EU-Parlament dringt auf Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien bei Corona-Maßnahmen

Mit Blick auf die Corona-Pandemie und den durch sie bedingten Ausnahmezustand warnt das Europäische Parlament vor dem Risiko des Machtmissbrauchs. Zur Bekämpfung des Infektionsgeschehens ergriffene Notmaßnahmen müssten notwendig, verhältnismäßig und zeitlich begrenzt sein, wenn sie die Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und die Achtung der Grundrechte beeinträchtigen.

Umgehung parlamentarischer Kontrolle befürchtet

Nationale Regierungen sollten Notstandsbefugnisse nicht missbrauchen, "um mit dem Ziel, die parlamentarische Kontrolle zu umgehen, Gesetze zu verabschieden, die nicht mit den Zielen für gesundheitliche Notlagen in Verbindung mit COVID-19 im Zusammenhang stehen", heißt es in einer Entschließung des Parlaments vom 13.11.2020 zu den Auswirkungen der COVID-19-Maßnahmen auf die Demokratie, die Grundrechte und die Rechtsstaatlichkeit.

Länder sollen "Ausnahmezustand" begrenzen oder beenden

Darüber hinaus sollen die EU-Länder nach dem Willen der Abgeordneten ihren "Ausnahmezustand" beenden oder zumindest die Ziele, den Inhalt und den Umfang der Übertragung von Befugnissen vom Gesetzgeber an die Exekutive ausdrücklich festlegen. Eine angemessene parlamentarische und gerichtliche Kontrolle müsse gewährleistet werden. Die EU-Länder sollen weder die Versammlungsfreiheit unangemessen einschränken noch das Demonstrationsverbot dazu einsetzen, umstrittene Maßnahmen zu ergreifen. Von Maßnahmen, die erhebliche Auswirkungen auf die Grundrechte hätten, wie etwa die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen (auch in Bezug auf das De-facto-Verbot des Schwangerschaftsabbruchs in einigen Mitgliedstaaten), sei abzusehen.

Recht auf freie und faire Wahlen und auf Bildung zu wahren

Es gelte, das Recht auf freie und faire Wahlen aufrechtzuerhalten, insbesondere im Zusammenhang mit Änderungen des Wahlrechts. Für diejenigen, die sich zur Wahl stellen und Wahlkampf betreiben, müssten die gleichen Rechte gewährleistet werden. Es seien alternative Formen der Stimmabgabe zu erwägen. Bei der Freizügigkeit gelte es, äußerste Zurückhaltung bei Einschränkungen zu üben, insbesondere in Bezug auf das Recht auf Familienleben. Die Mitgliedstaaten müssten das Recht auf Bildung garantieren und die Fortsetzung des Unterrichts und einen wirksamen Zugang für alle Schüler sicherstellen.

Zugang zu Asylverfahren muss garantiert bleiben

Der Zugang zu Asylverfahren müsse trotz der Pandemie garantiert sein und die sofortige Evakuierung der Lager auf den griechischen Inseln und die Umsiedlung von Asylsuchenden in andere Mitgliedstaaten sei anzugehen. Auch seien Lösungen zu finden, um die Rechte der Angeklagten durch Technologie oder justizielle Zusammenarbeit zu sichern und die Rechte der Gefangenen zu schützen.

Kommission soll bisherige Maßnahmen der Länder bewerten

Schließlich fordert das Parlament die Kommission nachdrücklich auf, zusätzlich zu der ersten derartigen Einschätzung in ihrem ersten Jahresbericht zur Rechtsstaatlichkeit eine Bewertung der während der "ersten Welle" der COVID-19-Pandemie ergriffenen Maßnahmen in Auftrag zu geben und gegebenenfalls rechtliche Maßnahmen zum Schutz der Grundwerte der EU zu prüfen.

Redaktion beck-aktuell, 16. November 2020.