Genehmigung für Schaffung neuer Kapazität zwischen Ungarn und Österreich
Im Jahr 2015 begannen die FGSZ Földgázszállító Zrt. (FGSZ), die ungarische Gasfernleitungsnetzbetreiberin, sowie ihre bulgarischen, rumänischen und österreichischen Pendants ein Projekt zur regionalen Zusammenarbeit, mit dem durch die Einfuhr von Schwarzmeergas die Energieunabhängigkeit erhöht werden sollte. Das "Rohuat/BRUA" genannte Projekt sah die Schaffung neuer Kapazität insbesondere zwischen Ungarn und Österreich vor. Im Mai 2017 wurde das Projekt in zwei verschiedene Projekte aufgeteilt, darunter das Projekt betreffend die Ungarn mit Österreich verbindende Fernleitungsinfrastruktur (im Folgenden: "HUAT"-Projekt). Gemäß der "Netzkodex"-Verordnung (VO (EU) 2017/459) führten FGSZ und die österreichische Gasfernleitungsnetzbetreiberin (GCA) eine Analyse der Marktnachfrage für das "HUAT"-Projekt durch. Am 06.04.2018 legte FGSZ der Magyar Energetikai és Közműszabályozási Hivatal (MEKH), der ungarischen Regulierungsbehörde für Energie und öffentliche Dienstleistungen, den Vorschlag für das "HUAT"-Projekt vor und wies darauf hin, dass sie die Durchführung dieses Projekts nicht befürworte. Am 09.04.2018 legte GCA den Vorschlag für das "HUAT"-Projekt der österreichischen Regulierungsbehörde für den Elektrizitäts- und Erdgassektor (E-Control) vor. Am 27.04.2018 erließ E-Control eine Entscheidung, mit der der Vorschlag für das "HUAT"-Projekt genehmigt wurde, während MEKH den Vorschlag mit einer Entscheidung vom 05.10.2018 ablehnte. Am 10.10.2018 teilte die Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) MEKH und E-Control mit, dass sie gemäß der "Netzkodex"-Verordnung und der "ACER"-Verordnung (VO (EG) Nr. 713/2009) befugt sei, über den Vorschlag für das "HUAT"–Projekt zu entscheiden, da diese nationalen Regulierungsbehörden keinen abgestimmten Beschluss erlassen hätten. Mit Entscheidung vom 06.08.2019 genehmigte die ACER den Vorschlag.
Einrede der Rechtswidrigkeit geltend gemacht
MEKH und FGSZ erhoben gegen die Entscheidung der ACER jeweils Klage beim EuG. MEKH machte darin insbesondere eine Einrede der Rechtswidrigkeit der Bestimmungen der "Netzkodex"-Verordnung geltend, auf deren Grundlage die Entscheidung der ACER erlassen worden war. Nach Ansicht von MEKH erlaubt es nämlich die Grundverordnung, die als Grundlage für den Erlass der "Netzkodex"-Verordnung gedient habe, der Kommission nicht, einen Netzkodex zu erlassen, der ein Verfahren zur Schaffung neuer Kapazität vorsieht, das dazu führen kann, dem Betreiber die Verpflichtung aufzuerlegen, die für die Schaffung einer solchen Kapazität erforderlichen Investitionen zu tätigen.
EuG: ENTSO in erster Linie für Ausarbeitung von Netzkodizes zuständig
Mit dem jetzt ergangenen Urteil stellte das Gericht fest, dass die "Netzkodex"-Verordnung tatsächlich ein Verfahren festlegt, das dazu führen kann, dass die Fernleitungsnetzbetreiber verpflichtet sind, die zur Schaffung neuer Kapazität erforderlichen Investitionen zu tätigen. Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der dieses Verfahren vorsehenden Bestimmungen der "Netzkodex"-Verordnung wies das EuG darauf hin, dass es nach der Grundverordnung in erster Linie Sache des Europäischen Netzes der Fernleitungsnetzbetreiber (Gas) (ENTSO [Gas]) – der Struktur für die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Netzbetreibern auf Unionsebene – ist, in bestimmten, von der letztgenannten Verordnung abschließend aufgeführten Bereichen Netzkodizes auszuarbeiten. Mithin könne die Kommission nur dann, wenn ENTSO (Gas) keinen Netzkodex ausgearbeitet hat, einen oder mehrere Netzkodizes in diesen Bereichen erlassen. Insoweit betonte das Gericht, dass nach dem Wortlaut der Grundverordnung der Bereich der Regeln für die Kapazitätszuweisung und das Engpassmanagement der einzige Bereich ist, für den die Erstellung eines Netzkodex auf dem Gebiet der Schaffung neuer Kapazität eventuell denkbar sein könnte. Das Gericht wies jedoch darauf hin, dass der Begriff "Kapazität" im Sinne der Grundverordnung nur die aktuelle Netzkapazität meint und dass das Engpassmanagement nur auf der Grundlage der vorhandenen Kapazität erfasst wird.
Entwicklung des Netzes in gesamter EU fällt in Zuständigkeit der Mitgliedstaaten
Zudem werde in der Grundverordnung deutlich zwischen den vorgenannten, abschließend aufgeführten Bereichen, hinsichtlich derer ENTSO (Gas) für die Ausarbeitung der maßgeblichen Regeln im Rahmen von Netzkodizes zuständig ist, und der Setzung eines Rahmens im Hinblick auf die für die Schaffung neuer Kapazität im Netz erforderlichen Investitionen unterschieden, hinsichtlich derer ENTSO (Gas) nur eine Unterstützungs- und Koordinierungsfunktion ausübt. Die Entwicklung des Netzes in der gesamten Union falle nämlich grundsätzlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, sodass sich die Rolle von ENTSO (Gas) lediglich auf die Koordinierung der Ausübung dieser Zuständigkeit und die Identifizierung etwaiger Lücken im Investitionsbereich, insbesondere hinsichtlich der grenzüberschreitenden Kapazität, beziehe.
Keine Regelungskompetenz für den Erlass der Vorschriften
Folglich weise die Grundverordnung weder ENTSO (Gas) noch der Kommission eine Regelungskompetenz für den Erlass von Vorschriften zu, die einen Rahmen zur Schaffung neuer Kapazität im Netz setzen. Zu diesem Punkt hob das Gericht hervor, dass ein Fernleitungsnetzbetreiber nach der "Gas"-Richtlinie verpflichtet ist, die für das ordnungsgemäße Funktionieren des Netzes und gegebenenfalls für die Schaffung neuer Kapazität erforderlichen Investitionen zu tätigen. Nach dieser Richtlinie sei es jedoch allein Sache der Mitgliedstaaten, über ihre jeweilige nationale Regulierungsbehörde die Einhaltung dieser Verpflichtungen zu gewährleisten.
Entscheidung der ACER nichtig
Da die Grundverordnung ENTSO (Gas) nicht dazu ermächtigt, in einen Netzkodex Regelungen aufzunehmen, die geeignet sind, einem Gasfernleitungsnetzbetreiber eine Verpflichtung zur Schaffung neuer Kapazität aufzuerlegen, war die Kommission, als sie anstelle von ENTSO (Gas) handelte, nicht für den Erlass der Bestimmungen der "Netzkodex"-Verordnung zuständig, die ein Verfahren regeln, das zur Auferlegung einer solchen Verpflichtung führen kann. Daher erkläre das Gericht diese Bestimmungen der "Netzkodex"-Verordnung für nicht anwendbar und die auf der Grundlage dieser Bestimmungen erlassene Entscheidung der ACER für nichtig.