Beihilfe in Höhe von 3,4 Milliarden Euro angemeldet
Im Juni 2020 hatten die Niederlande bei der Kommission eine staatliche Beihilfe zugunsten der Fluggesellschaft KLM angemeldet, einer Tochtergesellschaft der Holdinggesellschaft Air France-KLM. Die angemeldete Beihilfe, die sich auf insgesamt 3,4 Milliarden Euro belief, bestand zum einen aus einer staatlichen Garantie für ein Darlehen, das von einem Bankenkonsortium gewährt werden sollte, und zum anderen aus einem staatlichen Darlehen. Mit dieser Maßnahme wollten die Niederlande KLM vorübergehend die Liquidität zuführen, die die Airline benötigte, um die negativen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie zu bewältigen. Angesichts der Bedeutung von KLM für ihre Wirtschaft und ihre Luftverkehrsanbindung waren die Niederlande der Auffassung, dass eine Insolvenz von KLM die pandemiebedingte beträchtliche Störung in ihrem Wirtschaftsleben weiter verstärkt hätte.
Beihilfe zugunsten von Air France zuvor genehmigt
Am 04.05.2020 hatte die Kommission bereits eine Einzelbeihilfe in Höhe von insgesamt sieben Milliarden Euro, die die Französische Republik in Form einer staatlichen Garantie und eines Gesellschafterdarlehens Air France, einer weiteren Tochtergesellschaft der Holdinggesellschaft Air France-KLM, gewährt hatte, für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt. Mit dieser Beihilfemaßnahme sollte der unmittelbare Liquiditätsbedarf von Air France gedeckt werden.
Kommission: Beihilfe mit Binnenmarkt vereinbar
Da die Kommission der Auffassung war, dass die angemeldete Beihilfe eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellte, prüfte sie sie anhand ihrer Mitteilung vom 19.03.2020 mit dem Titel "Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von Covid-19". Mit Beschluss vom 13.07.2020 stellte die Kommission fest, die Beihilfe sei gemäß Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar. Nach dieser Vorschrift können Beihilfen zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats unter bestimmten Voraussetzungen als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden.
Ryanair mit Nichtigkeitsklage erfolgreich
Gegen diesen Beschluss erhob die Fluggesellschaft Ryanair eine Nichtigkeitsklage, der das EuG jetzt nach Durchführung eines beschleunigten Verfahrens stattgegeben hat. Die Wirkungen der Nichtigerklärung hat es dabei bis zum Erlass eines neuen Beschlusses durch die Kommission ausgesetzt. In seinem Urteil äußert sich das Gericht dazu, wie weit die Begründungspflicht der Kommission reicht, wenn diese eine Beihilfe zugunsten einer Tochtergesellschaft einer Holdinggesellschaft für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt, nachdem eine weitere Tochtergesellschaft derselben Holdinggesellschaft bereits eine ähnliche Beihilfe erhalten hat.
Ryanair monierte unzulängliche Begründung
Zur Stützung ihrer Nichtigkeitsklage machte Ryanair unter anderem geltend, die Kommission habe ihre Begründungspflicht verletzt, da sie nicht dargelegt habe, aus welchen Gründen die vorherige Beihilfe an Air France keinen Einfluss auf die Beurteilung der Vereinbarkeit der Beihilfe an KLM mit dem Binnenmarkt habe, obgleich Air France und KLM zwei Tochtergesellschaften derselben Holdinggesellschaft seien.
Kumulierung staatlicher Beihilfen innerhalb derselben Unternehmensgruppe?
Hierzu führte das EuG zunächst aus, dass der zuvor ergangene Beschluss über die Beihilfe an Air France zu dem Kontext gehöre, der bei der Prüfung, ob die Begründung des angefochtenen Beschlusses den Anforderungen von Art. 296 AEUV genügt, zu berücksichtigen sei. Zudem obliege es der Kommission, wenn die wettbewerblichen Auswirkungen einer Kumulierung staatlicher Beihilfen innerhalb derselben Unternehmensgruppe zu befürchten seien, die Verbindungen zwischen den einzelnen Unternehmen dieser Gruppe besonders aufmerksam zu untersuchen, um zu prüfen, ob diese Unternehmen in beihilferechtlicher Hinsicht als eine wirtschaftliche Einheit und daher als ein einziger Begünstigter angesehen werden könnten.
Angefochtenem Beschluss fehlen Angaben
Im Hinblick hierauf stellte das Gericht fest, dass der angefochtene Beschluss weder Angaben zur Zusammensetzung des Aktienbesitzes bei Air France und KLM noch Informationen über die funktionellen, wirtschaftlichen und institutionellen Verbindungen zwischen der Holdinggesellschaft Air France-KLM und ihren Tochtergesellschaften enthält, obwohl aus dem Beschluss hervorgeht, dass die Holdinggesellschaft bei der Vergabe und der Verwaltung sowohl der für KLM als auch der für Air France vorgesehenen Beihilfen eingebunden ist. Ebenso wenig werde im angefochtenen Beschluss dargelegt, dass irgendein Mechanismus bestünde, der verhindert, dass die Air France über die Holdinggesellschaft Air France-KLM gewährte Beihilfe gerade über diese Holdinggesellschaft KLM zugutekommt und umgekehrt.
Darlegung aller tatsächlichen und rechtlichen Umstände erforderlich
Das EuG wies die Erläuterungen als unzulässig zurück, die die Kommission erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebracht hat, um darzutun, dass die zuvor Air France gewährte Beihilfe KLM nicht zugutekommen könne. Die Kommission verfüge zwar hinsichtlich der Frage, ob zu einer Gruppe gehörende Unternehmen beihilferechtlich als wirtschaftliche Einheit anzusehen seien, über einen weiten Beurteilungsspielraum. Doch habe sie es versäumt, im angefochtenen Beschluss hinreichend klar und genau alle relevanten tatsächlichen und rechtlichen Umstände darzulegen, die zu berücksichtigen seien, um einen komplexen Sachverhalt zu würdigen, der durch die parallele Gewährung von zwei staatlichen Beihilfen an zwei Tochtergesellschaften ein und derselben Holdinggesellschaft gekennzeichnet ist, wobei diese Holdinggesellschaft überdies bei der Vergabe und der Verwaltung dieser Beihilfen eingebunden sei.
EuG fehlten Informationen für Prüfung
Wie das EuG mitteilte, konnte es außerdem wegen der Unzulänglichkeit der Begründung des angefochtenen Beschlusses weder die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Beihilfe noch die Einhaltung der Kumulierungsbedingungen und der Höchstbeträge prüfen, die in Rn. 25 Buchst. d und Rn. 27 Buchst. d des befristeten Rahmens festgelegt seien. Aus denselben Gründen sei das Gericht außerstande gewesen, zu kontrollieren, ob die Kommission bei der Prüfung der Vereinbarkeit der fraglichen Beihilfe mit dem Binnenmarkt auf ernsthafte Schwierigkeiten gestoßen ist.
Wirkungen der Nichtigerklärung vorerst ausgesetzt
Das EuG entschied, dass die Kommission mit den bloßen Feststellungen, KLM sei die Empfängerin der fraglichen Beihilfe, und die niederländischen Behörden hätten bestätigt, dass die KLM gewährte Finanzierung nicht von Air France genutzt werde, den angefochtenen Beschluss nicht rechtlich hinreichend begründet hat. Diese Unzulänglichkeit der Begründung habe zur Folge, dass dieser für nichtig erklärt werde. Angesichts der Tatsache, dass diese Nichtigerklärung aus der Unzulänglichkeit der Begründung des angefochtenen Beschlusses resultiere und die unmittelbare Infragestellung der Vereinnahmung der durch die angemeldete Beihilfemaßnahme vorgesehenen Geldbeträge besonders nachteilige Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben und die Luftverkehrsanbindung der Niederlande gehabt hätte, und zwar in einem wirtschaftlichen und sozialen Kontext, der bereits durch die beträchtliche Störung im Wirtschaftsleben aufgrund der Covid-19-Pandemie geprägt ist, entschied das Gericht jedoch, die Wirkungen der Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses auszusetzen, bis die Kommission einen neuen Beschluss erlässt.