Eins-zu-eins-Tausch der vom Eurosystem gehaltenen Schuldtitel
In Anbetracht der Finanzkrise und der Gefahr einer Zahlungsunfähigkeit Griechenlands vereinbarten die EZB und die nationalen Zentralbanken der Mitgliedstaaten der Eurozone (Eurosystem) am 15.02.2012 mit Griechenland, die von der EZB und den nationalen Zentralbanken gehaltenen griechischen Schuldtitel gegen neue Titel mit gleichen Nominalwerten, Zinssätzen sowie Zins- und Rückzahlungsfälligkeiten, aber anderen Kennnummern und Daten zu tauschen.
Schuldenschnitt von 53,5% bei Schuldtiteln privater Gläubiger
Gleichzeitig einigten sich die griechischen Behörden und der Privatsektor hinsichtlich der von privaten Gläubigern gehaltenen Schuldtitel auf einen freiwilligen Tausch und einen Schuldenschnitt von 53,5% (Private Sector Involvement, PSI). Die Eurogruppe erwartete eine hohe Beteiligung der privaten Gläubiger an diesem freiwilligen Tausch. Mit Gesetz vom 23.02.2012 führte Griechenland unter Rückgriff auf eine Umschuldungsklausel den Tausch bei sämtlichen von privaten Gläubigern gehaltenen Schuldtiteln durch, und zwar auch insoweit, als die privaten Gläubiger das Angebot eines freiwilligen Tauschs abgelehnt hatten. Bei den privaten Inhabern solcher Schuldtitel lag der Nominalwert der neuen Titel um 53,5% unter dem der ursprünglichen Titel.
Notenbankfähigkeit griechischer Schuldtitel setzt griechisches Rückkaufprogramm voraus
Ferner machte die EZB mit Beschluss vom 05.03.2012 bei griechischen Schuldtiteln, die nicht die Mindestanforderungen des Eurosystems an Bonitätsschwellenwerte erfüllten, die Verwendung als Sicherheiten für Kreditgeschäfte des Eurosystems von der Bereitstellung eines "Collateral Enhancement" durch Griechenland zugunsten der nationalen Zentralbanken in Form eines Rückkaufprogramms abhängig.
Geschäftsbank klagt wegen EZB-Maßnahmen auf Schadensersatz
Ein Unternehmen und eine Bank, die griechische Schuldtitel halten und beide in Frankreich ansässig sind, verklagten die EZB beim EuG auf Schadensersatz in Höhe von 11 Millionen Euro. Dieser Schaden sei ihnen durch die Maßnahmen der EZB und insbesondere durch den Beschluss vom 05.03.2012 entstanden. Sie warfen der EZB vor, sie habe das berechtigte Vertrauen der privaten Inhaber solcher Schuldtitel sowie die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung der privaten Gläubiger verletzt.
EuG: Geschäftsbanken können sich bei Geldpolitik nicht auf Vertrauensschutz berufen
Das EuG hat die Klage abgewiesen und damit jegliche Haftung der EZB ausgeschlossen. Damit bestätigt das Gericht sein Urteil vom 07.10.2015 (T-79/13), das sich auf natürliche Personen als Inhaber griechischer Schuldtitel bezogen hatte. Die EZB habe bei der Durchführung ihres Programms zum Tausch griechischer Schuldtitel nicht rechtswidrig gehandelt. Nach seiner Auffassung können sich Geschäftsbanken in einem Bereich wie dem der Geldpolitik, der eine ständige Anpassung an die Veränderungen der wirtschaftlichen Lage mit sich bringe, weder auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes noch auf den Grundsatz der Rechtssicherheit berufen.
Anleger wurden nicht zum Kauf oder Halten griechischer Schuldtitel aufgefordert
Das EuG fährt fort, dass keine Äußerung oder Maßnahme der EZB als an die Anleger gerichtete Aufforderung dahin verstanden werden könne, dass sie griechische Schuldtitel erwerben oder behalten sollten. Denn die EZB habe sich darauf beschränkt, die Qualität dieser Titel als Sicherheiten wiederherzustellen, um als Reaktion auf die außergewöhnlichen Umstände auf den Finanzmärkten sowie auf die Störung der normalen Bewertung der griechischen Schuldtitel die Stabilität und das ordnungsgemäße Funktionieren des Eurosystems vorläufig zu erhalten. Die Politik der EZB habe also keine präzisen, nicht an Bedingungen geknüpfte und übereinstimmende Zusicherungen enthalten, mit denen garantiert werden sollte, dass eine etwaige Zahlungsunfähigkeit Griechenlands ausgeschlossen sei, und auch keine – wenn auch nur implizite – Aufforderung, griechische Schuldtitel zu kaufen oder zu behalten.
Geschäftsbanken konnten sich auf Notenbankfähigkeit griechischer Schuldtitel nicht verlassen
Außerdem habe von den Geschäftsbanken als sorgfältigen und umsichtigen Wirtschaftsteilnehmern erwartet werden dürfen, dass sie die höchst instabile Wirtschaftslage, die die Wertschwankungen der griechischen Schuldtitel bestimmte, sowie das erhebliche Risiko einer Zahlungsunfähigkeit Griechenlands kannten. Somit hätten sich diese Banken nicht darauf verlassen können, dass die EZB die Notenbankfähigkeit dieser Titel vorläufig aufrechterhalten werde, und sie haben folglich hochriskante Anlagen getätigt.
Gleichbehandlungsgrundsatz nicht anwendbar: EZB ließ sich von geldpolitischen Zielen leiten
Außerdem hält das Gericht den allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung für nicht anwendbar, da sich die Geschäftsbanken einerseits und die EZB und die nationalen Zentralbanken andererseits nicht in einer vergleichbaren Lage befunden hätten. Denn beim Kauf griechischer Schuldtitel hätten die EZB und die nationalen Zentralbanken mit dem Ziel gehandelt, die Preisstabilität und die ordnungsgemäße Führung der Geldpolitik zu gewährleisten.
Rückkaufprogrammverpflichtung sollte Spielraum der Zentralbanken des Eurosystems gewährleisten
Mit der Verpflichtung Griechenlands, zugunsten der nationalen Zentralbanken ein Collateral Enhancement in Form eines Rückkaufprogramms bereitzustellen, sollte der Erhalt des Spielraums der Zentralbanken des Eurosystems sichergestellt werden. Sie habe damit eine Situation betroffen, die mit der Lage der privaten Anleger nicht vergleichbar gewesen sei. Dasselbe gelte für die Lage der Banken oder der Handelsgesellschaften, die griechische Schuldtitel mit Gewinnerzielungsabsicht (also um für ihre Investitionen eine möglichst hohe Rendite zu erzielen) erworben oder gehalten hätten.