Die Bundesgerichte sind nur zu 2,1% mit Ostdeutschen besetzt. Das ist zwar ein Plus gegenüber 2018 mit damals 1,4%, doch ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung beträgt rund 20%. Diese Erkenntnis stammt aus dem "Elitenmonitor" für das Jahr 2022, den die Universitäten Leipzig und Jena sowie die Hochschule Zittau/Görlitz am Mittwoch vorgestellt haben.
Insgesamt sind die Schaltstellen der Macht demnach zu 12,2% mit Menschen aus den neuen Bundesländern besetzt. Detailliert untersucht haben die Forscher auch die Spitzenpositionen in etlichen weiteren Bereichen der Gesellschaft – in Politik (20,9%), Unternehmen, Kultur (8,0%) und Medien (8,1%) etwa, ebenso in der Wissenschaft (8,2%), der Verwaltung (14,0%) und bei den Tarifpartnern (13,2%), in Verbänden (13,0% auch mit einem Blick auf Organisationen von Migranten), Glaubensgemeinschaften (7,3%), Polizei und Verfassungsschutz (10,3%) sowie der Bundeswehr (0,0%). Gegenüber 2018 haben Ostdeutsche vor allem bei Spitzenpositionen der Wissenschaft und der öffentlichen Verwaltung aufgeholt.
Der Geburtsort zählt
Die Antwort auf die Frage, wie viele der Inhaberinnen und Inhaber von Elitenpositionen Ostdeutsche sind, hing für die Studie auch davon ab, wer als ostdeutsch gilt. Das erläuterte Justus Junkermann vom Institut für Politikwissenschaften der Universität Leipzig gegenüber beck-aktuell. Es gebe eine Reihe von Möglichkeiten, so den Geburts- oder Wohnort, die Selbstidentifikation oder den Ort, an dem ein Mensch aufwuchs. "Dabei ist weiterhin eine klare Trennung in ost- und westdeutsch schwierig, da viele Menschen verschieden lange in Ost- oder Westdeutschland wohnen." Denn: Gilt jemand mit westdeutschen Eltern als westdeutsch, wenn er seit dem 14. Lebensjahr in Erfurt wohnt? "Dennoch verwenden wir hier den Geburtsort, da für den allergrößten Teil der Eliten und auch der Bevölkerung Geburtsregion, Sozialisation und Wohnregion kongruent nach Ost- oder Westdeutschland bzw. DDR und BRD verortet werden können", fasst Junkermann die Definition zusammen.
Bei den Bundesgerichten berücksichtigten die Forscher die Positionen der Präsidentinnen und Präsidenten, ihrer Vizes sowie der Vorsitzenden und ihrer Stellvertretenden aller Senate. Darüber hinaus wurde für die OLG die Präsidialebene untersucht. Bei Personen in der Bundesjustiz, die mehrere Elitepositionen gleichzeitig innehaben, welche sich direkt voneinander ableiten, wurde nur die jeweils höchste Stellung gezählt. Daher seien beispielsweise beim BVerfG 14 statt 16 "einfache" Richterinnen und Richter erfasst, da zwei von ihnen gleichzeitig die Ämter des Präsidenten (Stephan Harbarth) und der Vizepräsidentin (Doris König) sowie den Vorsitz jeweils eines Senats innehaben. "Da diese Funktionen nicht voneinander zu trennen sind, wurde das jeweils höchste Amt, in diesem Fall die (Vize-)Präsidentschaft, kodiert."
Appell für Nachwahl am BVerfG
"Juristen aus Ostdeutschland sind gravierend unterrepräsentiert", kritisierte der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD). Dagegen gab es bei Leitungspositionen im Wissenschaftssektor zumindest einen deutlichen Anstieg von 1,6% auf 8,2%, wie er unterstrich.
Unionsfraktionsvize Sepp Müller (CDU) appellierte laut tagesschau.de an Bundestag und Bundesrat: "Bei der kommenden Neubesetzung am Bundesverfassungsgericht sollte der Osten in jedem Fall berücksichtigt werden." Beide Organe wählen je zur Hälfte die Posten. Müller forderte Ostdeutsche zudem auf, sich besser zu vernetzen.
Co-Autorin Astrid Lorenz erinnerte nach diesem Bericht daran, dass Westdeutsche nach der Wende viele Führungspositionen im Osten übernommen und diese aufgrund ihres jungen Alters lange gehalten hätten. Überdies neigten Eliten dazu, ihresgleichen als Nachfolger zu rekrutieren. Auch fehlende Englisch-Kenntnisse und nicht als gleichwertig angesehene DDR-Abschlüsse spielten eine Rolle. Doch seien Ostdeutsche als Teil der eigenen Landespolitik selbst für viele Karrierewege verantwortlich gewesen, sagte sie.