Anrechnung im Ausland entrichteter Steuern bei Rückforderung rechtswidriger Beihilfe kann rechtens sein

Der Europäische Gerichtshof hat zur Besteuerung von Gesellschaften in Gibraltar entschieden, dass die nationalen Behörden, die mit der Rückforderung einer als rechtswidrig eingestuften Beihilfe betraut sind, zur Verhinderung einer Doppelbesteuerung eine nationale Vorschrift anwenden können, die einen Mechanismus zur Anrechnung der von einem Beihilfe-Empfänger im Ausland entrichteten Steuern auf die von ihm in Gibraltar geschuldeten Steuern vorsieht.

Nach Kommissionsbeschluss: Gibraltar ermöglicht rückwirkende Besteuerung von Nutzungsentgelten

Im Anschluss an ein förmliches Prüfverfahren hinsichtlich des Körperschaftsteuersystems in Gibraltar entschied die Europäische Kommission mit Beschluss 2019/700, dass die von 2011 bis 2013 bestehende steuerliche Ausnahmeregelung für passives Einkommen aus Zinsen und Nutzungsentgelten bestimmten Kategorien von Unternehmen einen selektiven Vorteil verschafft und damit eine rechtswidrige Beihilfe darstellt, die gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht mit dem Binnenmarkt vereinbar ist. Um diesem Beschluss Folge zu leisten, änderte Gibraltar seine nationalen Vorschriften dahin, dass die rückwirkende Besteuerung von Nutzungsentgelten, die zwischen 2011 und 2013 eingenommen wurden, ermöglicht wurde.

Streit um Steuerermäßigung hinsichtlich im Ausland entrichteter Steuern

Die Fossil (Gibraltar) Limited ist eine Gesellschaft mit Sitz in Gibraltar, die zu 100% von der US-amerikanischen Fossil Group Inc. gehalten wird. . Die Fossil (Gibraltar) Limited war weder von der Untersuchung der Kommission noch von ihrem Beschluss direkt betroffen, obwohl sie bis zu diesem Zeitpunkt von einer Steuerbefreiung ihrer Nutzungsentgelte profitierte, die im Übrigen in den Vereinigten Staaten einer Steuer in Höhe von 35 % unterlagen, welche von der Fossil Group Inc. entrichtet wurde. Diese Gesellschaft kam also in den Genuss einer Befreiung nach dem  Einkommen-/Körperschaftsteuergesetz, das hinsichtlich im Ausland entrichteter Steuern eine Steuerermäßigung vorsieht. Im Anschluss an den Beschluss der Kommission und nach Rückfrage bei der Kommission in dieser Sache verweigerte der Kommissar für Einkommen-/Körperschaftsteuer jedoch die Gewährung dieser Steuerbefreiung. 

Einkommensteuergericht Gibraltar wendet sich an EuGH

Das Einkommensteuergericht Gibraltar, bei dem die Fossil (Gibraltar) Limited Klage einreichte, hat entschieden, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH Fragen zu den Auswirkungen des Kommissionsbeschlusses vorzulegen. Konkret möchte es wissen, ob dieser Beschluss den Kommissar davon abhält, auf der Grundlage von nationalen Gesetzen und Regelungen, die nicht Gegenstand der Untersuchung der diesem Beschluss zugrunde liegenden staatlichen Beihilfen durch die Kommission waren, eine Steuerermäßigung zu gewähren.

EuGH segnet Anrechnung im Ausland entrichteter Steuern ab

Der EuGH hat entschieden, dass der Beschluss der Kommission dem nicht entgegensteht, dass die nationalen Behörden, die mit der Rückforderung einer rechtswidrigen und mit dem Binnenmarkt unvereinbaren Beihilfe vom Empfänger betraut sind, eine nationale Vorschrift anwenden, die einen Mechanismus zur Anrechnung der von diesem Empfänger im Ausland entrichteten Steuern auf die von ihm in Gibraltar geschuldeten Steuern vorsieht, wenn diese Vorschrift zu dem Zeitpunkt, zu dem die fraglichen Transaktionen durchgeführt wurden, anwendbar war.

Ermäßigung zurückzuzahlenden Betrags rechtens?

Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass ausgehend von der Prämisse, dass der entsprechende Abschnitt im Einkommen-/Körperschaftsteuergesetz im Ausgangsverfahren anwendbar ist, zu prüfen ist, ob die Gewährung einer Ermäßigung des Betrags der von Fossil (Gibraltar) zurückzufordernden Beihilfe auf der Grundlage dieser Bestimmung geeignet ist, die wirksame Durchführung der im Beschluss enthaltenen Rückforderungsanordnung zu beeinträchtigen.

Beschluss als solcher steht Ermäßigung nicht im Weg

Der Gerichtshof stellt als erstes klar, dass der Beschluss 2019/700 als solcher der Gewährung der beantragten Ermäßigung nicht entgegensteht. Denn der Beschluss lege den zuständigen nationalen Behörden zwar die Rückforderung der Steuer auf, die ohne die Befreiung für passives Einkommen aus Zinsen und Nutzungsentgelten zu erheben gewesen wäre. Er äußere sich aber nicht zur Möglichkeit, nach den Gesetzen von Gibraltar vorgesehene Abzüge und Ermäßigungen geltend zu machen, die bei der Berechnung der geschuldeten Steuer anwendbar gewesen wären.

Wirksamkeit des Kommissionsbeschlusses nicht von vorneherein beeinträchtigt

Als zweites erinnert der EuGH daran, dass der betreffende Mitgliedstaat alle erforderlichen Maßnahmen zur Gewährleistung der Wirksamkeit des Beschlusses der Kommission treffen sollte, mit dem die Rückforderung einer mit dem Binnenmarkt unvereinbaren Beihilfe angeordnet wird. Dieses Erfordernis beeinträchtige nicht von vornherein die Anwendung eines Mechanismus wie des im Einkommen-/Körperschaftsteuergesetz vorgesehenen, das es erlaubt, zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ein und desselben Einkommens im Hinblick auf eine Steuer, die von einer natürlichen oder juristischen Person in einem Staat oder in einem Gebiet entrichtet wurde, in dem das Einkommen erzielt oder bezogen wurde, eine Ermäßigung zu gewähren.

EuGH verweist auf Steuerautonomie der Mitgliedstaaten

Als drittes weist der Gerichtshof darauf hin, dass außerhalb der Bereiche, in denen das Steuerrecht der Union harmonisiert wurde, die Bestimmung der grundlegenden Merkmale jeder Steuer aufgrund der Steuerautonomie der Mitgliedstaaten in deren Ermessen liegt, das in jedem Fall im Einklang mit dem Unionsrecht ausgeübt werden muss. Eine Maßnahme wie die im Einkommen-/Körperschaftsteuergesetz vorgesehene, die Doppelbesteuerungen dadurch vermeiden will, dass sie einen Mechanismus der Anrechnung der von einem Steuerpflichtigen im Ausland gezahlten Steuern auf die in Gibraltar geschuldeten Steuern vorsieht, falle grundsätzlich unter die Steuerautonomie der Mitgliedstaaten und könne nicht als verbotene staatliche Beihilfe eingestuft werden. Etwas anderes gelte nur, wenn nachgewiesen werde, dass sie auf diskriminierenden Parametern beruht.

EuGH, Urteil vom 15.09.2022 - C-705/20

Redaktion beck-aktuell, 15. September 2022.