Betrag in Höhe von 172.654,92 Euro zurückgefordert
Im Dezember 2014 war der Alliance for Direct Democracy in Europe (im Folgenden: ADDE), einer von der UK Independence Party (UKIP) dominierten politischen Partei auf europäischer Ebene, durch einen Beschluss des Präsidiums der Europäischen Parlaments für das Geschäftsjahr 2015 eine Finanzhilfe in Höhe von maximal 1.241.725 Euro bewilligt worden. Später wurden Kontrollen durchgeführt und ein externer Prüfbericht gelangte zu dem Ergebnis, dass bestimmte Ausgaben im Geschäftsjahr 2015 nicht zuschussfähig gewesen seien. Im November 2016 erklärte das Parlament daher einen Betrag von 500.615,55 Euro für nicht zuschussfähig und forderte von der ADDE einen Betrag in Höhe von 172.654,92 Euro zurück.
Zweifel an Finanzkraft der Partei
Im Dezember 2016 fasste das Präsidium des Parlaments einen Beschluss, mit dem der ADDE für das Geschäftsjahr 2017 eine Finanzhilfe in Höhe von maximal 1.102.642,71 Euro bewilligt wurde. Das Präsidium begrenzte die Vorfinanzierung auf 33% des Höchstbetrags der Finanzhilfe und verlangte außerdem eine Bankgarantie, da Zweifel bestünden, ob die ADDE mangels Eigenmitteln finanziell lebensfähig sei.
ADDE: Beschluss weder fair noch unvoreingenommen
Die ADDE erhob gegen die beiden, die Geschäftsjahre 2015 beziehungsweise 2017 betreffenden Beschlüsse vom November und Dezember 2016 beim EuG eine Nichtigkeitsklage. Nach Ansicht der ADDE ist der das Geschäftsjahr 2015 betreffende Beschluss wegen der Zusammensetzung des Parlamentspräsidiums weder fair noch unvoreingenommen. Dem Präsidium gehöre kein einziger Vertreter der sogenannten "euroskeptischen" Parteien an, und das Präsidium sei nicht in der Lage, eine unvoreingenommene und objektive Kontrolle der europäischen politischen Parteien und der mit ihnen verbundenen politischen Stiftungen zu gewährleisten. Überdies habe sich ein Mitglied des Parlamentspräsidiums vor der Sitzung, auf der der das Geschäftsjahr 2015 betreffende Beschluss gefasst worden sei, öffentlich geäußert und dabei seine Feindseligkeit und seine Voreingenommenheit gegenüber der ADDE zum Ausdruck gebracht.
Äußerungen problematisch
In seinem jetzt ergangenen Urteil stellte das EuG fest, dass das betreffende Mitglied des Parlamentspräsidiums Äußerungen getätigt habe, die ein außenstehender Beobachter so verstehen konnte, dass dieses Mitglied die Entscheidung über die betreffende Frage bereits vorweggenommen hatte, bevor der angefochtene Beschluss für das Geschäftsjahr 2015 gefasst wurde. Zudem sei dieses Mitglied zusammen mit einem anderen Mitglied innerhalb des Präsidiums dafür zuständig gewesen, die Vorgänge, die die Finanzierung der politischen Parteien auf europäischer Ebene betreffen, weiter zu verfolgen.
Hinreichende Garantien für Unvoreingenommenheit erforderlich
Das Gericht wies anschließend darauf hin, dass in Anbetracht des Umstands, dass der Inhalt der Erklärungen, die abgegeben worden waren, bevor der angefochtene Beschluss für das Geschäftsjahr 2015 gefasst wurde, kategorisch und eindeutig war, der Anschein der Unvoreingenommenheit ernstlich erschüttert worden sei. Es betonte, dass das Parlament hinreichende Garantien dafür bieten müsse, dass jeder Zweifel daran ausgeschlossen sei, dass seine Mitglieder bei der Beschlussfassung in administrativen Angelegenheiten unvoreingenommen seien, was einschließe, dass sich Parlamentsmitglieder Äußerungen darüber enthalten, ob die politischen Parteien auf europäischer Ebene die ihnen gewährten Gelder gut oder schlecht verwalten, solange die Akten noch geprüft würden.
Keine unmittelbare oder mittelbare Finanzierung anderer politischer Parteien
Sodann prüfte das Gericht, ob bestimmte Ausgaben zur Finanzierung einer Umfrage im Vereinigten Königreich zuschussfähig sind oder nicht. Das Gericht wies darauf hin, dass Gelder für politische Parteien auf europäischer Ebene, die aus dem Gesamthaushaltsplan der Europäischen Union oder aus anderen Quellen stammen, nicht der unmittelbaren oder mittelbaren Finanzierung anderer politischer Parteien, insbesondere nationaler Parteien oder Kandidaten, dienen dürften und dass von der Europäischen Union stammende Gelder nicht zur Finanzierung von Kampagnen für Referenden verwendet werden dürften.
Lediglich der das Vereinigte Königreich betreffende Teil betroffen
Das Gericht bemerkte, dass die streitige Umfrage in Belgien, in Frankreich, in Ungarn, in den Niederlanden, in Polen, in Schweden und im Vereinigten Königreich bei etwa 1.000 stichprobenartig ausgewählten Personen pro Staat durchgeführt worden sei. Die Fragen, die in den sieben Staaten gleich waren, hätten unter anderem die Zugehörigkeit dieser Mitgliedstaaten zur Europäischen Union, das Abstimmungsverhalten der Befragten bei einem eventuellen Referendum über die Unionszugehörigkeit und die Reform der Bedingungen für die Unionszugehörigkeit betroffen. Das Gericht stellte anschließend fest, dass lediglich der das Vereinigte Königreich betreffende Teil der Umfrage unter das Verbot der Finanzierung von Kampagnen für Referenden falle. Daher hält es das Gericht für nicht gerechtfertigt, dass sämtliche Ausgaben für die Umfrage als nicht zuschussfähig erklärt wurden. In Anbetracht des Erfordernisses der Unvoreingenommenheit und der Merkmale der streitigen Umfrage erklärte das Gericht den das Geschäftsjahr 2015 betreffenden Beschluss des Parlaments für nichtig.
Kein Verstoß gegen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Die ADDE ist der Auffassung, dass der das Geschäftsjahr 2017 betreffende Beschluss gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt, weil in dem Beschluss die Vorfinanzierung auf 33% des Gesamtbetrags der Finanzhilfe begrenzt und gleichzeitig eine Bankgarantie verlangt wird. Das Gericht wies darauf hin, dass das Parlament befugt sei, sowohl die Stellung einer Bankgarantie zu verlangen als auch die Höhe der Vorfinanzierung zu begrenzen, um das mit der Auszahlung der Gelder verbundene finanzielle Risiko für die Europäische Union zu begrenzen. Das Gericht stellte fest, dass alternative Maßnahmen nicht ermöglicht hätten, die finanziellen Interessen der Union in gleicher Weise zu wahren wie die vom Parlament beschlossenen Maßnahmen. Werde nämlich die Finanzhilfe gekündigt, wenn der Empfänger für insolvent erklärt oder abgewickelt wird, lasse sich durch die Kündigung nicht gewährleisten, dass das Parlament die ausgezahlten Gelder gegebenenfalls zurückerlangen könne. Das Gleiche gelte für die bloße Begrenzung der Vorfinanzierung auf 33% der Finanzhilfe ohne Anforderung einer Bankgarantie, da eine solche bloße Begrenzung nicht zu gewährleisten vermöge, dass das Parlament die ausgezahlten Gelder gegebenenfalls zurückerlange. In Anbetracht des Ermessens, das dem Parlament bei der Festlegung der Maßnahmen zukomme, die geeignet und erforderlich seien, um die Union vor einem finanziellen Risiko zu schützen, gelangte das EuG daher zu dem Ergebnis, dass kein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vorliegt.
Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt
Das Gericht verneinte außerdem das Vorliegen eines Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da das Präsidium des Parlaments gleichzeitig vergleichbare Maßnahmen zur Minderung des finanziellen Risikos beschlossen hatte, die sieben Empfänger betrafen, darunter die ADDE. Zudem möge das Parlament zwar in Betracht gezogen haben, bestimmte Empfänger um Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Finanzlage zu ersuchen, sei aber bei allen Empfängern in Betracht gezogen worden, und es gebe keinen Hinweis darauf, dass das Parlament diese Möglichkeit bestimmten Empfängern tatsächlich angeboten hätte, nicht aber der ADDE. Das Gericht wies daher den Antrag auf Nichtigerklärung des das Geschäftsjahr 2017 betreffenden Beschlusses zurück.