Von "Juristen-Schwemme" zu Nachwuchsmangel
Die rund 100 Seiten starke Expertise wurde auf Initiative des
nordrhein-westfälischen Justizministeriums von 15 Bundesländern in
Auftrag gegeben. Der Untersuchungsauftrag: Wie ist es von der
einstigen "Juristen-Schwemme" zum Nachwuchsmangel gekommen und wie
kann die Zahl der Studienabbrecher gesenkt werden?
Motivation und Identifikation mit Fach fehlt
Herausgekommen ist eine umfangreiche Mängelliste mit zahlreichen
Reformvorschlägen zum Jurastudium. Besonders auffällig sind aus Sicht
der Forscher fehlende Motivation und Identifikation vieler
Jurastudenten mit dem Fach, schwierige Studienbedingungen sowie "eine
beträchtliche Distanz" und "sehr geringe Kommunikation zwischen
Lehrenden und Studierenden". Kontakt zu den Professoren sei die
Ausnahme. "Im Jurastudium hat sich bislang keine Tradition eines
lebendigen Diskurses zwischen Lehrenden und Studierenden entwickelt",
heißt es in dem Gutachten.
Abbrecherquote liegt bei 24%
In keinem anderen Fach wird das Studium so spät abgebrochen: im
Durchschnitt nach etwa fünf Semestern, im Jurastudium dagegen erst
nach fast sieben. Mehr als ein Viertel der Jura-Abbrecher zieht die
Reißleine sogar erst nach dem zehnten Semester. Insgesamt liege die
Abbrecherquote bei Jura mit 24% zwar unter dem
Fächer-Durchschnitt (32% ), sei aber weitaus höher als in
anderen Studiengängen mit Staatsexamen.
"Orientierungslos und enttäuscht von den Inhalten"
Ein erheblicher Teil der Jurastudierenden habe gleich zu Beginn
Probleme, stellen die Forscher fest. "Zum einen haben sie von Anfang
an Schwierigkeiten, den Leistungsanforderungen gerecht zu werden, zum
anderen sind sie orientierungslos und enttäuscht von den Inhalten."
Unterstützungsangebote unzureichend
Die bisherigen Unterstützungsangebote seien unzureichend. Vielen
fehle zudem der Praxisbezug. Vor allem Nichtakademiker-Kinder haben
demnach Schwierigkeiten, mit der Situation klarzukommen. "Dieser
Nachteil erfährt im Studium häufig keinen Ausgleich", konstatieren
die Gutachter.
Echte Motivation fehlt
Auch an einem anderen Punkt zeigt sich eine Bildungsschere: 92% der erfolgreichen Jura-Absolventen haben ihre
Hochschulzugangsberechtigung am Gymnasium erworben. Die anderen
hätten größere Schwierigkeiten, die Studienanforderungen zu
bewältigen, hält der Bericht fest. Vielen Studierenden fehle zudem eine echte Motivation. "Sie streben
nach beruflichem Aufstieg, ohne dass sie über ein tiefer gehendes
fachliches Fachinteresse verfügen."
Bessere Information sowie verpflichtende Selbsteinschätzungstests und Motivationsschreiben gefordert
Als Gegenmaßnahmen empfehlen die Forscher Informationsangebote für
Schüler, die aus den Medien falsche Vorstellungen über das
Jurastudium bekämen. Sinnvoll seien zudem verpflichtende
Selbsteinschätzungstests und Motivationsschreiben im
Auswahlverfahren. Darüber hinaus sollten die Hochschulen Angebote für
Anfänger mit ungünstigen fachlichen Voraussetzungen oder
Leistungsproblemen machen. Auch bei den Professoren sehen die
Wissenschaftler Nachholbedarf. Sie sollten sich regelmäßig als
Mentoren in Lerngruppen einbringen. Zudem könnten Anreize für eine "stärker studierendenbezogene Lehre" gesetzt werden.
Referendarseinstellungen um 40% zurückgegangen
Nordrhein-Westfalens Justizminister Peter Biesenbach (CDU) sieht dringenden
Handlungsbedarf. Seit dem Jahr 2000 sei die Zahl der
Referendarseinstellungen bundesweit um etwa 40%
zurückgegangen. Auch viele der rund 3.000 Studierenden, die jährlich
in Nordrhein-Westfalen ein Jurastudium aufnähmen, gingen auf dem Weg verloren.
Justizminister für mehr Einblicke während Schulzeit
"Ich komme selbst aus einer Arbeiterfamilie. Daher weiß ich, wie
schwer dieser Weg ist", betonte Biesenbach. In Nordrhein-Westfalen wolle er jeder
Schule anbieten, eine Arbeitsgemeinschaft zur Rechtskunde
einzurichten, um die Schüler in zehn bis zwölf Doppelstunden besser
zu informieren. Außerdem biete er Schülern und Studierenden Praktika
in der Justiz an.
Redaktion beck-aktuell, Bettina Grönewald , 1. Februar 2018 (dpa).
Aus der Datenbank beck-online
Rebehn, Großkanzleien und Unternehmen enteilen der Justiz, DRiZ 2018, 46
Hufen, Der wissenschaftliche Anspruch des Jurastudiums, JuS 2017, 1
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Bergmans, Auf dem Wege zu einem neuen Verständnis der Juristenberufe und Juristenausbildungen, ZRP 2013, 113
Aus dem Nachrichtenarchiv
Hanseuniversität Rostock-Warnemünde startet Studieneignungstest für das Jura-Studium, Meldung der beck-aktuell-Redaktion vom 21.05.2013, becklink 259270