EuG: Lufthansa und Swiss im Streit um Aufhebung tariflicher Verpflichtungszusagen teilweise erfolgreich

Die Europäische Kommission muss den Antrag von Lufthansa und Swiss auf Aufhebung ihrer tariflichen Verpflichtungszusagen hinsichtlich der Linie Zürich-Stockholm erneut prüfen. Dies geht aus einem Urteil des Europäischen Gerichts vom 16.05.2018 hervor. Gegenstand des Verfahrens sind Auflagen, unter denen vor 13 Jahren die Übernahme der schweizerischen Fluggesellschaft durch Lufthansa genehmigt worden war. Hinsichtlich der Linie Zürich-Warschau wies das EuG die Klage ab (Az.: T-712/16).

Übernahme damals unter Auflagen genehmigt

Im Jahr 2005 genehmigte die Kommission unter bestimmten Bedingungen die geplante Übernahme von Swiss durch Lufthansa, ein Gründungsmitglied der Star Alliance, der größten Luftfahrtallianz der Welt. Zu diesen Auflagen gehört die Einhaltung von Verpflichtungszusagen, die diese beiden Fluggesellschaften in Bezug auf die Linien Zürich-Stockholm und Zürich-Warschau abgegeben haben. Diese Bedingungen sehen vor, dass die Fusionseinheit jedes Mal, wenn sie einen veröffentlichten Tarif auf einer vergleichbaren Referenzlinie verringert, eine (in Prozent) gleichwertige Verringerung auf die entsprechenden Tarife dieser beiden Linien vornimmt. Weiter ist vorgesehen, dass diese Verpflichtung endet, sobald ein neuer Anbieter von Luftverkehrsdiensten den Flugbetrieb auf den genannten Linien aufnimmt.

Wettbewerbsrechtliche Bedenken der Kommission ursächlich

Mit diesen Verpflichtungszusagen begegneten Lufthansa und Swiss den wettbewerbsrechtlichen Bedenken der Kommission hinsichtlich dieser beiden Linien. Zum einen wurden diese Linien nämlich nur von Swiss (deren zukünftigen Eintritt in die Star Alliance die Kommission für wahrscheinlich hielt) und zwei Star-Alliance-Partnern (nämlich die Linie Zürich-Stockholm von SAS3 und die Linie Zürich-Warschau von LOT4) bedient, zum anderen waren die Flughäfen Zürich und Stockholm bereits voll ausgelastet.

Antrag auf Befreiung der Verpflichtungszusagen gestellt

Am 04.11.2013 stellten Lufthansa und Swiss bei der Kommission einen Antrag auf Befreiung von den in Rede stehenden tariflichen Verpflichtungszusagen. Sie machten geltend, erstens sei eine 1995 zwischen Lufthansa und SAS geschlossene Joint-Venture-Vereinbarung aufgelöst worden, zweitens habe die Kommission mittlerweile ihre Politik in Bezug auf die Behandlung der Allianzpartner bei der Prüfung von Unternehmenszusammenschlüssen geändert und drittens bestehe ein Wettbewerb zwischen Swiss auf der einen und SAS sowie LOT auf der anderen Seite.

Kommission: Kriterien für Aufhebung nicht erfüllt

Mit Beschluss vom 25.07.2016 lehnte die Kommission diesen Antrag ab, weil sie der Auffassung war, dass die in den Überprüfungsklauseln der Genehmigungsentscheidung von 2005 vorgesehenen Voraussetzungen für die Aufhebung der Verpflichtungszusagen nicht erfüllt seien. Lufthansa hat vor dem EuG Klage auf Nichtigerklärung dieses ablehnenden Beschlusses erhoben.

EuG: Widerruf der Entscheidung nicht erforderlich

Das EuG hat jetzt den Beschluss der Kommission für nichtig erklärt, soweit er die Linie Zürich-Stockholm betrifft; im Übrigen wies es die Klage ab. Die Entscheidung über einen Antrag auf Befreiung von Verpflichtungszusagen setzte keinen Widerruf der Entscheidung, mit der der Zusammenschluss genehmigt und die Zusagen für verbindlich erklärt wurden, voraus und bestehe auch nicht in einem solchen Widerruf. Ihr Gegenstand sei vielmehr die Prüfung, ob die in der Überprüfungsklausel vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind, oder gegebenenfalls, ob sich die in der Entscheidung, mit der der Zusammenschluss vorbehaltlich der Einhaltung der Zusagen genehmigt wurde, festgestellten wettbewerbsrechtlichen Probleme erledigt haben.

Prüfung durch Kommission nicht ausreichend

Die Kommission verfüge für eine derartige Prüfung zwar über ein gewisses Ermessen, sei aber dennoch verpflichtet, den Antrag sorgfältig zu prüfen, bei Bedarf eine Untersuchung durchzuführen, die geeigneten Ermittlungsmaßnahmen zu ergreifen und ihre Schlussfolgerungen auf alle relevanten Daten zu stützen. Nach Auffassung des Gerichts hat die Kommission diese Verpflichtung nicht erfüllt. Insbesondere habe sie die wettbewerbliche Auswirkung der Auflösung der 1995 zwischen Lufthansa und SAS geschlossenen Joint-Venture-Vereinbarung weder für sich genommen noch in Verbindung mit dem Vorschlag von Lufthansa, auch die bilaterale Allianzvereinbarung mit SAS aufzulösen, untersucht. Zudem sei sie nicht hinreichend auf das Argument von Lufthansa eingegangen, dass die Kommission ihre Politik dahingehend geändert habe, dass sie die Allianzpartner bei der Bestimmung der betroffenen Märkte nicht mehr berücksichtige.

Keine Anhaltspunkte für Einschränkung des Wettbewerbs

Des Weiteren sei das Gericht in Bezug auf die 2006 (also nach der Genehmigungsentscheidung von 2005) zwischen Swiss und SAS geschlossene Code-Sharing-Vereinbarung der Auffassung, dass die Kommission diese Vereinbarung berücksichtigen konnte, um zu beurteilen, ob und inwieweit sie geeignet war, den Wettbewerb zwischen Swiss und SAS einzuschränken oder zu beseitigen. Die Kommission habe jedoch keine konkrete Prüfung dieser Vereinbarung vorgenommen und nicht einmal Anhaltspunkte genannt, die darauf schließen lassen könnten, dass die Vereinbarung den Wettbewerb zwischen Swiss und SAS einschränke. Die Code-Sharing- Vereinbarung möge zwar dazu führen, dass für den Verkauf von Code-Sharing-Tickets nur ein schwach ausgeprägter Wettbewerb besteht, jedoch habe die Kommission nichts vorgetragen, was belegen könnte, dass diese Vereinbarung eine Schwächung des Wettbewerbs für die von jeder der beiden Gesellschaften durchgeführten Flüge bewirke.

EuG geht von offensichtlichem Beurteilungsfehler aus

Schließlich stellte das Gericht fest, dass die Kommission nicht ihrer Verpflichtung nachgekommen ist, alle relevanten Daten sorgfältig zu prüfen, Ermittlungsmaßnahmen zu ergreifen oder die notwendigen Untersuchungen durchzuführen, um das Bestehen eines Wettbewerbsverhältnisses zwischen Swiss auf der einen und unter anderem SAS auf der anderen Seite zu prüfen. Daraus folgert das Gericht hinsichtlich der Linie Zürich-Stockholm, dass die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat und die im Beschluss von 2016 dargelegten Gesichtspunkte nicht geeignet sind, die Ablehnung des Befreiungsantrags zu rechtfertigen. Hinsichtlich der Linie Zürich-Warschau gelangte das EuG hingegen zu dem Ergebnis, dass die festgestellten Versäumnisse mangels jeglicher Veränderung der vertraglichen Beziehungen zwischen Swiss und LOT, in Anbetracht deren die tariflichen Verpflichtungszusagen mit der Entscheidung von 2005 für verbindlich erklärt wurden, nicht ausreichen, um zur Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses zu führen.

EuG, Urteil vom 16.05.2018 - T-712/16

Redaktion beck-aktuell, 17. Mai 2018.

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