EuG: Französisches Schifffahrtsunternehmen SNCM muss millionenschwere staatliche Beihilfen zurückzahlen

Die Kapitalzuführung und die Privatisierungsmaßnahmen, die Frankreich zugunsten der Société Nationale Corse-Méditerranée (SNCM) getätigt hat, stellen rechtswidrige und mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfen dar. Dies hat das Gericht der Europäischen Union entschieden. Es bestätigte damit einen Beschluss, mit dem die Europäische Kommission die SNCM am 20.11.2013 aufgefordert hatte, insgesamt 220 Millionen Euro an den französischen Staat zurückzuzahlen (Urteil vom 06.07.2017, Az.: T-74/14 und T-1/15).

Staatliche Ausgleichszahlung für Übernahme gemeinwirtschaftlicher Verkehrsverpflichtungen

Die SNCM war ein französisches Schifffahrtsunternehmen, das regelmäßige Schiffsverbindungen vom französischen Festland anbot. Sie gewährleistete seit 1976 die Erfüllung bestimmter gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen im Bereich des Verkehrs und erhielt dafür vom französischen Staat eine Ausgleichszahlung. 2002 stand das Unternehmen zu 20% im Eigentum der Société nationale des chemins de fer (SNCF) und zu 80% im Eigentum der Compagnie générale maritime et financière (CGMF), deren Kapital wiederum jeweils zu 100% unmittelbar vom französischen Staat gehalten wird. Bei der Öffnung des Kapitals von SNCM 2006 wurde die Kontrolle über diese Gesellschaft zu 66% von privaten Unternehmen (Butler Capital Partners und Veolia Transport) übernommen, während 25% ihres Kapitals im Besitz von CGMF verblieben und 9% den Arbeitnehmern vorbehalten blieben.

EU-Kommission verneint Vorliegen staatlicher Beihilfen

Mit einer Entscheidung vom 08.07.2008 stellte die Kommission fest, dass die im Jahr 2002 vorgenommene Kapitalzuführung von CGMF an SNCM in Höhe von 76 Millionen Euro (53,48 Millionen Euro für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen und die restlichen 22,52 Millionen Euro als Umstrukturierungsbeihilfen) mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sei. Die Maßnahmen des Privatisierungsplans von 2006 waren nach Ansicht der Kommission keine staatlichen Beihilfen. Diese Maßnahmen umfassten eine Veräußerung von SNCM zu einem negativen Kaufpreis von 158 Millionen Euro (Kapitalaufstockung), eine zusätzliche Kapitalzuführung in Höhe von 8,75 Millionen Euro und schließlich einen Kontokorrentvorschuss von 38,5 Millionen Euro zur Finanzierung eines von den Übernehmern gegebenenfalls aufzustellenden Sozialplans.

Hauptwettbewerber erreicht Nichtigerklärung der Kommissionsentscheidung

Die Corsica Ferries France SAS, der Hauptwettbewerber der SNCM, erhob beim Gericht Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission. Das EuG gab der Klage mit Urteil vom 11.09.2012 statt, da es der Auffassung war, dass der Kommission mehrere Beurteilungsfehler sowohl hinsichtlich der Kapitalzuführung als auch hinsichtlich des Privatisierungsplans unterlaufen seien (BeckEuRS 2012, 688411). Mit Urteil vom 04.09.2014 bestätigte der EuGH das Urteil des Gerichts (BeckRS 2014, 81718).

Kommission bejaht nun rechtswidrige staatliche Beihilfen

Die Kommission erließ daraufhin einen neuen Beschluss, um den Urteilen des Gerichts und des Gerichtshofs nachzukommen. In diesem neuen Beschluss vom 20.11.2013 stuft sie die Kapitalzuführung in Höhe von 15,81 Millionen Euro und die Maßnahmen des Privatisierungsplans als rechtswidrige und mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfen ein. SNCM wird aufgefordert, insgesamt 220 Millionen Euro an den französischen Staat zurückzuzahlen. Frankreich und SNCM haben jeweils Klage beim Gericht erhoben, um die Nichtigerklärung dieses Beschlusses zu erreichen. Das EuG hat die Klagen Frankreichs und von SNCM abgewiesen und somit bestätigt, dass die fraglichen 220 Millionen Euro rechtswidrige und mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfen darstellen.

EuG: Verhalten Frankreichs mit dem einer diversifizierten Holding zu vergleichen

Was die Veräußerung von SNCM zu einem negativen Kaufpreis von 158 Millionen Euro anbelangt, werfen SNCM und Frankreich der Kommission vor, den "Test des marktwirtschaftlich handelnden privaten Kapitalgebers" nicht korrekt angewandt zu haben. Das EuG führte hierzu aus, dass die Kommission korrekterweise davon ausgehen konnte, dass die im Rahmen dieses Tests zu berücksichtigenden wirtschaftlichen Tätigkeiten die Marktwirtschaft als Ganzes waren, sodass das Verhalten Frankreichs mit dem einer diversifizierten Holding zu vergleichen gewesen sei, die bestrebt ist, ihre Gewinne zu maximieren und ihr Image als globaler Investor zu schützen. Die Kommission habe ferner berechtigterweise annehmen dürfen, dass SNCM und die französischen Behörden nicht nachgewiesen haben, dass es bei privaten Investoren eine hinreichend gefestigte Praxis in Bezug auf Sozialpläne in Fällen gibt, die dem von SNCM vergleichbar sind, zumal vor der Umsetzung der Privatisierungsmaßnahmen keine Quantifizierung der etwaigen Sozialkosten vorgenommen worden war.

Kommission hat Test des privaten Kapitalgebers korrekt angewandt

Das Gericht bestätigte außerdem die Einschätzung der Kommission, dass ein verständiger privater Investor nicht mit dem alleinigen Ziel, eine Klage auf Ausgleich des Passivsaldos zu verhindern, die Veräußerung zu einem negativen Kaufpreis von 158 Millionen Euro hätte vornehmen können. Es bestätigte auch die Schlussfolgerung der Kommission, dass nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen wurde, dass die französischen Behörden mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit von den französischen Gerichten zur Leistung von Schadenersatz im Hinblick auf den Ausgleich des Passivsaldos verurteilt worden wären, und erst recht nicht, dass eine solche Verurteilung den negativen Kaufpreis überstiegen hätte, zu dem SNCM verkauft wurde. Das Gericht schloss daraus, dass die Kommission den Test des privaten Kapitalgebers korrekt angewandt hat.

Test auch in Bezug auf zusätzliche Kapitalzuführung korrekt angewandt

Auch was die zusätzliche Kapitalzuführung in Höhe von 8,75 Millionen Euro angeht, gelangte das EuG zu dem Ergebnis, dass die Kommission den Test des privaten Kapitalgebers korrekt angewandt hat. Es führte insbesondere aus, dass vor der Durchführung der Kapitalzuführung keine Analyse durchgeführt wurde, um nachzuweisen, dass der Zinssatz von 10% der Kapitalzuführung der CGMF von 8,75 Millionen Euro für einen privaten Wirtschaftsteilnehmer akzeptabel gewesen wäre, und dass nicht nachgewiesen wurde, dass ein verständiger privater Kapitalgeber eine feste Rendite von 10% als ausreichend angesehen hätte.

Kontokorrentvorschuss entlastete SNCM

Was schließlich den Kontokorrentvorschuss von 38,5 Millionen Euro anbelangt, ist das Gericht der Auffassung, dass die Kommission berechtigterweise zu dem Schluss kommen konnte, dass diese Beihilfe einen Vorteil für SNCM geschaffen hat, indem sie es SNCM ermöglicht hat, nicht die gesamten Kosten des etwaigen künftigen Ausscheidens bestimmter Angestellter zu tragen.

EuG, Urteil vom 06.07.2017 - T-74/14

Redaktion beck-aktuell, 6. Juli 2017.

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