Erfolgloses AfD-Ablehnungsgesuch: Abendessen mit Regierung macht BVerfG-Richter nicht befangen

Zum Auftakt der Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht über Äußerungen der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zur Thüringen-Wahl hat der Zweite Senat ein Ablehnungsgesuch der AfD verworfen. Das mit dem Besuch einer BVerfG-Delegation bei der Bundesregierung begründete Gesuch sei offensichtlich unzulässig, da es sich auf eine gänzlich ungeeignete Begründung stütze.

AfD monierte gemeinsames Abendessen mit Regierung 

Mit Schriftsatz vom 09.07.2021 lehnte die Antragstellerin sämtliche Mitglieder des Zweiten Senats wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Eine Delegation des Gerichts sei unter Leitung des Präsidenten und der Vizepräsidentin am 30.06.2021 zu einem Treffen mit den Mitgliedern der Bundesregierung nach Berlin gereist. Auf Einladung der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe ein gemeinsames Abendessen mit der Bundesregierung stattgefunden. Die Teilnahme daran nur wenige Wochen vor der mündlichen Verhandlung begründe die Besorgnis der Befangenheit gegen alle teilnehmenden Richterinnen und Richter des Zweiten Senats, so die Antragstellerin. Zudem lehnte sie auch die Mitglieder des Ersten Senats, die an dem Abendessen teilnahmen, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, sofern diese gemäß § 19 Abs. 1 BVerfGG über die Ablehnung der Mitglieder des Zweiten Senats oder gemäß § 19 Abs. 4 Satz 1 BVerfGG in den Organstreitverfahren entscheiden sollten.

BVerfG: Ablehnungsgesuch offensichtlich unzulässig

Das Ablehnungsgesuch gegen die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats ist laut BVerfG bereits offensichtlich unzulässig. Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters oder einer Richterin des BVerfG nach § 19 BVerfGG setze einen Grund voraus, der geeignet ist, Zweifel an der Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dabei komme es nicht darauf an, ob der Richter oder die Richterin tatsächlich parteilich oder befangen ist oder sich selbst für befangen hält. Entscheidend sei allein, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit des Richters oder der Richterin zu zweifeln.

Regelmäßige Treffen mit Bundesregierung Ausdruck des Interorganrespekts

Nach Ansicht des BVerfG ist der Vortrag der Antragstellerin im konkreten Fall offensichtlich ungeeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Das BVerfG sei Teil der rechtsprechenden Gewalt und zugleich oberstes Verfassungsorgan. Als solches sei es in das grundgesetzliche Gewaltenteilungsgefüge eingebunden und nehme an der Ausübung der Staatsgewalt teil. Das Verhältnis der obersten Verfassungsorgane sei – auch jenseits der eigentlichen Ausübung ihrer jeweiligen Kompetenzen – auf gegenseitige Achtung, Rücksichtnahme und Kooperation angelegt. Die regelmäßigen Treffen des BVerfG mit der Bundesregierung zum Gedanken- und Erfahrungsaustausch seien im Sinne eines "Dialogs der Staatsorgane" Ausdruck dieses Interorganrespekts. Gleiches gelte für die regelmäßig stattfindenden Besuche des Bundespräsidenten beim BVerfG sowie die Treffen des BVerfG mit Mitgliedern des Deutschen Bundestages. Die Treffen im Rahmen dieses Dialogs oberster Verfassungsorgane seien gänzlich ungeeignet, Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richterinnen und Richter des BVerfG zu begründen.

Austausch wäre sonst wegen ständiger Befassung mit Handeln von Verfassungsorganen unmöglich

Etwas Anderes folge nicht daraus, dass zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Treffens die vorliegenden Organstreitverfahren gegen die Bundeskanzlerin beziehungsweise die Bundesregierung anhängig waren. Dagegen spreche bereits, dass das Gericht permanent mit Verfahren befasst ist, welche das Handeln der Bundesregierung oder anderer oberster Verfassungsorgane betreffen. Führe allein dies dazu, dass von Zusammenkünften im Rahmen des institutionalisierten Interorganaustauschs abgesehen werden müsste, würde dieser Austausch unmöglich. Zudem käme darin ein Misstrauen gegenüber den Mitgliedern des BVerfG zum Ausdruck, das dem grundgesetzlich und einfachrechtlich vorausgesetzten Bild des Verfassungsrichters widerspreche.

Zeitliche Nähe zur mündlichen Verhandlung begründet keine Zweifel

Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass allein die zeitliche Nähe des Treffens ohne irgendeinen inhaltlichen Bezug zur mündlichen Verhandlung dazu führen könnte, dass die Richterinnen und Richter des BVerfG nicht mehr über die innere Unabhängigkeit und Distanz verfügen, die sie befähige, über die Gegenstände der vorliegenden Organstreitverfahren unvoreingenommen und objektiv zu entscheiden. Soweit die Antragstellerin anzudeuten scheine dass die Einladung der Bundeskanzlerin gerade aus Anlass der vorliegenden Organstreitverfahren ausgesprochen worden sei, handele es sich schließlich um eine Mutmaßung ohne sachlichen Hintergrund. Bei offensichtlicher Unzulässigkeit seien die abgelehnten Richterinnen und Richter zur Abgabe einer dienstlichen Erklärung nicht verpflichtet und von der Entscheidung über das offensichtlich unzulässige Ablehnungsgesuch nicht ausgeschlossen. Daher habe es einer Entscheidung über das Ablehnungsgesuch gegen die Richterinnen und Richter des Ersten Senats vor diesem Hintergrund nicht bedurft, so das BVerfG.

BVerfG, Beschluss vom 20.07.2021 - 2 BvE 4/20

Redaktion beck-aktuell, 21. Juli 2021.