Zivilrichter debattieren über Rechtsstaatspakt und Überlastung

Am 13.10.2021 ist in Koblenz die 73. Tagung der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichtshofs zu Ende gegangen. Die Teilnehmenden berieten über aktuelle rechtspolitische Fragen sowie Themen der gerichtlichen Praxis und sprachen sich für eine Aufarbeitung der Flutkatastrophe aus.

Fortschreibung und Intensivierung des Rechtsstaatspakts beschlossen

Nach einhelliger Überzeugung der Tagungsteilnehmer müssen alle Dienste im Bereich der Justiz personell weiter verstärkt werden, um die bisher erzielten Erfolge und die Erledigung neuer gesetzlicher Aufgaben zu sichern. Darüber hinaus sehen die Präsidentinnen und Präsidenten in der Digitalisierung der Justiz, insbesondere der zeitgemäßen Ausstattung mit einer leistungsfähigen, stabilen und anwenderfreundlichen eAkte, der Weiterentwicklung von “e-justice“, der IT-Sicherheit sowie dem Ausbau von Online-Verhandlungen und mobilem Arbeiten ein Zukunftsprojekt von überragender Bedeutung. Nur mit diesen Projekten könne die Justiz den Anforderungen an eine zügige und bürgernahe Rechtsgewährung gerecht werden. Deshalb befürworten sie den Beschluss der Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminister zur Fortschreibung und Intensivierung des Rechtsstaatspakts und fordern die Bundesregierung auf, diesen Pakt durch einen erneuten Finanzzuschuss substanziell zu unterstützen.

Justizüberlastung durch Dieselfälle und andere Massenklagen

Als weiterer Themenschwerpunkt wurden die erheblichen Herausforderungen durch massenhaft in gleich gelagerten Fällen eingereichte Zivilklagen, insbesondere in “Dieselfällen“, erörtert. In einem Beschluss zur Problematik der Massenverfahren erklärten die Präsidentinnen und Präsidenten, dass selbst bei Ausschöpfung aller organisatorischen, technischen und personellen Möglichkeiten eine Bewältigung in der gebotenen Qualität und Zeit nicht möglich sei. Streitentscheidungen blieben in wesentlichen Bereichen der Zivilrechtspflege unerledigt. Die Verfahrensdauer steige in allen Bereichen stark an. Die herkömmlichen Verfahren der Musterfeststellungsklagen trügen nicht zu den gebotenen schnellen Lösungen von Rechtsfragen bei und erfüllten die Erwartungen der Verkehrskreise nicht. Hier sei daher eine schnelle Herstellung der Handlungsfähigkeit durch ergänzende gesetzgeberische Maßnahmen geboten. Diese müssten auch die Veränderungen des Rechtsdienstleistungsmarktes in den Blick nehmen. Nach Auffassung der Tagungsteilnehmer dürfte es sich anbieten, Änderungen spätestens mit der Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie zu verbinden. Die Präsidentinnen und Präsidenten bieten hierzu eine aktive Einbringung der vielfältigen Erfahrungen bei der Bewältigung von massenhaften Klagen im Gesetzgebungsverfahren an. Eine enge Beteiligung der Praxis sei unumgänglich.

Für Digitalisierung ohne “Rechtsprechungsautomaten“

Die Einsatzmöglichkeiten künstlicher Intelligenz in der Justiz waren ein weiteres Schwerpunktthema der Tagung. Einen “Rechtsprechungsautomaten“ schlossen die Präsidentinnen und Präsidenten auch für die Zukunft aus. Es solle bei der richterlichen Entscheidungsverantwortung bleiben. Die Tagungsteilnehmer sind der Überzeugung, dass nur die Entscheidungsfindung durch den Menschen dem Wesen des Rechtsstaates ausreichend Rechnung trägt und den qualitativen Anforderungen an die Rechtsprechung genügt. Die Arbeit der Gerichte sinnvoll unterstützen könne intelligente Software dagegen im Vorfeld der richterlichen Tätigkeit. Die Einführung der elektronischen Akte, die bereits heute in weitem Umfang die herkömmliche Papierakte ersetze, biete insoweit vielfältige Einsatzmöglichkeiten, etwa beim Zuordnen digital eingehender Schriftsätze und beim Anlegen der elektronischen Akte.

Redaktion beck-aktuell, 14. Oktober 2021.

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