EuG: Kein Schadenersatz wegen möglicher Verschlechterung der Atemluft durch EU-Emissionsverordnung

Eine Sammelklage von fast 1.500 Personen auf Schadenersatz im Zusammenhang mit dem Erlass einer die Schadstoffemissionen von Fahrzeugen betreffenden Verordnung der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2016 ist vor dem Gericht der Europäischen Union gescheitert. Die Kläger hatten materielle und immaterielle Schäden wegen einer ihrer Ansicht nach durch die Verordnung bedingten Verschlechterung der Atemluft geltend gemacht. Das EuG wies die Klage ab, weil die Kläger weder den tatsächlichen und sicheren Eintritt der geltend gemachten Schäden noch ihre persönliche Beeinträchtigung nachgewiesen hätten. Über die Rechtmäßigkeit der Verordnung, deren Nichtigerklärung mehrere europäische Hauptstädte in anderen Rechtssachen begehren, entschied das EuG nicht (Beschluss vom 04.05.2018, Az.: T-197/17).

Verbindliche Emissionsgrenzwerte bei neuen Prüfverfahren in praktischem Fahrbetrieb festgelegt

Mit einer Verordnung aus dem Jahr 2016 (Verordnung (EU) 2016/646) legte die Kommission verbindliche Grenzwerte für die Emission von Stickoxiden bei neuen Prüfverfahren im praktischen Fahrbetrieb (real driving emissions – RDE, im Folgenden: RDE-Prüfverfahren) fest. Diesen Prüfverfahren muss die Automobilhersteller leichte Personenkraftwagen und Nutzfahrzeuge unter anderem im Rahmen der Verfahren zur Genehmigung neuer Fahrzeugtypen unterziehen. Ziel ist es, der Feststellung zu begegnen, dass die Laborprüfverfahren nicht das tatsächliche Niveau der Schadstoffemissionen im praktischen Fahrbetrieb widerspiegeln, und den möglichen Einsatz von "Betrugssoftware" zu vereiteln. Gegen die von der Kommission festgelegten Emissionsgrenzwerte sind beim EuG mehrere Klagen erhoben worden, unter anderem von den Städten Paris, Brüssel und Madrid. Sie werden derzeit vom Gericht geprüft. Eine mündliche Verhandlung in diesen drei Rechtssachen ist für den 17.05.2018 anberaumt worden.

Bürger verklagen EU auf Schadenersatz wegen Verschlechterung der Atemluft

Parallel zu diesen Nichtigkeitsklagen haben 1.429 natürliche Personen, von denen die meisten in Frankreich wohnen, eine Klage gegen die Europäische Union erhoben, mit der sie den Ersatz des Schadens begehren, der ihnen durch die Verordnung der Kommission entstanden sein soll. Diese Schadenersatzklage ist Gegenstand des aktuellen Beschlusses des EuG. Die 1.429 Personen sind der Auffassung, dass ihnen durch die Verordnung materielle Schäden im Zusammenhang mit der Verschlechterung der Qualität ihrer Atemluft und der daraus resultierenden Verschlechterung ihres Gesundheitszustands entstanden seien. Ferner seien ihnen immaterielle Schäden entstanden, weil sie sich insoweit Sorgen um ihre eigene Person und um ihr Umfeld machten und das Vertrauen darin verloren hätten, dass die Unionsorgane zur Bekämpfung der Umweltzerstörung tätig würden. Jede dieser Personen begehrt Schadenersatz in Höhe von einem symbolischen Euro für die materiellen Schäden und von 1.000 Euro für die immateriellen Schäden.

EuG sieht keine rechtliche Grundlage für Schadenersatzbegehren

Das EuG hat die Schadenersatzklage der 1.429 Personen als einer rechtlichen Grundlage entbehrend abgewiesen. Es weist zunächst darauf hin, dass eine außervertragliche Haftung der EU von drei kumulativen Voraussetzungen abhängt. Erstens müsse ein Unionsorgan einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift begangen haben, die dem Einzelnen Rechte verleihen soll. Zweitens müsse der behauptete Schaden tatsächlich eingetreten sein und drittens ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten der EU und dem Schaden bestehen.

EuG: Tatsächlicher Schadenseintritt nicht erwiesen

Im vorliegenden Fall kommt das Gericht, ohne zur ersten und zur dritten dieser Voraussetzungen (also insbesondere zur Frage der Rechtmäßigkeit der Verordnung der Kommission, die Gegenstand der Klagen der Städte Paris, Brüssel und Madrid ist) Stellung zu nehmen, zu dem Ergebnis, dass der tatsächliche Eintritt der von den 1.429 Personen geltend gemachten Schäden nicht hinreichend erwiesen ist. Insoweit obliege es dem Kläger, den tatsächlichen und sicheren Eintritt sowie den Umfang des von ihm behaupteten Schadens zu beweisen und darzutun, dass er dadurch persönlich beeinträchtigt wird. Begehrt er den Ersatz eines immateriellen Schadens, müsse er insbesondere den Nachweis erbringen, dass die dem betreffenden Organ vorgeworfene Handlung aufgrund ihrer Schwere geeignet ist, ihm einen solchen Schaden zuzufügen.

Vorbringen zu materiellem Schaden unter anderem zu pauschal

Das Gericht stellt jedoch zum einen fest, dass der Umfang des mit einer Verschlechterung der Luftqualität verbundenen Schadens nicht hinreichend nachgewiesen wird, weil eine Bilanz der auf die streitigen Rechtsvorschriften zurückzuführenden zusätzlichen Schadstoffemissionen nur höchst annäherungsweise und pauschal, erst nach einiger Zeit und mit sehr unsicheren Ergebnissen erstellt werden könnte. Insbesondere lasse sich nicht vorhersagen, in welchem Maß sich potenzielle Käufer, wenn die Kommission strengere Grenzwerte festgelegt hätte, sofort den – möglicherweise weniger zahlreichen – Fahrzeugtypen zugewandt hätten, die diese Grenzwerte einhielten und die Prüfverfahren erfolgreich durchlaufen hätten, oder ob sie es vorgezogen hätten, ihr altes Fahrzeug länger zu behalten. Zum anderen hätten die 1.429 Kläger, obwohl sie so zahlreich sind und in verschiedenen Regionen oder unter unterschiedlichen Bedingungen wohnen und leben, zur Stützung ihrer Anträge pauschal argumentiert und allgemeine Gesichtspunkte vorgetragen, aber keinen individuellen Gesichtspunkt, der es ermöglicht hätte, die persönliche Situation jedes Einzelnen in Bezug auf die geltend gemachten Schäden zu beurteilen.

Besondere Sensibilisierung für Problematik der Luftverschmutzung noch kein Nachweis für immaterielle Schäden

Zu den immateriellen Schäden führt das EuG aus, dass der Umstand, dass alle Betroffenen für das Problem der Luftverschmutzung besonders sensibilisiert sein mögen, nicht für den Nachweis ausreicht, dass sich jeder von ihnen tatsächlich so große Sorgen um seine Gesundheit und die seines Umfelds macht, dass seine Existenzbedingungen in einem für die Zuerkennung von Schadenersatz hinreichenden Maß beeinträchtigt werden. Generell weist das Gericht darauf hin, dass ein möglicherweise von jedem empfundenes Gefühl keinen ersatzfähigen immateriellen Schaden darstellt. Dass die Abweisung der Sammelklage der 1.429 natürlichen Personen dem Ergebnis der von den Städten Paris, Brüssel und Madrid gegen die Verordnung der Kommission erhobenen Klagen nicht vorgreife, betont das EuG abschließend.

EuG, Beschluss vom 04.05.2018 - T-197/17

Redaktion beck-aktuell, 7. Mai 2018.

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