völliger Unabhängigkeit und unter Beachtung der Berufs- und Standesregeln die Interessen des Mandanten bestmöglich zu schützen und zu verteidigen.
Nicht jede Verbindung zwischen Anwalt und Mandant schließt Unabhängigkeit aus
Der Begriff der Unabhängigkeit des Anwalts im spezifischen Kontext von Art. 19 der Satzung sei nicht nur negativ, also durch das Fehlen eines Beschäftigungsverhältnisses, sondern auch positiv, das heißt unter Bezugnahme auf die berufsständischen Pflichten, zu definieren, erläutert der EuGH weiter. In diesem Zusammenhang sei die dem Rechtsanwalt obliegende Pflicht zur Unabhängigkeit nicht als das Fehlen jeglicher Verbindung mit seinem Mandanten zu verstehen, sondern als das Fehlen von Verbindungen, die offensichtlich seine Fähigkeit beeinträchtigten, seiner Aufgabe nachzukommen, die in der Verteidigung seines Mandanten durch den bestmöglichen Schutz von dessen Interessen bestehe.
Keine Unabhängigkeit bei Führungs- oder hochrangiger Leitungsfunktion
Laut EuGH ist ein Anwalt dann nicht hinreichend unabhängig von der durch ihn vertretenen juristischen Person, wenn er über erhebliche administrative und finanzielle Befugnisse innerhalb dieser juristischen Person verfügt, wodurch er deren höherer Führungsebene zuzurechnen ist. Er sei dann nicht als unabhängiger Dritter anzusehen, wenn er eine hochrangige Leitungsfunktion innerhalb der von ihm vertretenen juristischen Person ausübe oder wenn er Aktien der von ihm vertretenen Gesellschaft besitze und Vorsitzender ihres Verwaltungsrats sei.
Lehrvertrag beeinträchtigt Unabhängigkeit nicht
Nach Ansicht des EuGH kann diesen Konstellationen jedoch der Fall, dass der Rechtsberater die Verteidigung der Interessen der Universität Wrocław nicht im Rahmen eines Über-/Unterordnungsverhältnisses zu dieser wahrgenommen habe und zudem auch lediglich durch einen Lehrvertrag an die Universität gebunden gewesen sei, diesen Fallgestaltungen nicht gleichgestellt werden. Eine solche Verbindung genüge nicht, um anzunehmen, dass der Rechtsberater sich in einer Situation befunden hätte, die seine Fähigkeit, die Interessen seines Mandanten bestmöglich und völlig unabhängig zu vertreten, offensichtlich beeinträchtigen würde.