Neuer Anlauf nach 2011 und 2016
"Wir müssen in Europa Steuern neu denken", pflichtete Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni bei. An Ehrgeiz mangelt es also nicht. Der Erfolg der Initiative ist freilich fraglich. Wieder einmal, muss man sagen. Denn die Kommission hatte schon 2011 ein ähnliches Konzept vorgelegt: die Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage, abgekürzt GKKB oder auch CCCTB nach dem englischen Begriff. 2016 erneuerte die EU-Behörde den Vorstoß – schon damals mit dem Hinweis auf jährlich 50 bis 70 Milliarden Euro Mindereinnahmen durch Steuervermeidung und "aggressive Steuerplanung", meist durch Verschiebung von Gewinnen in Länder mit niedrigen Steuersätzen. Beide Vorlagen versandeten, weil sich die EU-Staaten nicht einig wurden.
Erste Regeln bereits in einigen Monaten
Kurzfristig kündigt die Kommission jetzt zunächst einige kleinere Initiativen an. So will sie in den nächsten Monaten eine neue Regel auf den Weg bringen, nach der große Konzerne ihre tatsächliche Steuerquote offen legen müssen. Eine zweite Initiative soll den Missbrauch von Briefkastenfirmen für Steuerzwecke eindämmen. Zudem ist ein Vorschlag zur Absetzbarkeit von Kosten für die Finanzierung über Fremdkapital geplant. Und die Kommission empfiehlt den EU-Staaten, Unternehmensverluste aus den Pandemiejahren 2020 und 2021 mit früheren Gewinnen verrechnen zu lassen.
Aus CCCTB soll BEFIT werden
Mittelfristig will die Behörde dann das große Rad drehen: Der alte CCCTB-Vorschlag soll zurückgezogen und 2023 durch ein Konzept namens BEFIT ersetzt werden. Vorerst nennt die Behörde nur Eckpunkte: Geplant sei ein einheitliches Regelwerk für Unternehmen, die in mehreren EU-Staaten tätig sind. Basis sei eine einheitliche Bemessungsgrundlage und eine Verteilformel, also eine Methode, die Rechte zur Besteuerung zwischen den 27 EU-Staaten aufzuteilen. Die Steuersätze würden national bleiben.
Vorteile für Unternehmen
Die EU-Kommission wirbt mit dem Argument der Verlässlichkeit sowohl für Unternehmen als auch für die EU-Staaten. Der Binnenmarkt würde besser funktionieren, und die steuerpflichtigen Unternehmen hätten es leichter. "Firmen, die in der EU Geschäfte betreiben, müssen immer noch mit bis zu 27 verschiedenen nationalen Steuersystemen fertig werden", erklärt die Kommission. Das sei kompliziert und lasse Schlupflöcher – zulasten anderer Steuerzahler.
Unterschiedliche Interessen erschweren Realisierung
Doch nützten diese Argumente bisher wenig, da die Interessen der EU-Staaten weit auseinander laufen. Länder wie Irland, Luxemburg oder die Niederlande haben große Konzerne mit günstigen Steuern angelockt, oft zum Verdruss ihrer Nachbarn und der EU-Kommission. Die versuchte immer wieder, wettbewerbsrechtlich gegen Steuersparmodelle vorzugehen, erlitt aber erst vergangene Woche im Streit mit Luxemburg und dem Digitalriesen Amazon wieder eine Schlappe vor dem EU-Gericht.
Gewinner und Verlierer bei gemeinsamer Bemessungsgrundlage
Luxemburg wehrt sich regelmäßig gegen Vorwürfe unlauterer Steuerpraktiken. Aber eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigte 2019 deutlich, wer bei einer gemeinsamen Bemessungsgrundlage am meisten zu verlieren hätte: Irland, die Niederlande und Luxemburg. Gewinner wären indes Frankreich, Italien, Spanien und auch Deutschland. Genau diese Umverteilung macht eine Einigung schwierig, denn es braucht Einstimmigkeit aller 27 Staaten.
Kommission optimistisch
Kommissar Gentiloni gab sich trotzdem zuversichtlich, dass es diesmal klappen könnte. Zwei Gründe nannte er: Die Situation nach der Pandemie, die eine verlässliche öffentliche Finanzierung nötig mache. Und die für den Sommer anvisierte Einigung auf globale Regeln zur Unternehmensteuer im Rahmen der Industriestaatenorganisation OECD. Auch hier geht es um Verteilformeln, um ähnliche Prinzipien im globalen Maßstab. Darauf könne man aufbauen. "Lasst uns die Herausforderung annehmen", sagte Gentiloni.
Bundesverband der Deutschen Industrie signalisiert Unterstützung
Unterstützung kommt vom Bundesverband der Deutschen Industrie. Doch der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber ist skeptisch. Grundsätzlich sei der Ansatz der Kommission vernünftig. "Allerdings hat sich die Kommission mit ähnlichen Vorschlägen bereits mehrfach eine blutige Nase geholt", meinte Ferber. Der Grünen-Finanzexperte Sven Giegold sieht das ähnlich: "Pläne für mehr Steuergerechtigkeit sind nichts wert, wenn sie von einzelnen Steueroasen per Veto blockiert werden können."