Titandioxid-Pulver durch EU-Kommission zu Unrecht als krebserregend eingestuft

Die Europäische Kommission hat zu Unrecht 2019 das Weißpigment Titandioxid in bestimmten Pulverformen als krebserregenden Stoff eingestuft. Das Gericht der Europäischen Union erklärte die Delegierte Verordnung der Kommission aus dem Jahr 2019 für nichtig, soweit sie die harmonisierte Einstufung und Kennzeichnung von Titandioxid in bestimmten Pulverformen als karzinogener Stoff bei Einatmen betrifft. Die Kommission habe einen offensichtlichen Fehler bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit und der Anerkennung der Studie begangen, auf der die Einstufung beruhte, und gegen das Kriterium verstoßen, wonach sich diese Einstufung nur auf einen Stoff mit der intrinsischen Eigenschaft, Krebs zu erzeugen, beziehen darf.

Kommission stufte Titandioxid in Pulverform als krebserregend ein

Titandioxid ist ein Weißpigment und wird in vielen Produkten wie etwa Farben, Kunststoffen, Arzneimittel, Kosmetik oder Spielzeug verwendet. In Lebensmitteln ist Titandioxid inzwischen verboten. Das Farbpigment steht in Verdacht, krebserregend zu sein. 2019 stufte die die EU-Kommission Titandioxid auf der Grundlage einer Stellungnahme der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) als krebserregenden Stoff ein, wenn er in Pulverform mit mindestens 1% Partikel mit aerodynamischem Durchmesser von höchstens zehn μm eingeatmet wird. Titandioxid wurde damit nicht verboten, musste aber mit einem Warnhinweis versehen werden. Gegen die Einstufung erhoben verschiedene Hersteller und Händler und Anwender Nichtigkeitsklagen.

EuG: Einstufung beruht nicht auf zuverlässigen und anerkannten Untersuchungen

Das EuG hat die Einstufung für nichtig erklärt. Die Einstufung eines Stoffes als karzinogen müsse auf zuverlässigen und anerkannten Untersuchungen beruhen. Daran fehle es. Der der EU- Chemikalienagentur sei ein offensichtlicher Fehler unterlaufen, als sie die Ergebnisse der ihrer Stellungnahme zugrunde gelegten wissenschaftlichen Studie als hinreichend verlässlich, relevant und angemessen für die Bewertung des karzinogenen Potenzials von Titandioxid beurteilt habe. Denn die Schlussfolgerung der Agentur, dass eine Lungenüberlastung bei dieser Studie annehmbar gewesen sei, sei wegen eines Fehlers bei dem in ihre Berechnung eingestellten Partikeldichtewerts nicht plausibel. Die Kommission sei der EU-Chemikalienagentur gefolgt und habe so denselben offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen.

"Intrinsische Eigenschaft", Krebs zu erzeugen, fehlt

Außerdem darf laut EuG ein Stoff nur dann als krebserregend eingestuft werden, wenn er tatsächlich die "intrinsische Eigenschaft" habe, Krebs zu erzeugen. Der Begriff "intrinsische Eigenschaften" sei dahin auszulegen ist, dass er die "Eigenschaften eines Stoffes, die ihm eigen sind", bezeichnet. Dies stehe im Einklang mit den Zielen und dem Zweck der harmonisierten Einstufung und Kennzeichnung gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008. Auch daran fehle es. Denn die Gefahr der Karzinogenität bestehe nur in Verbindung mit bestimmten lungengängigen Titandioxidpartikeln, wenn sie in einem bestimmten Aggregatzustand, einer bestimmten Form, einer bestimmten Größe und einer bestimmten Menge vorhanden seien. Die Annahme einer zwar nicht klassischen intrinsischen, aber im Rahmen der harmonisierten Einstufung und Kennzeichnung gemäß der Verordnung Nr. 1272/2008 dennoch zu berücksichtigenden Toxizität sei offensichtlich fehlerhaft.

EuG, Urteil vom 23.11.2022 - T-279/20

Redaktion beck-aktuell, 23. November 2022.