Streichung eines Stromprojektes aus EU-Liste der Vorhaben von gemeinsamem Interesse

Das Gericht der Europäischen Union hat eine Klage der Aquind Gruppe gegen die Streichung einer geplanten Stromverbindungsleitung aus der Unionsliste der Vorhaben von gemeinsamem Interesse abgewiesen. Das Unionsrecht übertrage dem von dem Vorhaben betroffenen Mitgliedstaat das Ermessen, dessen Aufnahme in die Liste zu akzeptieren oder zu versagen, ohne dass sich die Kommission über eine Versagung hinwegsetzen könne. Hier hatte Frankreich die Aufnahme des Vorhabens in die Liste nicht genehmigt. 

Klage gegen Streichung aus Liste der "Vorhaben von gemeinsamem Interesse" 

Die Klägerinnen, drei Unternehmen der Aquind Gruppe, sind Vorhabenträgerinnen für eine Verbindungsleitung zwischen den Stromübertragungsnetzen des Vereinigten Königreichs und Frankreichs. Da das Vorhaben innerhalb der für die Vollendung des Energiebinnenmarkts erforderlichen Infrastrukturen als wesentlich angesehen wurde, wurde es durch die Delegierte Verordnung (EU) 2018/540 in die Liste der "Vorhaben von gemeinsamem Interesse" (PCI) der Europäischen Union aufgenommen. Mit der nachfolgenden Verordnung (EU) 2020/389 – die Liste wird alle zwei Jahre neu erstellt – wurde die Verbindungsleitung aber wieder aus dieser Liste gestrichen, nachdem Frankreich die Aufnahme des Vorhabens in die Liste nicht genehmigt hatte. Dagegen klagte die Aquind Gruppe auf Nichtigerklärung. 

EuG: Kommission kann sich nicht über Veto hinwegsetzen 

Das Gericht hat die Klage abgewiesen. Die Kommission habe ihrer Begründungspflicht für die Nichtaufnahme der Verbindungsleitung in die neue Liste genügt. Ihr Hinweis darauf, dass Frankreich die Aufnahme nicht genehmigt habe, sei ausreichend gewesen. Art. 172 Abs. 2 AEUV, wonach Leitlinien und PCI, die das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats betreffen, dessen Billigung bedürfen, übertrage nach seinem eindeutigen Wortlaut dem betroffenen Mitgliedstaat das Ermessen, die Aufnahme eines Vorhabens in die PCI-Liste zu billigen oder nicht. Das damit eingeräumte Vetorecht sei Ausdruck der Souveränität der Mitgliedstaaten. Der Kommission könne auch nicht vorgeworfen werden, von Frankreich keine Erläuterungen zu den Gründen für diese Versagung verlangt zu haben. Die Verordnung (EU) Nr. 347/2013 könne nicht dahin ausgelegt werden, dass die Kommission für eine etwaige vom Mitgliedstaat bei der Nichtgenehmigung eines Vorhabens begangene Rechtswidrigkeit haftbar gemacht werden könne und daher für die mögliche Verletzung der Begründungspflicht durch den Mitgliedstaat einstehen müsse. Ein solcher Ansatz stünde im Widerspruch zu den Vorschriften über die Kompetenzverteilung zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission. Der AEUV habe die Kompetenz der Union im Bereich der PCI der Union klar eingegrenzt, da die Kommission ein Vorhaben nicht in die PCI-Liste aufnehmen könne, das von dem Mitgliedstaat, auf dessen Hoheitsgebiet es realisiert werden solle, nicht gebilligt werde. 

Kommission darf Versagungsgründe nicht in Frage stellen 

Ferner hat sich das Gericht mit einem behaupteten Verstoß gegen Verfahrensvorschriften und materielle Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 347/20137 befasst. Insoweit stellt es fest, dass die Klägerinnen nicht nachgewiesen hätten, dass der Umstand, dass die Aquind Verbindungsleitung das unsicherste derjenigen Vorhaben gewesen sei, die für eine Aufnahme in die Unionsliste der PCI geeignet waren, die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verordnung in Frage stellen könnte. Das Gericht hebt hervor, dass die Kommission nach der Verordnung Nr. 347/20138 verpflichtet gewesen sei, den Umstand, dass Frankreich die Aufnahme der Aquind Verbindungsleitung in die Unionsliste der PCI nicht genehmigt habe, zu berücksichtigen und dass sie die Begründung, wonach dieses Vorhaben das unsicherste gewesen sei, nicht habe in Frage stellen können. Das Gericht führt weiter aus, dass nach der Verordnung (EU) Nr. 347/20139 die von einem Mitgliedstaat vorgebrachten Gründe für die Versagung zu prüfen seien, wenn ein Mitgliedstaat der betroffenen regionalen Gruppe dies verlange. Die Kommission sei somit nicht befugt gewesen, eine Prüfung der von Frankreich vorgebrachten Gründe zu verlangen, und habe mithin insoweit keinen Fehler begangen. Im vorliegenden Fall habe kein Mitgliedstaat von Frankreich verlangt, die Gründe für die Versagung zu erklären. Selbst wenn man unterstelle, die Feststellung Frankreichs (unsicherstes Vorhaben) sei auf einen Beurteilungsfehler zurückzuführen, verfügte die Kommission nicht über die Befugnis, diesen zu korrigieren. Ebenso wenig sei das Gericht befugt, diese Frage selbst zu prüfen.

EuG, Urteil vom 08.02.2023 - T-295/20

Redaktion beck-aktuell, 8. Februar 2023.