Keine Meldepflicht für Ärzte von fahrungeeigneten Personen
Eines der diesjährigen Themen war eine ärztliche Meldepflicht fahrungeeigneter Personen. Im Rahmen seiner Abschlussempfehlung führt der VGT aus, dass Ärztinnen und Ärzte verantwortungsvoll in die Beratung möglicherweise fahrungeeigneter Patienten eingebunden sind. Sie seien regelmäßig die ersten Ansprechpartner bei Fragen zur Fahreignung. Insbesondere ein intaktes Arzt-Patienten-Verhältnis sei notwendig, damit sich Patientinnen und Patienten vertrauensvoll mitteilen können. Im Ergebnis sei eine ärztliche Meldepflicht fahrungeeigneter Personen jedoch abzulehnen. Bei begründetem Verdacht auf fehlende Fahreignung und nach Ausschöpfung therapeutischer und beratender Optionen solle vielmehr nur eine Mitteilung an die Fahrerlaubnisbehörde zulässig sein. Zudem wird mit Verweis auf die Rechtssicherheit empfohlen, die medizinischen Voraussetzungen, bei deren Vorliegen behandelnde Ärztinnen und Ärzte Kenntnisse an Behörden weitergeben dürfen, zu präzisieren. Nach Ansicht des VGT besteht in verkehrsmedizinischer Hinsicht ein erheblicher ärztlicher Aus-, Fort- und Weiterbildungsbedarf. Vorrangig sollten jedoch niederschwellige Angebote zum Erhalt der Fahreignung und zu alternativer Mobilität in größerem Umfang etabliert und beworben werden.
VGT gegen Anpassung der Promillegrenzen für E-Scooter
Des Weiteren empfiehlt der VGT, die Alkohol-Grenzwerte für E-Scooter von 0,5 Promille (Ordnungswidrigkeit) und 1,1 Promille (Straftat) beizubehalten. Dafür spreche insbesondere das festgestellte Fahrverhalten und Unfallgeschehen beim Führen von E-Scootern unter Alkoholeinfluss. Es werde begrüßt, dass Verleiher von E-Scootern auf eine korrekte und verkehrssichere Nutzung nachdrücklich hinwirken. Darüber hinaus werde aber auch eine enge Zusammenarbeit zwischen Verleihunternehmen und Polizeibehörden sowie weiteren Partnern der Verkehrssicherheitsarbeit zur Unfallprävention empfohlen. In die Unfallpräventionsarbeit seien die privaten E-Scooter-Nutzer einzubeziehen.
Aber: Fahrverbot bei Trunkenheitsfahrt mit E-Scooter ausreichend
Dem Gesetzgeber empfiehlt der VGT , § 69 Abs. 2 StGB - nach dem bei einem der dort genannten Vergehen der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist - dahingehend zu ändern, dass die Regelvermutung für eine Entziehung der Fahrerlaubnis bei einer Trunkenheitsfahrt gemäß § 316 StGB mit einem fahrerlaubnisfreien Elektrokleinstfahrzeug wie etwa einem E-Scooter nicht greift. Die Verhängung eines Fahrverbotes gemäß § 44 StGB sei grundsätzlich ausreichend. Es bleibe Aufgabe der Fahrerlaubnisbehörde, die Fahreignung in diesen Fällen zu prüfen. Allerdings seien die Anforderungen an die Fahreignung für fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge und die möglichen Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde bei Ungeeignetheit nicht hinreichend klar geregelt. Insofern schließt sich der VGT der Aufforderung des BVerwG in seinem Urteil von Dezember 2020 an, der Gesetz- und Verordnungsgeber möge hier für Klarheit sorgen.
Zugang zu Fahrzeugdaten: VGT fordert Lösung auf EU-Ebene
Laut VGT bedarf außerdem der Zugang zu Fahrzeugdaten unverzüglich einer sektorspezifischen Lösung auf EU-Ebene. Die Bundesregierung werde aufgefordert, ein Konzept vorzulegen, das den technischen Zugang zu Fahrzeugdaten für die Nutzenden sowie berechtigte Dritte regelt und die Interessen von Verbrauchern, Wirtschaft, Forschung und Öffentlichkeit angemessen berücksichtigt. Der exklusive technische Zugriff der Hersteller auf die Fahrzeugdaten sollte in ein anderes Modell überführt werden, bei dem der Hersteller gleichberechtigt wie andere Dritte behandelt wird. Über die Freigabe der Fahrzeugdaten müsse grundsätzlich der Datengenerierende entscheiden können (Datenhoheit). Die Regelung müsse sowohl den fairen Wettbewerb, Innovation und die Wahlfreiheit von Fahrzeugnutzenden sicherstellen als auch dem Datenschutz, der Datensicherheit und der Sicherheit im Straßenverkehr Rechnung tragen. Das Konzept habe allerdings auch sicherzustellen, dass Polizei und Justiz im Rahmen ihrer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen Zugriff auf Fahrzeugdaten gewährt wird. Insofern werde empfohlen, die General Safety Regulation (EU 2019/2144) zeitnah anzupassen.
Fahrerermittlung: Längere Verjährungsfristen und Exkulpationsmöglichkeit für Halter
Der VGT hat sich auch einigen haftungsrechtlichen Themen gewidmet, darunter der Halterhaftung bei Verkehrsverstößen. Nach Ansicht des VGT steht der verfassungsrechtliche Rahmen in Deutschland angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Einführung einer umfassenden Halterverantwortlichkeit für Verkehrsverstöße entgegen. Auch durch Europarecht könne eine solche jedenfalls für Deutschland nicht begründet werden. Um die Ermittlung des verantwortlichen Fahrers besser gewährleisten zu können, empfiehlt der VGT eine Verlängerung der Verfolgungsverjährungsfrist bei Verstößen nach § 24 StVG von drei auf sechs Monate. Um Defizite für den Fall zu minimieren, dass der Fahrer nicht ermittelt werden kann, fordert der VGT den Gesetzgeber auf, die Einführung einer Halterverantwortlichkeit im Verwarnungsbereich mit Exkulpationsmöglichkeit, wie einer Fahrerbenennung, zu prüfen. Darüber hinaus sei die Einführung einer bußgeldbewehrten Fahrerbenennungspflicht durch den Halter in Betracht zu ziehen, zumindest aber die Verpflichtung des Fahrzeughalters zur Tragung der tatsächlich anfallenden Kosten des Verwaltungsverfahrens auch im fließenden Verkehr analog § 25a StVG.
Kein Bedarf für KI-Haftung im Straßenverkehr
Der VGT hat sich auch etwaigen Haftungsproblemen beim autonomen Fahren gewidmet. Da die in Deutschland geltende Gefährdungshaftung des Kraftfahrzeughalters technikneutral sei und sowohl konventionell als auch durch KI gesteuerte Kraftfahrzeuge erfasse, bestehe trotz des zunehmenden Betriebs autonomer Kraftfahrzeuge kein Anlass, die bewährte Halterhaftung aufzugeben oder zu ändern. Die von der EU-Kommission in Aussicht genommene Richtlinie über KI-Haftung werde für die deutsche Verkehrsunfallhaftung keine Bedeutung erlangen.
Aber: Produkthaftung als Regressinstrument des Kfz-Haftpflichtversicherers
Demgegenüber werde die von der EU-Kommission vorgeschlagene Anpassung der Produkthaftungsrichtlinie an digitale Produkte grundsätzlich unterstützt: Je mehr Einfluss der Hersteller auf die Steuerung des Kraftfahrzeugs gewinnt, desto stärker rücke die Produkthaftung als Regressinstrument des Kfz-Haftpflichtversicherers in den Fokus. Denn nicht mehr Fahrfehler, sondern vor allem Produktfehler des Kraftfahrzeugs würden dann Ursache von Unfällen sein. Es werde empfohlen, den Anwendungsbereich der Produkthaftung so zu erweitern, dass auch beruflich genutzte Gegenstände einbezogen und Unternehmen als Geschädigte anerkannt werden. Wenn sich in ferner Zukunft autonome Kraftfahrzeuge im Verkehr durchgesetzt haben und Unfälle so selten geworden sind, dass die vom Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr keine Halterhaftung mehr rechtfertigt, werde man einen gesetzlichen Übergang von der Halterhaftung zur Produkthaftung des Herstellers überlegen können. Die Realisierung dieser Produkthaftung dürfe dann für den Geschädigten nicht schwieriger als bei der heutigen Halterhaftung sein.
Fahrtenbuchauflage – Halterhaftung durch die Hintertür
Des Weiteren empfiehlt der VGT eine Änderung des § 31a Abs. 1 StVZO, der die Anordnungsmöglichkeit eines Fahrtenbuchs gegenüber Fahrzeughaltern für den Fall vorsieht, dass die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einem Verkehrsverstoß nicht möglich war. Demnach sollte dem Halter bei erstmaligem punkterelevantem Verstoß die Führung eines Fahrtenbuchs angedroht werden, wenn der Verantwortliche trotz der gebotenen Ermittlungen nicht festgestellt werden konnte. Im Wiederholungsfall könne binnen 15 Monaten ab dem Tattag des zur Androhung führenden Verstoßes eine Fahrtenbuchauflage angeordnet werden. Dies solle eine einheitlichen Anwendung der Vorschrift sicherstellen. Ergänzend sollte eine effiziente Durchführbarkeit sowie eine wirksame Kontrolle der Einhaltung der Fahrtenbuchauflage sichergestellt werden.
Reparaturkostenersatz: 130%-Rechtsprechung nicht zu beanstanden
Das in der Rechtsprechung zum Reparaturkostenersatz entwickelte "4-Stufen-Modell" hält der VGT grundsätzlich für sachgerecht. Dies gelte auch für die sogenannte 130%-Rechtsprechung (3. Stufe), wonach der Geschädigte sein Fahrzeug auch dann reparieren lassen darf, wenn die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs bis zu 30% übersteigen. Hierdurch werde ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Geschädigten und des Schädigers beziehungsweise Haftpflichtversicherers erreicht. Dem Risiko eines Missbrauchs sei im Einzelfall Rechnung zu tragen. Dem Schädiger/Haftpflichtversicherer stehe grundsätzlich ein Überprüfungsrecht hinsichtlich der geltend gemachten Schadensersatzansprüche zu. Er habe jedoch das Werkstatt- und Prognoserisiko zu tragen. Ein eventueller Streit über die Höhe der Reparaturkosten ist im Verhältnis zwischen Schädiger und Werkstatt/Sachverständigem auszutragen. Sofern den Geschädigten kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden trifft, könne sein Schadensersatzanspruch daher nicht wegen einer möglicherweise überhöhten Reparaturrechnung gekürzt werden. Der Geschädigte habe in der Regel eventuelle Ansprüche gegenüber der Werkstatt/dem Sachverständigen abzutreten.
Schmaler Grat zwischen Fehler und Verstoß im Luftverkehr ("Just Culture")
Schließlich hat sich der VGT noch dem Luftverkehr gewidmet. Hinsichtlich der zunehmenden Bedeutung einer Fehlerkultur in sicherheitssensiblen Bereichen sollte das Vertrauen in Meldesysteme geschützt werden. Daher sollte im Falle des Tätigwerdens von Strafverfolgungsbehörden die Zusammenarbeit mit Luftfahrtbehörden verstärkt werden, um eine faire, gerechte und ausgewogene Beurteilung des Sachverhalts sicherzustellen. In Ordnungswidrigkeits- oder Strafverfahren sollten soweit nötig unverzüglich Sachverständige hinzugezogen werden und für Staatsanwaltschat und Richterschaft sollten spezielle Fortbildungsmaßnahmen im Bereich Flugsicherheit angeboten werden.