EuG reduziert Kartellbuße gegen Pharmahersteller Servier

Das Gericht der Europäischen Union hat mit Urteilen vom 12.12.2018 die von der Europäischen Kommission 2014 gegen den französischen Pharmahersteller Servier verhängte Kartellbuße von 330,99 Millionen Euro um insgesamt 102,67 Millionen Euro herabgesetzt. Die Kommission habe zu Unrecht angenommen, dass Servier eine beherrschende Stellung auf dem Markt des ACE-Hemmers Perindopril innehatte. Allerdings bestätigte das Gericht, dass Servier mit verschiedenen Generikaherstellern Patentvergleiche geschlossen habe, um den Wettbewerb einzuschränken (Az.: T-677/14, T-679/14, T-680/14, T-682/14, T-684/14, T-691/14, T-701/14 und T-705/14). 

Servier erwarb neues Patent für ACE-Hemmer Perindopril-Erbumin

Das Herz-Kreislauf-Medikament Perindopril zur Behandlung von arterieller Hypertonie und Herzinsuffizienz durch Hemmung des Angiotensin-konvertierenden Enzyms (ACE) ist eine Entwicklung des Servier-Konzerns, dessen Muttergesellschaft, die Servier SAS, in Frankreich ansässig ist. Das für das Perindopril-Molekül 1981 beim Europäischen Patentamt (EPA) angemeldete Patent lief ab 2001 in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten ab. Arzneilich wirksamer Bestandteil von Perindopril ist das Salz Erbumin. Für dieses Salz und die Verfahren seiner Herstellung meldete Servier beim EPA 2001 ein neues Patent, das Patent EP1296947, an. Es wurde 2004 erteilt. 

Servier schloss Patentvergleiche mit Generikaherstellern

Zur gütlichen Beilegung von Rechtsstreitigkeiten, in denen das Patent EP1296947 angegriffen wurde, schloss Servier mit den Generikaherstellern Niche, Unichem (Muttergesellschaft von Niche), Matrix (jetzt Mylan Laboratories), Teva, Krka und Lupin einzeln Vergleiche. Die Generikahersteller verpflichteten sich darin unter anderem dazu, nicht in den Markt einzutreten und das Patent EP1296947 nicht anzugreifen. Biogaran, eine 100%-ige Tochtergesellschaft der Servier SAS, schloss darüber hinaus eine Lizenz- und Liefervereinbarung mit Niche.

Kommission monierte Wettbewerbseinschränkungen und Missbrauch beherrschender Stellung

Im Juli 2014 erließ die Kommission einen Beschluss, in dem sie feststellte, dass die Vereinbarungen Einschränkungen des Wettbewerbs bezweckt und bewirkt hätten und dass Servier unter anderem mit den Vereinbarungen eine Ausschlussstrategie umgesetzt habe, die eine missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung darstelle. Gegen die beteiligten Gesellschaften wurden Geldbußen in Millionenhöhe verhängt, darunter gegen Servier eine Geldbuße in Höhe von 330,99 Millionen Euro.

EuG: Fast alle Vergleiche bezweckten Wettbewerbseinschränkungen

Das EuG bestätigt, dass die von Servier mit Niche, Unichem, Matrix, Teva und Lupin geschlossenen Vereinbarungen Einschränkungen des Wettbewerbs bezweckt hätten. Wie die Kommission geht auch das Gericht davon aus, dass die genannten Generikahersteller zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarungen potenzielle Wettbewerber von Servier gewesen seien. Die Feststellung der Kommission, dass sie tatsächlich konkrete Möglichkeiten gehabt hätten, mit ihren Perindopril-Generika in den Markt einzutreten, sei nicht zu beanstanden.

Zwecks Marktausschlusses geschlossene Patentvergleiche wettbewerbswidrig

Laut Gericht verstößt der Abschluss von Vergleichen zur Beilegung von Patentrechtsstreitigkeiten zwar nicht zwangsläufig gegen das Wettbewerbsrecht. Gewähre der Hersteller des Originalpräparats, der dafür ein Patent besitze, einem Generikahersteller Vorteile, um ihn dazu zu bestimmen, nicht in den Markt einzutreten und das Patent nicht anzugreifen, sei es aber nicht zu beanstanden, die betreffende Vereinbarung, auch wenn sie als Vergleich geschlossen werde, als Vereinbarung über den Ausschluss vom Markt anzusehen, mit der die verbleibenden Marktteilnehmer die ausscheidenden entschädigen. Das Gericht geht davon aus, dass der wahre Grund der Wettbewerbsbeschränkungen, die durch die Vereinbarung eingeführt würden, die Bestimmung zum Abschluss des Vergleichs durch den gewährten Vorteil sei und nicht die Anerkennung der Gültigkeit des Patents durch die Parteien des Vergleichs.

Vergleiche bildeten Vereinbarungen über Marktausschluss

Das EuG bestätigt, dass die von Servier mit Niche, Unichem, Matrix, Teva und Lupin geschlossenen Vergleiche Vereinbarungen über den Ausschluss vom Markt gewesen seien, die eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckt hätten. Die Vergleiche zeigten, auf welch vielgestaltige und komplexe Weise der Vorteil zur Bestimmung zum Abschluss des Vergleichs gewährt worden sei. Das Gericht bestätigt ferner, dass durch die zwischen Niche und Biogaran geschlossene Vereinbarung für Niche ein zusätzlicher Anreiz geschaffen werden sollte, den Vergleich mit Servier zu schließen. Die gegen Servier wegen des Vergleichs mit Matrix verhängte Geldbuße setzt das Gericht jedoch um 30% herab. Wegen des Zusammenhangs, der zwischen diesem und dem von Servier mit Niche und Unichem geschlossenen Vergleich bestehe, hätte die Kommission bei Servier gegenüber der Ermäßigung, die sie für sämtliche Vergleiche bereits wegen Überschneidungen der Zuwiderhandlungen gewährt habe, eine weitere Ermäßigung gewähren müssen. Das EuG setzt die gegen Servier wegen des Vergleichs mit Matrix verhängte Geldbuße letztlich auf 55,38 Millionen (statt 79,12 Millionen Euro) fest.

Vorteilsgewährung an Krka hingegen nicht nachgewiesen

Die gegen Servier und Krka wegen der zwischen ihnen geschlossenen Vereinbarung verhängten Geldbußen hebt das EuG hingegen auf. Es sei nicht erwiesen, dass Servier Krka einen Vorteil gewährt habe, um diese Gesellschaft dazu zu bestimmen, sich vom Markt zurückzuziehen. Insbesondere greife die Feststellung der Kommission nicht durch, dass die Gebühren, die Krka Servier im Rahmen einer Lizenzvereinbarung über das Patent EP1296947 geschuldet habe, nicht zu normalen Marktbedingungen vereinbart worden seien. Insoweit könne keine bezweckte Einschränkung des Wettbewerbs festgestellt werden. Außerdem sei nicht erwiesen, dass Krka ohne Vereinbarungen wahrscheinlich unter Risiko in die betreffenden Märkte eingetreten wäre und dass das Patent EP1296947 bei Fortführung der von Krka gegen das Patent angestrengten Rechtsstreitigkeiten wahrscheinlich, wenn nicht gewiss schneller oder in größerem Umfang für nichtig erklärt worden wäre. Auch insoweit könne keine bezweckte Einschränkung des Wettbewerbs festgestellt werden.

Keine missbräuchliche Ausnutzung beherrschender Stellung durch Servier

Laut EuG hat die Kommission zudem zu Unrecht festgestellt, dass Servier auf dem Markt für Perindopril in Frankreich, in den Niederlanden, in Polen und im Vereinigten Königreich und auf dem vorgelagerten Markt der Technologie zur Herstellung des arzneilich wirksamen Bestandteils dieses Arzneimittels eine beherrschende Stellung gehabt und diese unter Verstoß gegen Art. 102 AEUV missbräuchlich ausgenutzt habe. Das Gericht hat die gegen Servier gemäß Art. 102 AEUV verhängte Geldbuße daher aufgehoben und die mit dem Beschluss der Kommission gegen Servier verhängten Geldbußen um insgesamt 102,67 Millionen Euro herabgesetzt.

Außerpreislicher Wettbewerbsdruck durch vergleichbare Arzneimittel zu berücksichtigen

Die Kommission habe angenommen, dass der relevante Endproduktmarkt auf ein einziges Molekül der Klasse der ACE-Hemmer – Perindopril als Originalpräparat und Generikum – beschränkt gewesen sei. Das Gericht weist allerdings darauf hin, dass sich die Wettbewerbsbeziehungen im Arzneimittelsektor von den wettbewerblichen Interaktionen anderer Sektoren unterschieden. Die Nachfrage nach rezeptpflichtigen Arzneimitteln wie Perindopril werde im Wesentlichen nicht durch den Endverbraucher bestimmt, sondern durch den verschreibenden Arzt, der sich bei der Wahl des Arzneimittels, das er verschreibe, hauptsächlich von dessen therapeutischer Wirkung und weniger von den Kosten der Behandlung leiten lasse. Wegen der freien Wahl, die die Ärzte unter den auf dem Markt verfügbaren Arzneimitteln hätten, könne unter Umständen ein erheblicher Wettbewerbsdruck über die Qualität und nicht wie sonst üblich über den Preis entstehen. Wenn die verschreibenden Ärzte bei der Behandlung ein und derselben Krankheit zwischen Arzneimitteln wählen könnten, von denen keines als überlegen anerkannt sei oder angesehen werde, sei bei der Analyse des Markts auch ein etwaiger außerpreislicher Wettbewerbsdruck zu berücksichtigen.

Beschränkung des Endproduktemarktes auf Perindopril-Molekül nicht nachgewiesen

Das EuG moniert, dass der Kommission bei der Abgrenzung des relevanten Markts eine ganze Reihe von Fehlern unterlaufen sei, die auf das Ergebnis ihrer Beurteilung durchschlage. Insbesondere habe die Kommission zu Unrecht festgestellt, dass sich Perindopril unter dem Gesichtspunkt der therapeutischen Verwendung von den übrigen ACE-Hemmern unterscheide, die Bereitschaft der mit Perindopril behandelten Patienten, auf ein anderes Arzneimittel umzusteigen, unterschätzt und bei der Beurteilung des Wettbewerbsdrucks dem Faktor "Preis" eine viel zu hohe Bedeutung beigemessen. Die Kommission habe daher nicht nachgewiesen, dass der Markt der Endprodukte auf das Perindopril-Molekül beschränkt gewesen wäre. Dieses Molekül sei außerpreislichem Wettbewerbsdruck durch andere Arzneimittel derselben Therapieklasse ausgesetzt gewesen. 

EuG, Urteil vom 12.12.2018 - T-677/14

Redaktion beck-aktuell, 12. Dezember 2018.