EU-Parlament stimmt für Sperrklausel bei Europawahlen

Düstere Aussichten für EU-Abgeordnete kleiner Parteien: Das Europaparlament hat sich für eine Sperrklausel bei den nächsten Parlamentswahlen ausgesprochen. Damit könnten Politiker und Mitarbeiter von Parteien wie den Freien Wählern, der Satirepartei Die Partei oder der Tierschutzpartei bei den nächsten Wahlen ihre Mandate verlieren. Das EU-Parlament einigte sich am Dienstag auf eine gemeinsame Position zur Reform des Europawahlrechts.

Sperrklausel von 3,5% in bevölkerungsreichsten EU-Staaten

323 Abgeordnete stimmten in Straßburg für einen entsprechenden Gesetzesvorschlag, 262 dagegen. Dieser sieht die Einführung einer Sperrklausel von 3,5% in den bevölkerungsreichsten EU-Staaten vor. De facto würde sich aber nur etwas für Deutschland ändern: In den anderen beiden betroffenen Ländern – Frankreich und Italien – gibt es bereits eine Prozenthürde.

Einführung transnationaler Listen

Die Reformpläne der Fraktionen sehen neben der Sperrklausel auch die Einführung transnationaler Listen vor, die zu gleichen Teilen mit Männern und Frauen besetzt sein sollen. Nach den Vorstellungen des Parlaments sollen 28 neue Sitze im EU-Parlament geschaffen werden, die über solche europaweiten Listen gefüllt würden. Die Wähler bekämen dafür eine zweite Stimme.

Wahl soll einheitlich am 9. Mai stattfinden

Zudem soll einheitlich am 09.05.2022 gewählt werden, der Tag kann von den einzelnen Ländern zum Feiertag erklärt werden. Am 09.05., dem Europatag, hatte der französische Außenminister Robert Schuman 1950 die Produktionsgemeinschaft Kohle und Stahl vorgeschlagen, einen EU-Vorläufer. In Ausnahmefällen kann die Wahl in Überseegebieten auch früher stattfinden.

Vertreter kleiner Parteien schockiert

Während größere Parteien den Schritt begrüßen, äußerten sich Vertreterinnen und Vertreter der kleinen Parteien schockiert. "Diese schamlose Selbstbedienung ist ein Affront gegen das Bundesverfassungsgericht und ein Anschlag auf unsere Demokratie", sagte etwa Patrick Breyer von den Piraten. Dieses hatte 2014 – mit Blick auf den innerdeutschen Versuch, eine Sperrklausel einzuführen – geurteilt, dass diese gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien verstoße und damit verfassungswidrig sei. Mit dem Weg über die EU-Ebene wird nun der Einflussbereich des BVerfG umgangen, EU-Recht hat vor nationalem Recht Vorrang. "CDU und SPD orientieren sich bei ihrem Umgang mit dem BVerfG offenbar an den Regierungen in Polen und Ungarn", kritisierte der Satiriker Martin Sonneborn (Die Partei).

0,7% bis 1% der Stimmen bei Wahl 2019 noch ausreichend

Die Sperrklausel würde bedeuten, dass Parteien, die weniger als 3,5% der Stimmen erreichen, nicht im Straßburger Parlament vertreten wären. Bei den vergangenen Wahlen 2019 konnten etwa die Tierschutzpartei, Volt oder die Ökologisch Demokratische Partei (ÖDP) mit 0,7 bis 1% der Stimmen einen Abgeordneten beziehungsweise eine Abgeordnete ins Parlament entsenden.

Auch Ausnahmeregel hilft wohl nicht weiter

Helmut Scholz (Die Linke) kritisierte das Vorhaben. Er wollte, dass auch die Ausgeschlossenen, die Enttäuschten und kritische Stimmen besser beteiligt werden. Es gibt zwar eine Ausnahmeregel für Parteien, die in mehreren EU-Ländern antreten, dennoch müssen sie EU-weit mindestens eine Million Stimmen bekommen. Eine Hürde, die für Parteien wie Volt oder ÖDP, unüberwindbar sein dürfte. Breyer betont, nicht mal die Piraten, die derzeit mit vier Abgeordneten im Parlament vertreten seien, erreichten die Voraussetzungen annähernd.

EU-Staaten müssen Reform noch zustimmen

Der Grünen-Europaabgeordnete Rasmus Andresen bezeichnete die Einigung als historisch. Er bedauere jedoch die Sperrklausel, die auf Wunsch von CDU und CSU in das Paket gekommen sei. Gaby Bischoff von der SPD zeigte sich nach Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses auf Twitter erfreut. Am Morgen hatte sie bereits mitgeteilt: "Eine umfassende Wahlreform könnte die EU weiter demokratisieren." Bevor die Pläne Realität werden könnten, müssen die EU-Staaten zustimmen. Unklar ist, ob die Reform vor der nächsten Europawahl – voraussichtlich 2024 – in Kraft tritt.

Redaktion beck-aktuell, 4. Mai 2022 (dpa).