EU-Kartellwächter werfen Amazon Bruch der Wettbewerbsregeln vor

Die Europäische Kommission hat Amazon von ihrer vorläufigen Auffassung in Kenntnis gesetzt, dass das Unternehmen auf Online-Einzelhandelsmärkten gegen die EU-Kartellvorschriften verstößt. Die EU-Kartellwächter werfen Amazon vor, nichtöffentliche Geschäftsdaten von unabhängigen Händlern, die über den Amazon-Marktplatz verkaufen, systematisch für das eigene, in unmittelbarem Wettbewerb mit diesen Händlern stehende Einzelhandelsgeschäft zu nutzen.

Zudem zweites förmliches Kartellverfahren eingeleitet

Ferner hat die Kommission ein zweites förmliches Kartellverfahren eingeleitet, um zu prüfen, ob Amazon eigene Angebote und Angebote von Verkäufern, die die Logistik- und Versanddienste von Amazon nutzen, bevorzugt behandelt.

Doppelfunktion Amazons

In Bezug auf ihre Mitteilung der Beschwerdepunkte zur Nutzung von Marktplatz-Verkäuferdaten durch Amazon führt die Kommission aus, Amazon habe als Plattform eine doppelte Funktion. Zum einen stelle das Unternehmen einen Online-Marktplatz zur Verfügung, über den unabhängige Händler ihre Produkte direkt an Verbraucher verkaufen können. Zum anderen treffe das Unternehmen auf diesem Marktplatz selbst als konkurrierender Einzelhändler auf.

Zugang zu nichtöffentlichen Geschäftsdaten unabhängiger Verkäufer

Amazon habe als Marktplatz-Dienstleister Zugang zu nichtöffentlichen Geschäftsdaten unabhängiger Verkäufer, wie zum Beispiel der Zahl der bestellten und ausgelieferten Produkte, den von den Verkäufern über den Marktplatz erzielten Einnahmen, der Anzahl der Aufrufe von Angeboten der Verkäufer, den Versanddaten, der bisherigen Aktivität der Verkäufer und den geltend gemachten Verbraucherrechten für Produkte (zum Beispiel in Anspruch genommene Garantien).

Amazon nutzt Daten zu seinem Vorteil

Bisherige Ergebnisse der Kommission zeigten, dass den Mitarbeitern des Einzelhandelsgeschäfts von Amazon sehr große Mengen nichtöffentlicher Verkäuferdaten zur Verfügung stünden, die direkt in die automatisierten Systeme des Geschäfts flössen, wo sie aggregiert und genutzt würden, um Endkundenangebote und strategische Geschäftsentscheidungen von Amazon auszutarieren - zum Nachteil der anderen Verkäufer auf dem Marktplatz, so die Kommission. Amazon könne so beispielsweise seine Angebote auf diejenigen Produkte einer Kategorie konzentrieren, die sich am besten verkaufen, und seine Angebote auf der Grundlage nichtöffentlicher Daten konkurrierender Verkäufer gegebenenfalls anpassen.

Missbrauch marktbeherrschender Stellung im Raum

Die Kommission vertritt in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte vorläufig die Auffassung, dass Amazon durch Nutzung nichtöffentlicher Verkäuferdaten die normalen mit dem Wettbewerb im Einzelhandel verbundenen Geschäftsrisiken vermeiden und seine beherrschende Stellung im Bereich der Marktplatz-Dienste in Frankreich und Deutschland, den größten Märkten für Amazon in der EU, ausweiten kann. Bestätige sich dieses Vorgehen, läge ein Verstoß gegen Art. 102 AEUV vor, nach dem der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung verboten ist.

Untersuchung der Amazon-Geschäftspraxis zum Einkaufswagen-Feld und zu "Prime"

Zur zweiten kartellrechtlichen Untersuchung, die die Kommission zur Geschäftspraxis von Amazon eingeleitet hat, führt die EU-Behörde aus, sie habe Bedenken, dass das Unternehmen die eigenen Einzelhandelsangebote und die Angebote von Marktplatz-Verkäufern, die die Logistik- und Zustellungsdienste von Amazon nutzen ("Versand-durch-Amazon"), bevorzugt behandelt. Die Kommission werde insbesondere prüfen, ob die Kriterien, nach denen Amazon das Einkaufswagen-Feld vergibt und es Verkäufern ermöglicht, Prime-Kunden zu beliefern ("Prime durch Verkäufer"), zu einer Vorzugsbehandlung der Angebote von Amazon oder der Angebote von Verkäufern, die die Logistik- und Versanddienste von Amazon nutzen, führen.

Erreichbarkeit von Prime-Kunden für Marktplatz-Verkäufer wird untersucht

Über das gut sichtbar auf der Amazon-Website angezeigte Einkaufswagen-Feld könnten Kunden Produkte eines bestimmten Einzelhändlers direkt in ihren Einkaufswagen legen, erläutert die Kommission. Für Verkäufer sei die Zuweisung dieses Felds (das heißt die Anzeige ihres Angebots in dem Feld) von entscheidender Bedeutung, da dort nur das Angebot des jeweiligen Verkäufers für ein gewähltes Produkt erscheint und der überwiegende Teil aller Verkäufe über dieses Feld generiert wird. Ferner beziehe sich die Untersuchung auf die Möglichkeit von Marktplatz-Verkäufern, Prime-Kunden wirksam zu erreichen. Da die Zahl der Prime-Nutzer ständig zunimmt und Prime-Kunden in der Regel mehr Produkte über Amazon bestellen als andere Kunden, sei es für die Verkäufer wichtig, sie mit ihren Angeboten zu erreichen.

Auch hier Verstoß gegen Art. 102 AEUV möglich

Sollten sich die Bedenken der Kommission bestätigen, würde ein Verstoß gegen Art. 102 AEUV vorliegen, nach dem der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung verboten ist.

Redaktion beck-aktuell, 11. November 2020.