Sachverhalt
Den niederländischen Behörden zufolge beschafften A, B, C und D Mittel für die “Liberation Tigers of Tamil Eelam“ (Befreiungstiger von Tamil Eelam, LTTE). Dies ist eine Organisation, die einen Bürgerkrieg gegen die sri-lankische Regierung geführt hat, um im Norden und Osten von Sri Lanka einen unabhängigen Staat für das tamilische Volk zu errichten, und die von der Europäischen Union während eines Zeitraums von ungefähr zehn Jahren als "terroristisch" eingestuft wurde. Nach den niederländischen Vorschriften zur Umsetzung der Resolution 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen stuften die niederländischen Behörden A, B, C und D als Personen ein, gegen die restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zur Anwendung kommen. Dies hatte zur Folge, dass ihre finanziellen Ressourcen eingefroren wurden. In diesem Rahmen stuften die niederländischen Behörden die LTTE als terroristische Vereinigung ein.
Kläger: Handlungen der LTTE waren keine terroristischen Handlungen
Diese Entscheidung erging unter Berücksichtigung einer Durchführungsverordnung des Rates der Union aus dem Jahr 2010, die die LTTE auf einer Liste von Vereinigungen beließ, die an terroristischen Handlungen beteiligt sind und gegen die restriktive Maßnahmen zur Anwendung kommen. Mit ihrer Klage vor den niederländischen Gerichten machten A, B, C und D geltend, dass diese Verordnung ungültig sei, weil die Handlungen der LTTE keine terroristischen Handlungen seien. Die LTTE seien vielmehr nicht staatliche Streitkräfte, die an einem nicht internationalen bewaffneten Konflikt in Sri Lanka beteiligt gewesen seien. Folglich finde auf ihre Handlungen allein das humanitäre Völkerrecht Anwendung und nicht die EU-Regelungen oder internationale Regelungen zur Bekämpfung des Terrorismus.
Niederländisches Gericht teilte Zweifel an Einstufung als terroristische Aktivitäten
Die Europäische Union habe somit Anschläge und Entführungen, die die LTTE in der Zeit von 2005 bis 2009 verübt hätten, fälschlicherweise als “terroristische Handlungen“ angesehen. Der in letzter Instanz angerufene Raad van State (niederländischer Staatsrat) befragt den Gerichtshof zur Definition des Begriffs “terroristische Handlungen“. Er möchte insbesondere wissen, ob mögliche Abweichungen zwischen dieser Definition im Unionsrecht und im Völkerrecht Auswirkungen auf die Gültigkeit der fraglichen Verordnung haben können. Nach der Auffassung des Raad van State besteht nämlich international Einvernehmen darüber, dass die Aktivitäten der Streitkräfte bei bewaffneten Konflikten im Sinne des humanitären Völkerrechts nicht als terroristische Aktivitäten anzusehen seien.
EuGH: Völkerrechtlicher Streitkräfteeinsatz und “terroristische Handlungen“ schließen sich nicht aus
Der Europäische Gerichtshof hat jetzt entschieden, dass die Aktivitäten der Streitkräfte bei bewaffneten Konflikten im Sinne des humanitären Völkerrechts gleichzeitig “terroristische Handlungen“ im Sinn des Unionsrechts darstellen können. Grundsätzlich sei eine Verordnung, die restriktive Maßnahmen vorsehe im Licht des historischen Kontexts auszulegen. Die streitige Durchführungsverordnung diene der Umsetzung der Resolution 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, die nach den am 11.09.2001 in den Vereinigten Staaten verübten Terroranschlägen verabschiedet wurde. Sie sei hauptsächlich darauf gerichtet, terroristische Handlungen durch den Erlass von Maßnahmen zum Einfrieren von Geldern zu verhüten, um die Finanzierung von Personen oder Organisationen zu verhindern, die terroristische Handlungen begehen könnten. Die Bestimmung der Personen und Organisationen, die in die Liste aufzunehmen sind, stelle in diesem Zusammenhang keine Sanktion dar, sondern eine präventive Maßnahme.
Völkerrechtliche und unionsrechtliche Ziele unterschiedlich
Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass das Völkergewohnheitsrecht einer Einstufung der Aktivitäten der Streitkräfte bei bewaffneten Konflikten als “terroristische Handlungen“ nicht entgegensteht. Das humanitäre Völkerrecht verfolge Ziele, die sich von denen des Unionsrechts unterscheiden. Auch wenn im Übrigen bestimmte völkerrechtliche Übereinkünfte, auf die sich der Raad van State bezieht, die Aktivitäten der Streitkräfte bei bewaffneten Konflikten im Sinne des humanitären Völkerrechts von ihrem Anwendungsbereich ausnehmen, würden sie es den Vertragsstaaten nicht verbieten, bestimmte dieser Aktivitäten als terroristische Handlungen einzustufen oder die Begehung solcher Handlungen zu verhindern.