Entwurf der Gruppe Castellucci – Regelung im StGB
Beide Entwürfe eint, dass mit ihnen Voraussetzungen geschaffen werden sollen, unter denen Suizidwillige Zugang zu tödlich wirkenden Medikamenten erhalten können. Dazu sind unter anderem Änderungen im Betäubungsmittelgesetz vorgesehen. Beide Entwürfe sehen zudem eine Regulierung der Werbung für Hilfe zur Selbsttötung im Heilmittelwerbegesetz sowie jeweils eine Evaluierung vor. Der Castellucci-Entwurf (BT-Drs. 20/904) strebt eine Regelung im Strafgesetzbuch – einen neuen § 217 StGB – an, die geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung grundsätzlich unter Strafe stellt (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahre oder Geldstrafe) und Ausnahmen normiert, unter denen Förderungshandlungen nicht rechtswidrig sind. Nicht rechtswidrig ist die Förderungshandlung danach, wenn der volljährige und einsichtsfähige Suizidwillige mindestens zwei Untersuchungstermine sowie mindestens ein Beratungsgespräch absolviert hat.
Zwei Untersuchungen - mit Ausnahmen
Die Untersuchung hat demnach zum Ziel, festzustellen, dass "keine die autonome Entscheidungsfindung beeinträchtigende psychische Erkrankung vorliegt und nach fachlicher Überzeugung das Sterbeverlangen freiwilliger, ernsthafter und dauerhafter Natur ist". Dafür sollen in der Regel mindestens zwei Termine mit einem Mindestabstand von drei Monaten vorausgesetzt werden. In Ausnahmefällen, wenn die untersuchende Person zu dem Schluss kommt, dass dies für die suizidwillige Person "nicht zumutbar" ist, "insbesondere bei Vorliegen einer nicht heilbaren, fortschreitenden und weit fortgeschrittenen Erkrankung bei einer zugleich begrenzten Lebenserwartung, und wenn von einer weiteren Untersuchung offensichtlich keine weitere Erkenntnis zur Freiwilligkeit, Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit des Sterbeverlangens zu erwarten ist", soll ein Untersuchungstermin ausreichen. Die Untersuchungen sollen von einer Fachärztin beziehungsweise einem Facharzt der Fachrichtungen Psychiatrie oder Psychotherapie oder einer Person mit psychotherapeutischer Qualifikation, die jeweils nicht an der Selbsttötung beteiligt sind, vorgenommen werden. Gegenüber dem ursprünglichen Entwurf wurde mit dem Änderungsantrag der Kreis um Psychotherapeuten beziehungsweise Psychotherapeutinnen erweitert.
Beratungsgespräch
Die untersuchende Person soll laut Entwurf auch Maßgaben für mindestens ein "individuell angepasstes, umfassendes und ergebnisoffenes Beratungsgespräch" entwickeln. Dieses Beratungsgespräch "mit einem multiprofessionellen und interdisziplinären Ansatz bei einem weiteren Arzt oder einer weiteren Ärztin, einem Psychotherapeuten oder einer Psychotherapeutin, einer psychosozialen Beratungsstelle, einer Suchtberatung oder einer Schuldenberatung" soll vor der abschließenden Untersuchung stattfinden. Das Gespräch soll laut Entwurf unter anderem eine "Aufklärung über den mentalen und physischen Zustand", "Möglichkeiten der medizinischen Behandlung und Alternativen zur Selbsttötung" sowie "mögliche psychologische und physische Auswirkungen eines fehlgeschlagenen Selbsttötungsversuchs sowie soziale Folgen einer durchgeführten Selbsttötung" umfassen.
Wartefrist
Nach Abschluss der Untersuchung- und Beratungsphase soll laut Entwurf vor der Selbsttötung eine Wartefrist von zwei Wochen eingehalten werden. Die Selbsttötung muss laut Entwurf innerhalb von zwei Monaten "nach der letzten psychiatrischen oder psychotherapeutischen Untersuchung" erfolgen. Die Möglichkeit zur Verschreibung tödlich wirkender Medikamente soll Ärztinnen und Ärzten über eine Änderung im Betäubungsmittelgesetz eingeräumt werden.
Änderung: Werbeverbot gestrichen
Gegenüber dem ursprünglichen Entwurf nahm der Rechtsausschuss auf Antrag der Gruppe Castellucci einige Änderungen (die Erweiterung des Kreises der zur Untersuchung qualifizierten Personen wurde schon erwähnt) an dem Entwurf an. Unter anderem soll durch Ergänzungen im SGB XI sowie im Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz sichergestellt werden, dass "Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens grundsätzlich nicht verpflichtet sind, an einer Selbsttötung mitzuwirken oder die Durchführung von Förderungshandlungen zur Selbsttötung in ihren Räumlichkeiten zu dulden", wie es in dem Änderungsantrag heißt. Entsprechende Forderungen hatten Vertreter aus der Hospizbewegung in der Sachverständigenanhörung geäußert. Gestrichen wurde das ursprünglich im StGB vorgesehene Werbeverbot für die Hilfe zur Selbsttötung.
Entwurf der Gruppe Helling-Plahr/Künast - Suizidhilfegesetz
Der Entwurf der Gruppe Helling-Plahr/Künast, in dem die ursprünglich zwei Entwürfe der Gruppe um Katrin Helling-Plahr (BT-Drs. 20/2332) und der Gruppe um Renate Künast (BT-Drs. 20/2293) zusammengeführt wurden, sieht im Kern ein neues Suizidhilfegesetz ("Gesetz zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben und zur Regelung der Hilfe zur Selbsttötung") vor. Danach soll "jeder, der aus autonom gebildetem, freiem Willen sein Leben eigenhändig beenden möchte", das Recht haben, "hierbei Hilfe in Anspruch zu nehmen". Zudem soll auch das "Recht auf Hilfeleistung" festgeschrieben werden. Die Verschreibung eines tödlich wirkenden Medikaments durch einen Arzt oder eine Ärztin setzt laut Entwurf grundsätzlich eine Beratung voraus. Zudem ist eine Härtefallregelung vorgesehen und eine Regelung, die eine Abgabe ohne Verschreibung durch einen Arzt oder eine Ärztin vorsieht. Eine Pflicht zur Hilfe zur Selbsttötung soll laut Entwurf ausgeschlossen werden, ebenso soll es nicht möglich sein, einer Person "aufgrund ihrer Berufszugehörigkeit" die Mitwirkung beziehungsweise die Nicht-Mitwirkung an der Hilfe zur Selbsttötung zu untersagen.
Beratung
Laut Entwurf soll das Gesetz "eine autonome und vollinformierte Entscheidungsfindung suizidwilliger Personen sicherstellen". Wesentlich zur Feststellung des autonom gebildeten, freien Willens ist eine Beratung. Laut Entwurf soll ein Recht, "sich zu Fragen der Hilfe zur Selbsttötung beraten zu lassen", festgeschrieben werden. Die Beratung ist demnach "ergebnisoffen zu führen, darf nicht bevormunden und muss vom Grundwert jedes Menschenlebens ausgehen". In der Beratung sollen "die für eine Entscheidung für oder gegen eine Selbsttötung erheblichen Gesichtspunkte" vermittelt werden, unter anderem "die Bedeutung und die Tragweite der Selbsttötung", Handlungsalternativen sowie "die Folgen einer Selbsttötung und eines fehlgeschlagenen Selbsttötungsversuches auch für das nähere persönliche und familiäre Umfeld". Zu der Beratungen können demnach im Einvernehmen weitere Personen, beispielsweise Ärztinnen oder Psychologen, hinzugezogen werden. Keine Beratung soll laut Entwurf von einer Person vorgenommen werden dürfen, "die an einer späteren Hilfe zur Selbsttötung beteiligt ist".
Beratungsstellen
Der Entwurf sieht vor, dass die Länder für ein ausreichendes Angebot an Beratungsstellen Sorge zu tragen haben. Beratungsstellen bedürfen demnach einer staatlichen Anerkennung, auch freie Träger und Ärztinnen und Ärzte sollen anerkennungsfähig sein. Zu den Anerkennungsvoraussetzungen soll unter anderem zählen, dass die Beratungsstelle über "hinreichend persönlich und fachlich qualifiziertes und der Zahl nach ausreichendes Personal verfügt". Ferner soll eine Beratungsstelle "mit keiner Einrichtung, in der Hilfe zur Selbsttötung geleistet wird, derart organisatorisch oder durch wirtschaftliche Interessen verbunden" sein, "dass hiernach ein materielles Interesse der Beratungseinrichtung an der Durchführung von Hilfe zur Selbsttötung nicht auszuschließen ist". Für einen Übergangszeitraum – längsten bis zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes – soll jeder Arzt oder Ärztin eine Beratung ohne Anerkennung vornehmen dürfen.
Ärztliche Aufklärung und Vorlage einer Beratungsbescheinigung
Die Verschreibung eines tödlich wirkenden Medikaments durch einen Arzt oder eine Ärztin setzt laut Entwurf eine Beratung in einer anerkannten Beratungsstelle voraus, zudem soll der verschreibende Arzt oder die Ärztin verpflichtet sein, "die suizidwillige Person mündlich und in verständlicher Form über sämtliche für die Selbsttötung wesentlichen medizinischen Umstände aufzuklären". Bei erkrankten suizidwilligen Personen ist zudem "auch auf Behandlungsmöglichkeiten und Möglichkeiten der Palliativmedizin hinzuweisen". Die Verschreibung soll dann möglich sein, wenn die suizidwillige Person sich höchsten zwölf Wochen und mindestens drei Wochen vorher hat beraten lassen.
Verzicht auf Beratungsbescheinigung in Härtefällen
Der Entwurf sieht zudem eine Härtefallregelung vor, die es Ärztinnen und Ärzten ermöglicht, auf die Vorlage einer Beratungsbescheinigung in besonderen Härtefällen zu verzichten. Diese Einschätzung soll laut Entwurf von einer weiteren Ärztin oder Arzt bestätigt werden müssen. Zudem sieht der Entwurf vor, dass in Ausnahmefällen auch eine nach Landesrecht zuständige Stelle einer suizidwilligen Person "eine einer ärztlichen Verschreibung gleichstehende Erlaubnis zum Erwerb eines Arznei- oder Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung" erteilen muss, wenn die Voraussetzungen für die ärztliche Verschreibung vorliegen und die suizidwillige Person glaubhaft macht, dass eine ärztliche Verschreibung "nicht in zumutbarer Weise zu erlangen ist". In einem Nebenaspekt sieht der Entwurf eine strafrechtliche Regelung vor. Die strafbare Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203 StGB) soll auch im Kontext der im Entwurf vorgesehen Beratungsstellen einschlägig sein.
Neuregelung durch BVerfG-Urteil veranlasst
Hintergrund der avisierten Neuregelung ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26.02.2020 (BeckRS 2020, 2216). Das BVerfG hatte das 2015 beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für nichtig erklärt und betont, dass die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, – als Ausdruck des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben – auch die Freiheit umfasse, "hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen".