Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig bei bereits zuerkannter Flüchtlingseigenschaft

Ein Mitgliedstaat darf einen Asylantrag für unzulässig erklären, wenn dem Antragsteller von einem anderen Mitgliedstaat bereits die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist. Dies gelte auch dann, wenn der Antragsteller Vater eines minderjährigen, unbegleiteten Kindes ist, dem in dem erstgenannten Mitgliedstaat subsidiärer Schutz gewährt wurde, entschied der Europäische Gerichtshof. Allerdings müsse unter Umständen für die Aufrechterhaltung des Familienverbands gesorgt werden.

Bereits in Österreich anerkannter Flüchtling stellte Asylantrag in Belgien

Der Kläger wurde 2015 in Österreich als Flüchtling anerkannt. Anfang 2016 reiste er nach Belgien zu seinen beiden Töchtern und stellte einen Asylantrag. Die Töchter erhielten im Dezember 2016 subsidiären Schutz, eine der beiden ist minderjährig. Der Asylantrag des Klägers wurde aufgrund der belgischen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU für unzulässig erklärt, weil dem Kläger bereits in Österreich die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei. Der Kläger zog vor die belgischen Gerichte und machte geltend, die Behörden dürften nicht von der Befugnis Gebrauch machen, den klägerischen Asylantrag für unzulässig zu erklären. Dem stehe das Recht auf Achtung des Familienlebens in Art. 7 der EU-Grundrechtecharta und die in deren Art. 24 Abs. 2 vorgesehene Verpflichtung zur Berücksichtigung des Kindeswohls entgegen. Das Vorlagegericht, der belgische Staatsrat, befragte daher den EuGH nach etwaigen Ausnahmen von dieser Befugnis.

EuGH: Verfahrensrichtlinie steht Ablehnung als unzulässig grundsätzlich nicht entgegen

Laut EuGH hindert die Verfahrensrichtlinie im Licht von Art. 7 und 24 Abs. 2 der EU-Grundrechtecharta einen Mitgliedstaat nicht daran, einen Asylantrag eines bereits in einem anderen Mitgliedstaat anerkannten Flüchtlings für unzulässig zu erklären, wenn dieser Vater eines minderjährigen, unbegleiteten Kindes ist, dem in dem erstgenannten Mitgliedstaat subsidiärer Schutz gewährt worden ist. Die Mitgliedstaaten seien nicht verpflichtet zu prüfen, ob dem Antragsteller der internationale Schutz im Sinne der Anerkennungsrichtlinie zuzuerkennen ist, wenn dieser Schutz bereits in einem anderen Mitgliedstaat gewährleistet ist. Unter diesen Umständen dürften sie einen Antrag auf internationalen Schutz nur dann nicht für unzulässig erklären, wenn der Antragsteller wegen systemischer oder allgemeiner oder aber bestimmte Personengruppen betreffender Schwachstellen in diesem anderen Mitgliedstaat einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, aufgrund der Lebensumstände, die ihn dort als international Schutzberechtigten erwarten würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der EU-Grundrechtecharta zu erfahren.

Belgien muss aber wohl für Aufrechterhaltung des Familienverbands sorgen

Allerdings bleibe die Anwendung von Art. 23 Abs. 2 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU in Bezug auf die Aufrechterhaltung des Familienverbands unberührt. Die danach Familienmitgliedern der internationalen Schutz genießenden Person zu gewährenden Leistungen, etwa ein Aufenthaltsrecht, sei jedoch an drei Voraussetzungen gebunden. Diese Voraussetzungen bezögen sich auf die Eigenschaft als Familienangehöriger im Sinne dieser Richtlinie, den Umstand, dass für diesen Angehörigen selbst die Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes nicht erfüllt seien, und auf die Vereinbarkeit mit der persönlichen Rechtsstellung des betreffenden Familienangehörigen. Die ersten beiden Voraussetzungen sieht der EuGH im vorliegenden Fall als erfüllt an. Auch die dritte Voraussetzung, bei der zu prüfen sei, ob der Familienangehörige nicht bereits Anspruch auf eine bessere Behandlung habe als die, die sich aus diesen Leistungen ergebe, bejaht der EuGH vorbehaltlich einer Überprüfung durch das Vorlagegericht.

EuGH, Urteil vom 22.02.2022 - C-483/20

Redaktion beck-aktuell, 22. Februar 2022.