Erste BGH-Entscheidung zum Daimler-Thermofenster
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Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass das Inverkehrbringen eines in der Motorsteuerung installierten "Thermofensters" für sich genommen nicht als sittenwidrige Handlung einzustufen ist. Etwas anderes gelte nur, wenn die Umstände ein verwerfliches Handeln erkennen lassen. Im konkreten Fall hat das Gericht der Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers gleichwohl wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs durch die Vorinstanz stattgegeben.

Daimler-Käufer verlangte Schadensersatz für Thermofenster-Abgassteuerung

Der Kläger erwarb 2012 ein Daimler Benz Diesel-Fahrzeug mit einem Motor der Baureihe OM 651, bei dem die Abgasreinigung über eine Abgasrückführung erfolgt. Letztere wird bei kühleren Temperaturen reduziert ("Thermofenster"), wobei zwischen den Parteien streitig ist, bei welchen Außentemperaturen dies der Fall ist. Der Kläger behauptet, die Motorsteuerung reduziere bei einstelligen positiven Außentemperaturen die Abgasrückführung und schalte sie schließlich ganz ab. Dies führe zu einem erheblichen Anstieg der Stickoxidemissionen. Er sieht in der Steuerung der Abgasrückführung eine unzulässige Abschalteinrichtung und behauptet, die Beklagte habe diese Funktion dem Kraftfahrbundesamt (KBA) gezielt vorenthalten und verschleiert. Mit seiner Klage verlangt der Kläger von der Beklagten die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs.

Klage war vorinstanzlich erfolglos

Die Vorinstanzen wiesen die Klage zurück. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts steht dem Kläger kein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gegen die Beklagte zu. Das Inverkehrbringen des vom Kläger erworbenen Fahrzeugs sei unabhängig von der objektiven Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des in der Motorsteuerung installierten "Thermofensters" weder als sittenwidrige Handlung einzustufen noch ergebe sich daraus der erforderliche Schädigungsvorsatz der Beklagten. Es könne ohne konkrete Anhaltspunkte nicht unterstellt werden, dass die Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein agiert hätten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Die Gesetzeslage sei hinsichtlich der Zulässigkeit von "Thermofenstern" nicht eindeutig.

Keine sittenwidrige Schädigung – BGH gibt Nichtzulassungsbeschwerde trotzdem statt

Der Bundesgerichtshof hat der Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers stattgegeben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das Berufungsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass die Entwicklung und der Einsatz der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) für sich genommen nicht ausreichten, um einen Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) zu begründen. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit sei vielmehr nur dann gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen.

Nicht mit unzulässigem VW-Thermofenster vergleichbar

Der Einsatz eines sogenannten Thermofensters sei nicht mit der Fallkonstellation zu vergleichen, die dem Senatsurteil zum VW-Motor EA189 vom 25.05 2020 zugrunde gelegen habe (VI ZR 252/19, BeckRS 2020, 10555).Dort habe der Automobilhersteller die grundlegende strategische Frage, mit welchen Maßnahmen er auf die Einführung der - im Verhältnis zu dem zuvor geltenden Recht strengeren - Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm reagieren würde, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse dahingehend entschieden, von der Einhaltung dieser Grenzwerte im realen Fahrbetrieb vollständig abzusehen und dem KBA stattdessen zwecks Erlangung der Typgenehmigung mittels einer eigens zu diesem Zweck entwickelten Motorsteuerungssoftware wahrheitswidrig vorzuspiegeln, dass die von ihm hergestellten Dieselfahrzeuge die neu festgelegten Grenzwerte einhalten.

Vorliegend kein arglistiges Handeln ersichtlich

Bei dem Einsatz eines Thermofensters fehle es dagegen an einem derartigen arglistigen Vorgehen, das die Qualifikation seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde. Die im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzte temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung unterscheide nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befinde. Sie weise keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviere und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziere, sondern arbeite in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise.

Vorwurf der Sittenwidrigkeit wäre nur bei Hinzutreten verwerflicher Umstände anzunehmen

Bei dieser Sachlage wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur gerechtfertigt, wenn zu dem – vom Berufungsgericht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellten - Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setze jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hätten.

Vorbringen des Klägers wurde nicht ausreichend gewürdigt - OLG muss neu entscheiden

Unter den Umständen des Einzelfalles rechtsfehlerhaft habe das Berufungsgericht aber angenommen, der Kläger habe für ein derartiges Vorstellungsbild sprechende Anhaltspunkte nicht aufgezeigt. Unter Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör habe es das Vorbringen nicht berücksichtigt, wonach die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren unzutreffende Angaben über die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems gemacht habe soll. Hiermit müsse sich das Berufungsgericht noch befassen.

BGH, Beschluss vom 19.01.2021 - VI ZR 433/19

Redaktion beck-aktuell, 26. Januar 2021.