Mit seinem Urteil (vom 05.09.2024 – C-109/23 – Jemerak) schafft der EuGH wichtige Rechtssicherheit für die notarielle Praxis. Bisher bestand für Notare das Risiko, bei Vornahme von Beurkundungen mit russischen Beteiligten gegen die strafbewehrten EU-Sanktionen zu verstoßen. Hätten sie eine Beurkundung aber ungerechtfertigt abgelehnt, hätten sie einen Amtspflichtverstoß begangen, weil Notare nicht ohne Grund eine Beurkundung ablehnen dürfen (§ 15 Abs. 1 S. 1 BNotO).
Nun besteht Klarheit darüber, was unter verbotener Rechtsberatungsdienstleistung zu verstehen ist. Über den entschiedenen Fall hinaus lassen die grundsätzlichen Ausführungen in der Begründung des EuGH zum hoheitlichen Charakter notarieller Tätigkeit auch jüngere Urteile aus Luxemburg in einem anderen Licht erscheinen.
Berliner Notar lehnte Beurkundung ab
Dem Vorlageverfahren lag der geplante Verkauf einer Berliner Eigentumswohnung zugrunde, die ein in Russland ansässiges Unternehmen an zwei natürliche Personen verkaufen wollte. Der Berliner Notar lehnte die Beurkundung des Kaufvertrags mit der Begründung ab, dass die Beurkundung möglicherweise gegen das Rechtsberatungsdienstleistungsverbot aus Art. 5n Abs. 2 der VO über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (VO (EU) Nr. 833/2014), verstoße. Die Regelung verbietet es u.a., Rechtsberatungsdienstleistungen für die Regierung Russlands oder für juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen mit Sitz in Russland zu erbringen.
Das für die dagegen eingereichte Beschwerde zuständige LG Berlin fragte den EuGH nach der Reichweite des Verbots. In seinem Vorlagebeschluss vertrat das LG die Auffassung, dass die notarielle Beurkundung mangels Dienstleistungscharakters nicht verboten sei.
Das EuGH-Verfahren stieß – aufgrund seiner Relevanz für andere Mitgliedstaaten sowie seiner allgemeinpolitischen Bedeutung – auf erhebliches Interesse. Insbesondere Deutschland, Estland, Finnland, die Niederlande und Polen beteiligten sich an dem Verfahren. Auch der Rat nahm an der mündlichen Verhandlung teil. Die Mitgliedstaaten vertraten ganz unterschiedliche Auffassungen. Deutschland und – obwohl ohne Notariatswesen – Finnland betrachteten die notarielle Tätigkeit schon nicht als Dienstleistung. Die übrigen Mitgliedstaaten sahen das anders. Vor allem Estland sprach sich für eine extensive Auslegung des Sanktionsregimes aus, um die russische Wirtschaft möglichst hart zu treffen.
EuGH: Notare sind keine Dienstleister
Nun steht fest, dass der Berliner Notar die Beurkundung zu Unrecht ablehnte. Der EuGH urteilt, dass unter "Dienstleistung im Bereich der Rechtsberatung" im Sinne der VO (EU) 833/2014 eine wirtschaftliche Rechtsberatungstätigkeit für einen Mandanten mit dem Ziel zu verstehen sei, dessen spezifische Interessen zu fördern. Gemeint ist also die parteigebundene Interessenvertretung. Diese soll von dem Rechtsberatungsdienstleistungsverbot umfasst sein, um russischen Unternehmen die Fortsetzung ihrer Geschäftstätigkeit innerhalb der EU zu erschweren und die Umgehung der Russlandsanktionen zu verhindern.
Davon deutlich zu unterscheiden seien Tätigkeiten von Behörden oder anderen Einrichtungen zur Wahrnehmung einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe, wenn diese mit bestimmten, den Bürgern und Bürgerinnen gegenüber verbindlichen Befugnissen ausgestattet seien, so der EuGH.
Das treffe auf Notare in Deutschland bei der Beurkundung eines Kaufvertrags zu. Die Mitwirkung des Notars als unabhängiger Träger eines öffentlichen Amtes sei dabei zwingend vorgesehen, um die Rechtmäßigkeit des Kaufvertrages zu gewährleisten. Das sei eine vom Staat übertragene Aufgabe, die dieser sonst durch seine Behörden selbst erledigen müsste. Verbindliche Befugnisse seien damit verbunden, weil Notare die Beurkundung – und damit die Wirksamkeit des Kaufvertrags – aus gesetzlichen Gründen verweigern könnten. Notare förderten zudem nicht allein das Privatinteresse der Parteien, sondern gewährleisteten in völliger Unabhängigkeit und Unparteilichkeit das "Interesse des Gesetzes und der Rechtssicherheit". Eine solche Tätigkeit könne keine "Dienstleistung" sein.
Das liegt genau auf der Linie der Rechtsprechung des BVerfG, wonach die notarielle Beurkundung eine mit hoheitlichen Mitteln zu erfüllende hoheitliche Aufgabe ist (siehe nur BVerfG, Beschluss vom 19. 6. 2012 - 1 BvR 3017/09). Hätte der Staat diese originären staatlichen Aufgaben nicht auf die Notare übertragen, würden diese unmittelbar von staatlichen Behörden oder staatlichen Gerichten ausgeführt. Dabei stehe der Notar nach den von ihm zu erfüllenden Aufgaben der vorsorgenden Rechtspflege dem Richter nahe. Für das BVerfG folgt dies – wie nun für den EuGH – vor allem daraus, dass der Notar auch gegen den übereinstimmenden Willen der Beteiligten verbindlich über die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit von Rechtsgeschäften entscheidet.
Einheitliche Auswirkungen des Sanktionsrechts in der gesamten EU
Für den EuGH ist ein weiterer Aspekt entscheidend: Wenn die notarielle Beurkundung unter die Russlandsanktionen fiele, hätte Art. 5n Abs. 2 VO (EU) 833/2014 unterschiedliche Auswirkungen im Binnenmarkt.
In den Mitgliedstaaten, wo der Immobilienkauf ohne Notar möglich ist, könnten russische Unternehmen Immobilientransaktionen weiterhin durchführen. In den Mitgliedstaaten, wo die notarielle Mitwirkung erforderlich ist, hingegen faktisch nicht mehr. Eine solche, sich aus dem jeweiligen Notariatssystem ergebende "Wirkungsvielfalt des Verbots" habe der Unionsgesetzgeber nicht gewollt. Ein faktisches Verbot von Immobilientransaktionen widerspräche zudem der Systematik der Sanktionsverordnungen VO (EU) 269/2014 und (EU) 833/2014. Denn die VO (EU) 833/2014 und die in ihr enthaltenen Verbote nur bestimmter Tätigkeiten dürfen über eine zu weite Auslegung und Anwendung auf Notare nicht faktisch zu einem umfassenden Investitions- und Transaktionsverbot werden, wie es die VO (EU) 269/2014 eigentlich nur für sanktionierte Personen vorsieht.
Erbringen Notare keine Rechtsberatung?
Wegen der Schlussanträge der Generalanwältin Laila Medina vom 11. April 2024 ist das EuGH-Urteil in einem Punkt zu präzisieren, und zwar in Bezug auf die Erbringung von Rechtsberatung durch Notare. Die Generalanwältin meint offenbar, dass deutsche Notare per se keine Rechtsberatung erbrächten; der Notar begutachte nicht die Vor- und Nachteile des Vorgangs für die Parteien rechtlich, vielmehr seien es die Beteiligten, die sich auf die in der Urkunde enthaltenen Vertragsbedingungen einigten.
Das aber entspricht nicht den Beratungspflichten des Notars nach § 17 BeurkG. Haben die Beteiligten zwar bestimmte Vorstellungen über das mit dem zu beurkundenden Vertrag zu erreichende Ziel, nicht aber über die rechtliche Form, um dieses Ziel zu erreichen, und belehrt der Notar über die bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten, hat er die Parteien laut dem BGH bei der Auswahl einer interessengerechten und rechtlich zuverlässigen Lösung zu beraten. Das entspricht der Praxis, in der die Beteiligten dem Notar ihr Ziel schildern, dieser sie zu den Gestaltungsoptionen berät und die daraufhin erfolgende Einigung in der Niederschrift festhält.
Im Einklang mit den Ausführungen des EuGH ist der Unterschied zwischen (erlaubter) Rechtsberatung durch den Notar und (verbotener) Rechtsberatungsdienstleistung, dass letztere eine parteigebundene ist, erstere aber unabhängig und neutral erteilt wird und insbesondere im Gesetzesinteresse und der Rechtssicherheit erfolgt. Der Notar wird die Beteiligten so beraten, dass ihrem Interesse in diesem, ihm als öffentlichem Amtsträger gesetzten Rahmen so weit wie möglich Geltung verschafft wird.
Diese Differenzierung findet Anklang im Wortlaut des Art. 5n Abs. 2 VO (EU) 833/2014, der eben nur die "Dienstleistung im Bereich der Rechtsberatung" verbietet, aber nicht jedwede Rechtsberatung. Auch im Bereich der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung ist die "Rechtsberatung" durch Notare aus rechtsstaatlichen Gründen ausdrücklich vom sogenannten Rechtsberatungsprivileg durch das Unionsrecht umfasst.
Rechtssicherheit im Einklang mit dem Ziel der Sanktionen
Das EuGH-Urteil schafft die nötige Rechtssicherheit für die Praxis, die bislang vor dem Dilemma stand, entweder das Risiko eines strafbewehrten Sanktionsverstoßes oder einer Amtspflichtverletzung einzugehen. Auch in der Begründung seiner Entscheidung ist dem EuGH zuzustimmen. Die notarielle Beurkundung ist keine Dienstleistung im Privatinteresse der Beteiligten, sondern eine mit verbindlichen Befugnissen ausgestattete Amtstätigkeit. Das unterscheidet die notarielle Amtstätigkeit fundamental von parteigebundener Interessenvertretung, etwa durch Anwälte.
Mit dieser explizit sehr grundsätzlichen Einordnung der notariellen Amtstätigkeit bewegt sich der EuGH auf einer Linie mit der Rechtsprechung des BVerfG und bestätigt seine Piringer-Rechtsprechung (Urteil vom 09.03.2017 - C-342/15), wonach Notare zentrale Aufgaben im Bereich der vorsorgenden Rechtspflege erfüllten. Das verdeutlicht, dass zwei jüngere EuGH-Entscheidungen zur Anwendung des Wettbewerbsrechts (EuGH, Urteil vom 18.02.2024 – C-128/21, Lietuvos notar, mit Anm. Bender/Wosgien) sowie der Betriebsübergangsrichtlinie (EuGH, Urteil vom 16.11.2023 – C-583/21 u.a.) auf Notare lediglich Bedeutung für ihren jeweiligen spezifischen Regelungsbereich im Unionsrecht haben.
Die Zustimmung zu dieser EuGH-Entscheidung in dieser Anmerkung enthält ausdrücklich kein politisches Urteil über die Sinnhaftigkeit der Russlandsanktionen. Allerdings ist nur auf den ersten Blick überraschend, dass das EuGH-Urteil den Zielen der restriktiven Maßnahmen gegen Russland durchaus entspricht. Ein pauschales Verbot notarieller Beurkundungen – im Immobilien- wie auch im Gesellschaftsrecht – hätte über ein faktisches Desinvestitionsverbot die bezweckte Entkoppelung von der russischen Wirtschaft verhindert.
Der Autor Dr. Maximilian Wosgien, LL.M. (University of Virginia), ist Notar in Mannheim und war zuvor Geschäftsführer des Brüsseler Büros der Bundesnotarkammer. Er publiziert regelmäßig insbesondere zu notarrechtlichen Themen und zum Europäischen Gesellschaftsrecht.