EU-Rechtsstaatlichkeitsbericht: Kommission sieht Probleme in verschiedenen Mitgliedstaaten

Die Europäische Kommission hat am 30.09.2020 ihren ersten EU-weiten Bericht über die Situation der Rechtsstaatlichkeit in den einzelnen Mitgliedstaaten veröffentlicht. Darin stellt sie in einer Reihe von EU-Staaten rechtsstaatliche Defizite fest, etwa in Ungarn und Polen.

Unabhängigkeit der Justiz

Der jährliche Bericht über die Rechtsstaatlichkeit analysiert die nationalen Justizsysteme, Korruptionsbekämpfung, Medienpluralismus und -freiheit sowie sonstige institutionelle Aspekte im Zusammenhang mit der Gewaltenteilung. Was die Unabhängigkeit der Justiz angeht, äußert der Bericht Bedenken etwa an Ungarn, Polen, Bulgarien und Rumänien. Verfahren nach Art.  7 Abs.  1 liefen gegen Ungarn und Polen wegen der Auswirkungen von Reformen auf die Unabhängigkeit der Justiz. In Bulgarien gäben die Zusammensetzung und die Funktionsweise des obersten Justizrates und die Inspektion des obersten Justizrates Anlass zu Bedenken. In Rumänien fänden die in den Jahren 2017-2019 beschlossenen umstrittenen Reformen, die mit negativen Auswirkungen auf die Unabhängigkeit der Justiz einhergingen, weiterhin Anwendung. Erwähnt wird auch die Debatte in Deutschland um das Weisungsrecht der Landesjustizminister gegenüber Staatsanwälten.

Korruptionsbekämpfung

Bei der Korruptionsbekämpfung gebe die Wirksamkeit der Ermittlungsverfahren, der Strafverfolgung und der Verurteilung in Korruptionsfällen, unter anderem auch bei hochrangigen Korruptionsfällen, in mehreren Mitgliedstaaten Anlass zu Bedenken, darunter in Bulgarien, Malta, Kroatien, der der Slowakei, der Tschechischen Republik und Ungarn. Für Deutschland zeichnet der Bericht ein gemischtes Bild: Der gesetzliche und institutionelle Rahmen sei «weitgehend vorhanden», es gebe Richtlinien für Seitenwechsler zwischen Wirtschaft und Politik. Die Regeln zur Transparenz von Lobby-Aktivitäten ließen aber noch zu wünschen übrig: «Die verpflichtende Registrierung von Kontakten sowohl zu Mitgliedern des Bundestags und zu Mitgliedern der Bundesregierung fehlt.» Nach Kritik, dass ein öffentliches Verzeichnis zunächst nur für Verbindungen ins Parlament vorgesehen sein sollte, hatten sich Abgeordnete mehrerer Bundestagsfraktionen auch für ein Lobbyregister der Bundesregierung ausgesprochen.

Medienfreiheit und -pluralismus

Bedenken hat die Kommission auch hinsichtlich der Medienfreiheit und des Medienpluralismus in einigen EU-Staaten. Dabei steht Ungarn im Fokus. Hier wie in weiteren EU-Staaten bestehe das Risiko politischer Einflussnahme auf die Medien. So seien in Ungarn angesichts des Fehlens von Rechtsvorschriften und Transparenz bei der Verteilung staatlicher Werbung erhebliche Mittel für staatliche Werbung regierungsfreundlichen Unternehmen zugewiesen worden, wodurch der Regierung die Tür geöffnet worden sei, um indirekten politischen Einfluss auf die Medien auszuüben. Ferner seien Journalisten und andere Medienakteure Drohungen oder gar Angriffen ausgesetzt.

Zivilgesellschaft unter Druck

In einigen EU-Staaten sei die Zivilgesellschaft aufgrund von Rechtsvorschriften, die den Zugang zu ausländischen Finanzquellen einschränkten, oder wegen Hetzkampagnen mit ernsthaften Herausforderungen konfrontiert. In Bulgarien würden beispielsweise neue Gesetzentwürfe zur Transparenz ausländischer Finanzmittel für NRO aufgrund ihrer möglichen negativen Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft kritisiert. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe im Juni 2020 festgestellt, dass in Ungarn ein Gesetz von 2017 über die Transparenz von mit ausländischen Mitteln finanzierten Organisationen der Zivilgesellschaft unvereinbar mit dem freien Kapitalverkehr und dem Recht auf Vereinigungsfreiheit ist. In Polen richteten sich ungünstige Erklärungen von Vertretern öffentlicher Stellen gegen NRO, wodurch der zivilgesellschaftliche Raum beeinträchtigt werde. Auf LGBTI+-Gruppen ausgerichtete Maßnahmen der Regierung, die auch die Festnahme und Haft einiger Vertreter der Gruppen einschließe, sowie Hetzkampagnen gegen diese Gruppen hätten die Befürchtungen verstärkt.

Redaktion beck-aktuell, 30. September 2020.