Erfolgloser Eilantrag eines Einzelhandelsunternehmens gegen Betriebsschließung

Das Warenhaus eines Einzelhandelsunternehmens in Erfurt bleibt geschlossen. Ein Eilantrag gegen die Betriebsschließung nach der bis zum 15.03.2021 geltenden Corona-Verordnung bleibt vor dem Oberverwaltungsgericht Thüringen in Weimar erfolglos. Der aktuelle Erlass infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen werfe schwierigste Rechts- und Tatsachenfragen auf, die einer abschließenden Klärung in einem Eilverfahren nicht zugänglich seien, so das Gericht.

Unternehmen: Zumutbarkeitsschwelle überschritten

Die Antragstellerin ist nach eigenen Angaben eines der führenden deutschen Einzelhandelsunternehmen mit Sortimentsschwerpunkt im Textilbereich. Sie betreibt in Erfurt ein großflächiges Warenhaus, zu dem zwei von ihr betriebene Gastronomieeinrichtungen gehören. In der Begründung ihres Eilantrags zweifelte die Antragstellerin an der Verfassungsmäßigkeit der Maßnahmen und bemängelte das Fehlen einer gesetzlichen Ausgleichsregelung zu ihren Gunsten. Zudem taugten die Betriebsuntersagungen nicht zur Infektionsbekämpfung. Als milderes Mittel wären Hygienemaßnahmen und der gezielte Schutz vulnerabler Bevölkerungsgruppen sowie intensive Tests und gezielte Quarantäneanordnungen sowie der Ausbau von Behandlungs- und Personalkapazitäten im Gesundheitsbereich in Betracht gekommen. Die ergriffenen Maßnahmen seien auf jeden Fall auch unangemessen. Die Zumutbarkeitsschwelle sei auch angesichts der Zeitdauer der Betriebsuntersagungen überschritten. Es sei sachlich nicht zu rechtfertigen, dass die mit ihr im Wettbewerb stehenden Supermärkte und Discounter weiterhin mit ihrem gemischten Sortiment Bekleidungs- und Textilwaren verkaufen dürften. Sie werde auch gegenüber kleinen mittelständischen Unternehmen ungleich behandelt, die im Gegensatz zu ihr staatliche Ausgleichsmaßnahmen beanspruchen könnten.

OVG: Notwendigkeit der Infektionsbekämpfung steht außer Frage

Nach Auffassung des OVG Weimar war der Eilantrag aufgrund einer Folgenabwägung abzulehnen. Dabei geht das Gericht davon aus, dass ein Erfolg des Normenkontrollantrags im Hauptsacheverfahren allenfalls offen sei. Durchgreifende, ins Auge springende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage habe es in seiner bisherigen, die Corona-Verordnungen betreffenden Rechtsprechung nicht feststellen können und solche hätten sich auch nicht aus dem Vortrag der Antragstellerin ergeben. Das OVG stellte ferner fest, dass die Grundannahme einer erheblichen Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung und der Notwendigkeit der Infektionsbekämpfung insbesondere aufgrund der Einschätzungen des Robert-Koch-Instituts für ihn nicht in Frage stehe.

Angegriffene Schutzmaßnahme nicht zwingend unverhältnismäßig

Im Eilverfahren ergebe sich auch nicht zwingend die Unverhältnismäßigkeit der hier angegriffenen Schutzmaßnahmen. Die Feststellung einer übertragbaren Krankheit zwinge die zuständigen Behörden zum Handeln, dabei lasse sich nicht immer im Vorfeld bestimmen, welche Schutzmaßnahmen in Frage kommen könnten. Aus den Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes ergebe sich deshalb, dass die Entscheidungen an dem Schutz von Leben und Gesundheit und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems auszurichten seien und auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens zielen müssten.

Einschätzungsspielraum der zuständigen Stelle

Solange die epidemische Lage durch erhebliche Ungewissheiten und sich ständig weiterentwickelnde fachliche Erkenntnisse geprägt sei, habe die zuständige Stelle – hier der Verordnungsgeber – einen Einschätzungsspielraum, soweit sich nicht andere Maßnahmen eindeutig als gleich geeignet und weniger belastend darstellten.

Fortwährende Beobachtungs- und Überprüfungspflicht

Wie der Senat allerdings wiederholt betont habe – und wie es sich mittlerweile auch aus dem Infektionsschutzgesetz ergebe – treffe den Verordnungsgeber bei derart dynamischen Entwicklungen eine fortwährende Beobachtungs- und Überprüfungspflicht, ob und inwieweit er an Einschränkungen festhalte, sie aufrechterhalte oder auch verschärfe. Soweit die Antragstellerin dem Freistaat eine nicht hinreichende Evaluierung beziehungsweise Abwägung vorwerfe, ergebe sich bereits aus den Amtlichen Begründungen der streitigen Rechtsverordnungen, dass vor ihrem Erlass jeweils die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die gesellschaftlichen und politischen Erörterungen auf Bundes- und Landesebene berücksichtigt worden seien.

Effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens

Dem OVG drängten sich derzeit jedenfalls keine Zweifel auf, dass die angegriffenen Maßnahmen unter Beachtung der Verhältnismäßigkeitskriterien eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten ließen. Die Annahme des Antragsgegners, dass eine Reduzierung der Kontakte in der Bevölkerung geeignet sei, dem Infektionsgeschehen entgegenzuwirken und die Zahl der Neuinfektionen wieder nachverfolgbar zu machen, sei nicht zu beanstanden.

Trotz aktueller Fallzahlen und Impfquote noch keine andere Bewertung

Da die Verordnung darauf ziele, in Zeiten eines erheblichen Infektionsgeschehens mit erheblichen Inzidenzwerten Kontakte zwischen Personen grundsätzlich zu vermeiden, erweise sich das Offenhalten von Geschäften und Gaststätten unter verschärften Hygienemaßnahmen nicht als gleich geeignetes und damit milderes Mittel. Jedenfalls geböten die Entwicklung der Fallzahlen und die Impfquote derzeit noch keine abweichende Bewertung. Dieser Feststellung stehe auch nicht entgegen, dass ein wesentliches Infektionsgeschehen in den Bereichen des Einzelhandels nicht nachweisbar sei. Es sei nicht zu beanstanden, dass der Verordnungsgeber von der Feststellung des Robert Koch-Instituts ausgehe, dass in der überwiegenden Anzahl der Infektionen der Ausgangspunkt nicht mehr nachweisbar sei.

Schutz nur besonders gravierend betroffener Personengruppen nicht überzeugend

Die Erforderlichkeit der Maßnahme werde auch nicht mit dem Hinweis der Antragstellerin in Frage gestellt, es sei eine mildere Maßnahme, lediglich die besonders gravierend betroffenen Personengruppen zu schützen. Die Antragstellerin übersehe, dass die Einschränkungen für den Einzelnen gerade auch den Schutz Dritter bezweckten. Im Übrigen sei der Begriff der Risikogruppe viel zu unbestimmt, um allein hierauf zielgerichtete Maßnahmen ergreifen zu können. Solche Maßnahmen wären zudem nicht geeignet, die Infektionsübertragung in der übrigen Bevölkerung und dadurch der gefährdeten Gruppen, zu deren Schutz der Staat verfassungsrechtlich verpflichtet sei, zu verhindern.

Berufsausübung und existenzsichernde Erzielung von Einnahmen nicht vorrangig

Die Berufsausübung und die existenzsichernde Erzielung von Einnahmen hätten angesichts einer in Thüringen weiterhin bestehenden pandemischen Lage mit hohen Infektions-, Krankheits- und Todesraten keinen offensichtlichen Vorrang vor dem staatlichen Auftrag zum Schutz von Leib, Leben und Gesundheit der Bevölkerung. Soweit die Antragstellerin die Frage aufwerfe, "ob es darüber hinaus gesamtgesellschaftlich sinnvoll ist, massivste Beschränkungen zu verhängen, um Personengruppen zu schützen, die ohnehin für jegliche Viren besonders anfällig sind und bereits bei normalen Grippewellen eine erhöhte Letalität aufweisen", weist der Senat die darin liegende Differenzierung menschlichen Lebens als mit den grundgesetzlichen Wertungen unvereinbar zurück.

Entscheidung zu vermeintlicher Ungleichbehandlung erst im Hauptsacheverfahren

Die Klärung der von der Antragstellerin aufgeworfenen Frage der Legitimität der Ungleichbehandlung durch die grundsätzliche Schließung von Geschäften des Einzelhandels für den Publikumsverkehr einerseits und als Ausnahme davon die Öffnung von Geschäften für Waren des täglichen Bedarfs müsse angesichts der notwendigen diffizilen tatsächlichen und rechtlichen Bewertungen dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Der Beschluss ist unanfechtbar.

Redaktion beck-aktuell, 3. März 2021.