Energieausschuss: Experten kritisieren Novelle des EnSiG

Der Ausschuss für Klimaschutz und Energie hat sich am 09.05.2022 mit der Reform des Energiesicherungsgesetzes 1975 befasst. Grundlage der Anhörung war ein Entwurf, mit dem die Bundesregierung die Energieversorgungssicherheit mit Gas im Krisenfall sichern will. Er sieht Regelungen vor, um unklaren Einfluss- und Rechtsverhältnissen bei Betreibern kritischer Infrastrukturen entgegenwirken zu können. Nicht unumstritten sind dabei die Möglichkeit von Enteignungen und das Recht zur Preisanpassung.

Enteignungen und Recht zur Preisanpassung im Krisenfall

Nach dem Entwurf soll, um die Energie-Versorgungssicherheit zu gewährleisten, die Möglichkeit einer Treuhandverwaltung und als Ultima Ratio auch die Möglichkeit einer Enteignung geschaffen werden. Außerdem ist die Möglichkeit für Preisanpassungen bei verminderten Gasimporten und großen Preissprüngen vorgesehen. Im Gesetzestext heißt es dazu, alle Versorger “entlang der Lieferkette“ hätten nach Ausrufung der Gas-Alarm- oder Notfallstufe das Recht, ihre Gaspreise gegenüber ihren Kunden auf ein angemessenes Niveau anzupassen. Die Preisanpassung ist dem Kunden rechtzeitig vor ihrem Eintritt mitzuteilen. Zudem sollen in Krisensituationen Energiesparmaßnahmen angeordnet werden können. Die Änderung des Energiesicherungsgesetzes soll am 12.05.2022 im Bundestag abschließend beraten werden.

DIHK fordert mehr Rechtssicherheit

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag mahnte mehr Rechtssicherheit an. Er ist der Ansicht, dass mehrere Bestimmungen des Gesetzentwurfs unklar sind und zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen würden. Schon der Begriff des Krisenfalls sei nicht definiert, was zur Folge habe, dass Unternehmen gar nicht wüssten, worauf sie sich vorbereiten sollten. Kritisch sehe man insbesondere die Verfahren für die treuhänderische Verwaltung und Enteignung. Eingriffe in Eigentum sollten immer nur im absoluten Notfall erfolgen, wenn kein milderes Mittel mehr zur Verfügung stehe. Daher ist aus Sicht des DIHK eine Kontrolle durch den Bundestag wünschenswert - und sei es im Nachhinein. Zur Weitergabe sprunghaft steigender Gaskosten über die Lieferkette bis an die Letztverbraucher befindet der DIHK, der Gedanke sei verständlich, könne aber in der Konsequenz zu Firmenschließungen führen. Sinnvoller sei es, Gaslieferanten direkt zu stützen oder zumindest über ein Stufenmodell der Kostenweitergabe nachzudenken.

Kommunale Unternehmen für Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) sieht vor allem die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen. Im Falle eines Lieferstopps russischen Gases zum Beispiel sollte, ähnlich wie es das in der Corona-Krise gab, für Energieversorgungsunternehmen, die infolge der Energiekrise unter Liquiditätsengpässen litten und bei denen die Gefahr einer Überschuldung bestehe, eine vorübergehende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vorgesehen werden. Dies solle es betroffenen Unternehmen ermöglichen, staatliche Unterstützungsleistungen zu beanspruchen und eine wirtschaftliche Schieflage zu überwinden.

Energiehändler lehnen Enteignungen und Recht zur Preisanpassung ab

Der Verband Deutscher Energiehändler (EFET) betrachtet den Gesetzentwurf sehr kritisch.  Die Vorschriften zur Treuhandverwaltung und Enteignung seien zu weitgehend. Es sollte zwingend klargestellt werden, dass vor einem solchen Schritt für Energieversorgungsunternehmen mit mehrheitlich deutschen Anteilseignern Finanzhilfen ermöglicht werden. Nicht weniger kritisch sehe man die Preisanpassungsregeln. Ein Eingriff in die Privatautonomie würde wegen der individuellen Gestaltung und der Vielzahl von EFET-Verträgen zu unvorhersehbaren Ergebnissen führen. Zudem unterlägen die EFET Gas-Verträge mehrheitlich englischem Recht - die in Deutschland verordnete Preisanpassung könnte vor englischen Gerichten nicht durchsetzbar sein. Damit wäre der Handel mit erheblicher Rechtsunsicherheit und Gerichtskostenrisken belastet. Der EFET rechne mit einer Welle von Vertragskündigungen, finanziellen Schieflagen und Insolvenzen im In- und Ausland.

BNetzA begrüßt das Regierungsvorhaben

Die Bundesnetzagentur begrüßte das Regierungsvorhaben, mit der Gesetzesnovelle im Krisenfall schnell handlungsfähig zu sein und unterstrich die Bedeutung der Rechtsgrundlage für die Sicherheitsplattform Gas und die Notwendigkeit der Preisanpassungsklausel. Mit der digitalen Plattform Gas werde ein Datenportal geschaffen, in dem sich unter anderem alle großen Gasverbraucher registrieren müssten. Ziel sei es, der Bundesnetzagentur in einer Gasmangellage aktuelle Daten online zur Verfügung zu stellen. Die Datengrundlage unterstütze die Bundesnetzagentur insbesondere in der Entscheidung über erforderliche Versorgungsreduktionen im Krisenfall. Die Preisanpassungsnorm des § 24 EnSiG-E sei zwingend notwendig, um in einer außergewöhnlichen Notlage (erhebliche Verminderung der Gasimportmengen nach Deutschland) die Gaslieferketten aufrechtzuerhalten. Es werde auf diese Weise verhindert, dass der Markt kaskadenartig zusammenbreche und damit die Versorgungssicherheit in Gefahr gerate.

Netzbetreiber fordern Klarstellung der Verantwortlichkeiten

Auch die Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber (VNB) Gas begrüßte die Initiative der Regierung. Als zentrales Manko werde aber die unklare Abgrenzung und das Zusammenspiel zwischen den netzstabilisierenden Maßnahmen der FNB gemäß § 16 Abs. 2 EnWG und den Maßnahmen des Bundeslastverteilers im Rahmen des EnSiG zur Reduzierung des Gasbezugs angesehen. Die Regelungen nach dem EnWG seien nicht eingeführt worden, um eine länger andauernde Gasmangellage zu bewältigen, sondern sie seien den Fernleitungsnetzbetreibern ausschließlich zur Aufrechterhaltung der System- und Netzstabilität nach rein technischen Gesichtspunkten an die Hand gegeben worden. Bei Eintreten einer Gasmangellage seien Situationen nicht unwahrscheinlich, in denen die FNB bereits netzstabilisierende Maßnahmen anwenden müssten, die Bundesnetzagentur aber noch nicht als Bundeslastverteiler agiere. Es sei dringend geboten, den rechtssicheren, zügigen Übergang der Verantwortung an die Bundesnetzagentur und damit auch der Haftung in dem aktuellen Gesetzentwurf zu verankern.

Energie- und Wasserwirtschaft hält Regelungen für unzureichend

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft kritisiert die Regelungen zur Entschädigung als nicht ausreichend. Sie bedürften einer Konkretisierung. So seien sie auf die bisherigen punktuellen Krisenszenarien zugeschnitten, deckten aber nicht das aktuell konkret im Raum stehende Szenario einer politischen Eskalation und des Ausbleibens aller Lieferungen aus Russland ab. Die Entschädigung für eine Enteignung nach § 11 EnSiG orientiere sich an dem üblichen Entgelt für vergleichbare Leistung im Wirtschaftsverkehr. Falls es an einer vergleichbaren Leistung fehle oder ein übliches Entgelt nicht zu ermitteln sei, solle die Bemessung der Entschädigung unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten erfolgen. Es fehle der für die Bemessung der Entschädigung relevante Zeitpunkt, den die Vorschrift ebenfalls festlegen sollte. Dies könnte entweder der Zeitpunkt der geplanten Lieferung oder der Zeitpunkt des Einkaufs sein. Falls nur ein “Vermögensnachteil“ eintrete, der keine Enteignung oder keinen enteignungsgleichen Eingriff darstelle, erfolge nur der Härteausgleich nach § 12 EnSiG, nämlich nur, soweit existenzgefährdende Schäden oder eine unbillige Härte vorlägen. Ungeregelt sei jedoch der Fall, dass mehrere Maßnahmen ergriffen werden, von denen jede für sich noch nicht existenzgefährdend sei, jedoch in der Gesamtschau erhebliche wirtschaftliche Schäden bei den betroffenen Unternehmen entstünden, die insgesamt existenzgefährdend sein können.

Redaktion beck-aktuell, 10. Mai 2022.