Rat muss Zugang zu legislativen Dokumenten seiner Arbeitsgruppen gewähren

Der Rat der Europäischen Union muss Zugang zu den in seinen Arbeitsgruppen erstellten Dokumenten zum Gesetzgebungsverfahren über die Änderung der Richtlinie über den Jahresabschluss gewähren. Dies hat das Gericht der Europäischen Union entschieden und einer Nichtigkeitsklage stattgegeben. Die Vorläufigkeit der Arbeiten allein rechtfertige keine Verweigerung des Zugangs.

Zugang zu Dokumenten der Arbeitsgruppen des Rates zu Gesetzgebungsverfahren begehrt  

Die Arbeitsgruppen des Rates sind interne Gremien dieses Organs, die die Arbeiten des Ausschusses der Ständigen Vertreter (AStV) und anschließend der zuständigen ministeriellen Zusammensetzung des Rates vorbereiten. Der Kläger begehrte Zugang zu bestimmten Dokumenten, die innerhalb der Arbeitsgruppe "Gesellschaftsrecht" des Rates zum Gesetzgebungsverfahren über die Änderung der Richtlinie 2013/34/EU über den Jahresabschluss ausgetauscht worden waren. Der Rat verweigerte den Zugang zu bestimmten Dokumenten mit der Begründung, dass ihre Verbreitung den Entscheidungsprozess des Rates ernstlich beeinträchtigen würde (Ausnahme gemäß Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 VO (EG) 1049/2001). Der Kläger erhob dagegen Nichtigkeitsklage.  

EuG: Ausnahme vom Zugangsrecht gilt auch für legislative Dokumente  

Die Nichtigkeitsklage hatte Erfolg. Zwar gelte die Ausnahme in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 VO (EG) 1049/2001 entgegen der Ansicht des Klägers auch für legislative Dokumente. Der Zugang zu legislativen Dokumenten müsse zwar so umfassend wie möglich zu sein. Dies folge aus den Grundsätzen der Offenheit und der Transparenz. Dies bedeute aber nicht, dass das Primärrecht der Union ein unbedingtes Zugangsrecht vorsehe. Denn nach dem AEUV werde das Recht auf Zugang zu Dokumenten der Unionsorgane nach den durch Verordnung festgelegten allgemeinen Grundsätzen, Einschränkungen und Bedingungen ausgeübt. Nichts lasse den Schluss zu, dass die Bestimmungen des AEUV und der EU-Grundrechtecharta es grundsätzlich ausschlössen, den Zugang zu von den Arbeitsgruppen des Rates im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens erstellten Dokumenten mit der Begründung zu verweigern, dass ihre Verbreitung den Entscheidungsprozess des Rates ernstlich beeinträchtigen würde.  

Vorläufigkeit der Erörterungen rechtfertigt keine Verweigerung des Zugangs  

Allerdings trügen die vom Rat angeführten Gründe nicht die Annahme, dass die Verbreitung der streitigen Dokumente das betreffende Gesetzgebungsverfahren konkret, tatsächlich und nicht hypothetisch ernstlich beeinträchtigen würde. Dass die Erörterungen im Rahmen der Arbeitsgruppe des Rates über den fraglichen Gesetzgebungsvorschlag vorläufig seien, könne die Anwendung der Ausnahme zum Schutz des Entscheidungsprozesses nicht rechtfertigen. Denn diese Ausnahme unterscheide nicht nach dem Stand der Erörterungen, sondern erfasse allgemein Dokumente, die sich auf eine Angelegenheit beziehen, in der das betreffende Organ "noch keinen Beschluss gefasst hat". Einer Person, die einen Antrag auf Zugang zu legislativen Dokumenten im Rahmen eines laufenden Verfahrens stelle, sei vollkommen bewusst, dass die darin enthaltenen Informationen im Lauf der Erörterungen im Rahmen der Vorarbeiten der Arbeitsgruppe bis zur Erzielung einer Einigung über den gesamten Text geändert werden. Der Kläger habe gerade bezweckt, die von den Mitgliedstaaten im Rat zum Ausdruck gebrachten Standpunkte in Erfahrung zu bringen, um eine Diskussion über sie auszulösen, bevor der Rat seinen Standpunkt im fraglichen Gesetzgebungsverfahren festlegt.  

Kein über das übliche Maß hinausgehender öffentlicher Druck auf Rat zu erwarten  

Im Übrigen habe der Rat auch nicht nachgewiesen, dass der Zugang zu den streitigen Dokumenten für die loyale Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten nachteilig gewesen wäre. In einem System, das auf dem Grundsatz der demokratischen Legitimität beruhe, müssten sich die Mitgesetzgeber für ihre Handlungen gegenüber der Öffentlichkeit verantworten und setze die Ausübung der demokratischen Rechte durch die Bürger die Möglichkeit voraus, den Entscheidungsprozess innerhalb der an den Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe im Einzelnen zu verfolgen und Zugang zu sämtlichen einschlägigen Informationen zu erhalten. Im vorliegenden Fall deute nichts darauf hin, dass der Rat bei verständiger Betrachtung Druck von außen oder eine Reaktion zu befürchten hätte, die über das hinausginge, was ein beliebiges Mitglied eines Gesetzgebungsorgans, das einen Änderungsvorschlag zu einem Gesetzentwurf vorlege, von der Öffentlichkeit erwarten könne.

Redaktion beck-aktuell, 25. Januar 2023.