EuGH: Von EU-Kommission angeordneter Verzicht auf Rückforderung rechtswidriger Beihilfe ist nichtig

Der Europäische Gerichtshof hat in zweiter Instanz die Entscheidung der EU-Kommission, von der Anordnung der Rückforderung rechtswidriger Beihilfen abzusehen, die von Italien mittels Befreiung von der kommunalen Immobiliensteuer gewährt wurden, für nichtig erklärt. Das Gemeinschaftsgericht begründete dies damit, dass der Erlass einer Anordnung, rechtswidrige Beihilfen zurückzufordern, die logische und normale Folge der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit sei. Daher seien unmittelbar betroffene Wettbewerber von Empfängern staatlicher Beihilfen berechtigt, die Unionsgerichte anzurufen, um die Nichtigerklärung einer solchen Entscheidung zu beantragen (Urteil vom 06.11.2018, Az.: C-622/16 P und C-624/16 P).

Streit um Befreiung von kommunaler Immobliensteuer

Die EU-Kommission hatte im Dezember 2012 festgestellt, dass die Befreiung von der kommunalen Immobiliensteuer (Importa comunale sugli immobili, im Folgenden: ICI), die Italien nicht-gewerblichen (etwa kirchlichen oder religiösen) Einrichtungen gewährt hatte, die in den ihnen gehörenden Immobilien bestimmte Tätigkeiten (zum Beispiel Lehrtätigkeiten oder Beherbergung) ausübten, eine rechtswidrige staatliche Beihilfe darstellt. Gleichwohl ordnete die Kommission nicht deren Rückforderung an, da sie diese für absolut unmöglich hielt. Außerdem vertrat die Kommission die Auffassung, dass die in der neuen italienischen Regelung der einheitlichen Kommunalsteuer (Importa municipale unica, im Folgenden: IMU) vorgesehene Steuerbefreiung, die in Italien seit dem 01.01.2012 gilt, keine staatliche Beihilfe darstelle.

Montessorischule und Gastronom gehen gegen Kommissionsbeschluss vor

Die private Lehranstalt Scuola Elementare Maria Montessori (im Folgenden: Montessori) und Pietro Ferracci, Eigentümer einer Frühstückspension, beantragten beim Gericht der Europäischen Union, den Beschluss der Kommission für nichtig zu erklären. Sie machten insbesondere geltend, der Beschluss habe sie in eine nachteilige Wettbewerbssituation gegenüber in unmittelbarer Nähe ansässigen kirchlichen oder religiösen Einrichtungen versetzt, die den ihrigen ähnliche Tätigkeiten ausübten und von den fraglichen Steuerbefreiungen profitieren könnten. Die Kommission wandte ein, dass weder Montessori noch Ferracci die in Art. 263 AEUV vorgesehenen Voraussetzungen für die Anrufung der Unionsgerichte erfüllten.

Klagen in der Berufung erfolgreich

Während die das EuG die Klagen für zulässig erklärte, sie aber als unbegründet abwies (BeckEuRS 2016, 487326 und BeckRS 2016, 82330), hat der EuGH im Berufungsverfahren die Nichtanordnung der Rückforderung der rechtswidrigen Beihilfen für nichtig erklärt. Dabei prüfte er erstmals die Frage der Zulässigkeit – auf der Grundlage von Art. 263 Abs. 4 dritte Variante AEUV – von Klagen, die Wettbewerber von Begünstigten einer Beihilferegelung unmittelbar gegen einen Beschluss der Kommission erheben, mit dem festgestellt wird, dass die fragliche nationale Regelung keine staatliche Beihilfe darstelle beziehungsweise dass die aufgrund einer rechtswidrigen Regelung gewährten Beihilfen nicht zurückgefordert werden könnten.

EuGH bejaht Zulässigkeit wegen "Rechtsaktes mit Verordnungscharakter"

Der Gerichtshof stellte dabei fest, dass ein solcher Beschluss ein "Rechtsakt mit Verordnungscharakter" ist, das heißt ein Rechtsakt ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung, der im vorliegenden Fall Montessori und Pietro Ferracci unmittelbar betrifft und ihnen gegenüber keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht. Daraus folgerte der Gerichtshof, dass die Klagen von Montessori und Pietro Ferracci gegen den Beschluss der Kommission zulässig sind.

Unmöglichkeit der Rückzahlung nur unter zwei Voraussetzungen anzunehmen

In der Sache weist der Gerichtshof darauf hin, dass der Erlass einer Anordnung, rechtswidrige Beihilfen zurückzufordern, die logische und normale Folge der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit ist. Die Kommission könne zwar nicht die Rückforderung einer Beihilfe verlangen, wenn sie damit gegen einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts wie den, dass niemand zu etwas Unmöglichem verpflichtet ist, verstößt. Der EuGH betont jedoch, dass eine Rückforderung rechtswidriger Beihilfen nur dann als objektiv und absolut unmöglich zu verwirklichen angesehen werden könne, wenn die Kommission nach einer eingehenden Prüfung feststellt, dass zwei Voraussetzungen erfüllt sind. Das sind laut EuGH zum einen, dass die vom betroffenen Mitgliedstaat geltend gemachten Schwierigkeiten tatsächlich vorliegen, und zum anderen, dass andere Wege der Rückforderung fehlen.

Absolute Unmöglichkeit der Rückforderung nicht dargetan

Im vorliegenden Fall durfte die Kommission daher laut EuGH nicht mit dem bloßen Verweis auf die Unmöglichkeit, aus den italienischen Kataster- und Steuerdatenbanken die für die Rückforderung der rechtswidrigen Beihilfen erforderlichen Informationen zu gewinnen, zu dem Ergebnis gelangen, dass die Rückforderung dieser Beihilfen absolut unmöglich sei, sondern hätte darüber hinaus prüfen müssen, ob es andere Wege gab, die eine wenigstens teilweise Rückforderung der Beihilfen ermöglicht hätten. Mangels einer solchen Prüfung habe die Kommission nicht die absolute Unmöglichkeit der Rückforderung der Beihilfen dargetan. Aus diesem Grund hob der Gerichtshof das Urteil des Gerichts auf, soweit darin die Entscheidung der Kommission, die Rückforderung der mittels Befreiung von der ICI gewährten rechtswidrigen Beihilfen nicht anzuordnen, bestätigt wurde, und erklärt infolgedessen diese Entscheidung der Kommission für nichtig.

Kein Rechtsfehler der Vorinstanz bezüglich der Befreiung von der IMU

Darüber hinaus vertrat der Gerichtshof der Auffassung, dass dem EuG kein Rechtsfehler unterlaufen ist, als es entschied, dass die Befreiung von der IMU, die sich nicht auf entgeltlich erbrachte Lehrtätigkeiten erstrecke, nicht für wirtschaftliche Tätigkeiten gelte und somit nicht als staatliche Beihilfe angesehen werden könne. Insoweit erinnerte der EuGH an seine Rechtsprechung (vgl. EuGH, in BeckRS 2017, 114378), wonach Befreiungen von Immobiliensteuern verbotene staatliche Beihilfen darstellen können, wenn und soweit es sich bei den Tätigkeiten, die in den fraglichen Räumlichkeiten ausgeübt werden, um wirtschaftliche Tätigkeiten handelt.


EuGH, Urteil vom 06.11.2018 - C-622/16

Redaktion beck-aktuell, 7. November 2018.

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