Ein genauerer Blick in den Koalitionsvertrag
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© Michael Kappeler / dpa

Seit zwei Tagen steht der Koalitionsvertrag. Das Regierungsprogramm der künftigen Ampel-Partner umfasst 177 Seiten Text mit Hunderten Absichtserklärungen, Ideen und Vorschlägen. Einige sehr konkrete Vorhaben sind aber auch schon genannt, über die wir Ihnen hier einen ersten Überblick (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) verschaffen wollen.

Berufsrecht für Juristen

Die Koalition will die in den vergangenen Monaten immer wieder in die mediale Öffentlichkeit gerückte Wahl und die Beförderungsentscheidungen für Richterinnen und Richter an den obersten Bundesgerichten neu aufstellen. Entscheidende Kriterien sollen Qualitätssicherung, Transparenz und Vielfalt sein. 

Der Rechtsrahmen für Legal Tech-Unternehmen soll ausgebaut werden, um für sie klare Qualitäts- und Transparenzanforderungen festzulegen. 

Die Rechtsanwaltschaft will die Koalition stärken, indem das Verbot von Erfolgshonoraren "modifiziert" werden soll, ohne dies genauer auszuführen. Auch das Fremdbesitzverbot kommt auf den Prüfstand.

Die Ampel will zudem ein digitales Gesetzgebungsportal schaffen, über das einsehbar ist, in welcher Phase sich Vorhaben befinden. Dort sollen öffentliche Kommentierungsmöglichkeiten erprobt werden. Gesetzentwürfen der Bundesregierung wird künftig eine Synopse beigefügt, die die aktuelle Rechtslage den geplanten Änderungen gegenüberstellt. Gesetze sollen verständlicher werden und die Barrierefreiheit in den Angeboten von Bundestag und Bundesregierung soll ausgebaut werden.

Mietrecht

Die Mietpreisbremse wird bis zum Jahre 2029 verlängert. Qualifizierte Mietspiegel werden gestärkt. Für Gemeinden über 100.000 Einwohnerinnen bzw. Einwohnern werden qualifizierte Mietspiegel verpflichtend. Zur Berechnung sollen die Mietverträge der letzten sieben Jahre herangezogen werden. Nebenkostenabrechnungen sollen transparenter werden. In angespannten Märkten wird die Kappungsgrenze auf elf Prozent in drei Jahren abgesenkt.

Zur Entspannung der Situation auf dem Mietmarkt soll eine neue Bau-, Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik beitragen. Ziel ist
der Bau von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr, davon 100.000 öffentlich geförderte Wohnungen. Dafür wird der Bund seine finanzielle Unterstützung für den sozialen Wohnungsbau inklusive sozialer Eigenheimförderung fortführen und die Mittel erhöhen.

Das Baugesetzbuch soll mit dem Ziel novelliert werden, seine Instrumente effektiver und unkomplizierter anwenden zu können, Klimaschutz und -anpassung, Gemeinwohlorientierung und die Innenentwicklung zu stärken sowie zusätzliche Bauflächen zu mobilisieren und weitere Beschleunigungen der Planungs- und Genehmigungsverfahren vorzunehmen.

Arbeit und Soziales

Den gesetzlichen Mindestlohn will die Ampel in einer einmaligen Anpassung auf zwölf Euro pro Stunde steigen lassen. Unklar ist hier noch der Zeitpunkt. Im Anschluss daran soll die unabhängige Mindestlohnkommission über etwaige weitere Erhöhungsschritte befinden. Bei den Mini- und Midi-Jobs werden Verbesserungen vorgenommen: Hürden, die eine Aufnahme versicherungspflichtiger Beschäftigung erschweren, werden abgebaut. Die Midi-Job-Grenze wird künftig bei 1.600 Euro liegen. Mini-Jobs werden sich an einer Wochenarbeitszeit von 10 Stunden zu Mindestlohnbedingungen orientieren. Die Grenze wird dementsprechend mit Anhebung des Mindestlohns auf 520 Euro erhöht.

Der Koalitionsvertrag will die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern mit Hilfe des Entgelttransparenzgesetzes schließen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen ihre individuellen Rechte durch Verbände im Weg der Prozessstandschaft geltend machen können. Künftige Gesetze und Maßnahmen sollen stets einem "Gleichstellungs-Check" unterliegen.

Damit die Brückenteilzeit künftig von mehr Beschäftigten in Anspruch genommen werden kann, soll die sogenannte "Überforderungsklausel" entsprechend überarbeitet und gleichzeitig für die Unternehmen übersichtlicher gestaltet werden.

Die gesetzliche Rente soll auf einem Mindestrentenniveau von 48 Prozent (Definition vor der kürzlich durchgeführten Statistikrevision) dauerhaft gesichert werden. In dieser Legislaturperiode soll der Beitragssatz nicht über 20 Prozent steigen. Es soll keine Rentenkürzungen und keine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters geben. Um diese Zusage generationengerecht abzusichern, soll zur langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung eingestiegen werden. 

Anstelle der bisherigen Grundsicherung (Hartz IV) will die Ampel ein Bürgergeld einführen, das digital und unkompliziert zugänglich sein soll. In den ersten beiden Jahren des Bürgergeldbezuges soll die Leistung ohne Anrechnung des Vermögens gewährt werden und die Angemessenheit der Wohnung anerkennen. Das Schonvermögen soll höher ausfallen und dessen Überprüfung entbürokratisiert, digitalisiert und pragmatisch vereinfacht werden.  

Wirtschaftsrecht

Die Gründung von Gesellschaften soll durch die Digitalisierung des Gesellschaftsrechts leichter werden. So soll beispielsweise die Beurkundung per Videokommunikation auch bei Gründungen mit Sacheinlage möglich werden. Online-Hauptversammlungen sollen auch nach Corona möglich bleiben, ohne Aktionärsrechte einzuschränken.

Der kollektive Rechtsschutz soll weiter ausgebaut werden. Bereits bestehende Instrumente wie nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz bedürften nach Auffassung der Koalitionäre teilweise einer Modernisierung, der Bedarf für weitere Instrumente werde geprüft. Die EU-Verbandsklagerichtlinie soll umgesetzt werden und die Musterfeststellungsklage auch kleinen Unternehmen eröffnet werden. An den Anforderungen an klageberechtige Verbände hält die Ampel fest.

Um – auch angesichts höherer CO2-Preiskomponenten – für sozial gerechte und für die Wirtschaft wettbewerbsfähige Energiepreise zu sorgen, wird die Finanzierung der EEG-Umlage über den Strompreis beendet. Sie soll stattdessen ab 01.01.2023 vom Staat getragen werden.

Ehrliche Unternehmen will die Koalition vor rechtsuntreuen Mitbewerberinnen und Mitbewerbern besser schützen. Dazu sollen die Vorschriften der Unternehmenssanktionen einschließlich der Sanktionshöhe überarbeitet werden, um die Rechtssicherheit von Unternehmen im Hinblick auf Compliance-Pflichten zu verbessern und für interne Untersuchungen einen präzisen Rechtsrahmen zu schaffen.

Es soll Vorkehrungen gegen den Missbrauch von Kostenerstattungen für Abmahnungen nach dem Gesetz gegen Unlauteren Wettbewerb geben.

Die EU-Whistleblower-Richtlinie soll "rechtssicher und praktikabel" umgesetzt werden. Whistleblowerinnen und Whistleblower müssten bei der Meldung von Verstößen gegen EU-Recht vor rechtlichen Nachteilen geschützt sein, heißt es im Koalitionsvertrag. Das gleiche solle gelten bei erheblichen Verstößen gegen Vorschriften oder sonstigem erheblichen Fehlverhalten, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt. Die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen wegen Repressalien gegen den Schädiger soll verbessert werden.

Steuerrecht

Eine Investitionsprämie für Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter soll den Steuerpflichtigen in den Jahren 2022 und 2023 ermöglichen, einen Anteil der Anschaffungs- und Herstellungskosten der im jeweiligen Jahr angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die in besonderer Weise diesen Zwecken dienen, vom steuerlichen Gewinn abzuziehen ("Superabschreibung"). Die erweiterte Verlustverrechnung will die Ampel-Koalition zeitlich bis Ende 2023 verlängern und den Verlustvortrag auf die zwei unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeiträume ausweiten. Sie betont weiter, dass zur Stärkung einer guten Eigenkapitalausstattung von Unternehmen das Optionsmodell und die Thesaurierungsbesteuerung geprüft und gegebenenfalls angepasst werden. 

Die steuerliche Regelung des Homeoffice für Arbeitnehmer wird bis zum 31.12.2022 verlängert mit der Option auf eine weitere Verlängerung. Der Ausbildungsfreibetrag soll erstmals nach 2001 von 924 auf 1.200 Euro steigen. Das Urteil des Bundesfinanzhofs zum Alterseinkünftegesetz soll umgesetzt werden. Der Sparerpauschbetrag soll zum 01.01.2023 auf 1.000 Euro bzw. 2.000 Euro bei Zusammenveranlagung erhöht werden.

Eine doppelte Rentenbesteuerung soll auch in Zukunft vermieden werden. Um das zu erreichen werde der Vollabzug der Rentenversicherungsbeiträge als Sonderausgaben – statt nach dem Stufenplan ab 2025 – vorgezogen und bereits ab 2023 erfolgen. Zudem werde der steuerpflichtige Rentenanteil ab 2023 nur noch um einen halben Prozentpunkt steigen. Eine Vollbesteuerung der Renten werde damit erst ab 2060 erreicht. 

Bei der Gestaltung der Grunderwerbsteuer sollen die Länder flexibler agieren können, um den Erwerb selbst genutzten Wohneigentums zu erleichtern. Im Gegenzug sollen steuerliche Schlupflöcher beim Immobilienerwerb von Konzernen (Share Deals) geschlossen werden. Um im europäischen Wettbewerb gleiche Bedingungen zu erreichen, wird gemeinsam mit den Ländern die Einfuhrumsatzsteuer weiterentwickelt.

Durch digitale Verfahren soll die Erfüllung der steuerlichen Pflichten für die Bürgerinnen und Bürger erleichtert werden, wie zum Beispiel durch vorausgefüllte Steuererklärungen (Easy Tax). Im Bereich der Unternehmensbesteuerung soll die Steuerprüfung moderner und damit schneller erfolgen. Dafür seien insbesondere verbesserte Schnittstellen, eine Standardisierung und der sinnvolle Einsatz neuer Technologien geplant. Zur Sicherung der Anschlussfähigkeit der Steuerverwaltung an den digitalen Wandel und für eine spürbare Verringerung der Steuerbürokratie wird eine zentrale Organisationseinheit auf Bundesebene eingerichtet.

Die Koalitionäre wollen die Familienbesteuerung so weiterentwickeln, dass die partnerschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche Unabhängigkeit mit Blick auf alle Familienformen gestärkt werden. Im Zuge einer verbesserten digitalen Interaktion zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung soll die Kombination aus den Steuerklassen III und V in das Faktorverfahren der Steuerklasse IV überführt werden, das dann einfach und unbürokratisch anwendbar und fairer sein soll.  

Verfahrensrecht

Die Koalition bekennt sich zum Pakt für den Rechtsstaat mit den Ländern. Dieser soll fortgeführt, erweitert und um einen Digitalpakt für die Justiz ergänzt werden. Insbesondere durch die Nutzung digitaler Möglichkeiten sollen Gerichtsverfahren schneller und effizienter werden: Die durch Corona beliebter gewordene Möglichkeit Verhandlungen online durchzuführen, soll weiter an Bedeutung gewinnen, Beweisaufnahmen sollen audio-visuell dokumentiert werden. Um der wachsenden Komplexität der Verfahren in bestimmten Bereichen begegnen zu können, sollen mehr spezialisierte Spruchkörper eingesetzt werden, etwa im Handels- und im Wirtschaftsrecht. Diese sollen auch englischsprachig verhandeln können. Für Kleinforderungen will die Koalition "bürgerfreundliche digitale Verfahren" einführen, mit denen diese Ansprüche einfacher gerichtlich durchgesetzt werden können sollen. Gerichtsentscheidungen sollen grundsätzlich in anonymisierter Form in einer Datenbank öffentlich und maschinenlesbar verfügbar sein.

Im Strafrecht will die Koalition eine Rückbesinnung auf die Funktion als Ultima Ratio erreichen. Auch so soll die Justiz entlastet werden, ohne Rechte der Beschuldigten zu beschneiden: durch Konzentration auf die Kernaufgaben, ständige systematische Überprüfung, Entfernung überholter Straftatbestände und auch hier durch eine Modernisierung der Verfahren. Vernehmungen und Hauptverhandlung sollen künftig in Bild und Ton aufgezeichnet werden, Verständigung und andere mögliche Gespräche über die Verfahrensgestaltung sollen besser geregelt werden. Zur Modernisierung gehört weiter eine Überarbeitung des Sanktionensystems einschließlich Ersatzfreiheitsstrafen, Maßregelvollzug und Bewährungsauflagen.

Strafrecht

§ 219a StGB wird gestrichen. Schwangerschaftskonfliktberatung wird damit auch künftig online möglich sein. Ärztinnen und Ärzte sollen öffentliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen.

Die Ampel will die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften einführen.

Entsprechend den Anforderungen des Europäischen Gerichtshofs will die Koalition das externe ministerielle Einzelfallweisungsrecht gegenüber den Staatsanwaltschaften anpassen. Es soll klargestellt werden, dass es für den Vollzug eines Europäischen Haftbefehls einer richterlichen Entscheidung bedarf.

Europol soll zu einem Europäischen Kriminalamt mit eigenen operativen Möglichkeiten weiterentwickelt werden, die Europäische Staatsanwaltschaft soll finanziell und personell ausgebaut werden. 

Die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität einschließlich der sogenannten Clankriminalität soll forciert werden durch eine bessere Nutzung der strafrechtlichen Möglichkeiten wie Vermögensabschöpfung und Geldwäschebekämpfung. Im Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus sollen Datenbanken in der EU kompatibel ausgestaltet werden, Gefährder schneller erkannt sowie überwacht werden und politisch motivierte Kriminalität besser erfasst werden.

Sicherheitsgesetze

Die Befugnisse aus Sicherheitsgesetzen wurden nach 9/11 und im Zuge der fortschreitenden Technisierung auch auf Seiten von Terroristen und Organisierter Kriminalität in den letzten 20 Jahren deutlich ausgebaut. Die Ampel-Koalition will hier eine "Überwachungsgesamtrechnung" erstellen und bis spätestens Ende 2023 eine unabhängige wissenschaftliche Evaluation der Sicherheitsgesetze und ihrer Auswirkungen auf Freiheit und Demokratie durchführen. Helfen soll ein unabhängiges Expertengremium. 

Eine punktuelle Videoüberwachung akzeptieren die Koalitionäre, eine flächendeckende Videoüberwachung und den Einsatz von biometrischer Erfassung zu Überwachungszwecken soll es aber nicht geben. Das Recht auf Anonymität sowohl im öffentlichen Raum als auch im Internet soll bestehen bleiben. Die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung sollen so ausgestaltet werden, dass Daten nur anlassbezogen und auf richterlichen Beschluss gespeichert werden können. Die Einführung einer sogenannten Login-Falle soll weiterverfolgt werden. Für den Einsatz von Überwachungssoftware, auch kommerzieller, sollen die Eingriffsschwellen aber hoch angesetzt werden. Sie sollen nur nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes für die Online-Durchsuchung zulässig sein. Die Befugnis des Verfassungsschutzes zum Einsatz von Überwachungssoftware wird im Rahmen der Überwachungsgesamtrechnung überprüft.

Das Bundespolizeigesetz soll eine Novellierung zur Online-Durchsuchung und ohne die Befugnis zur Quellen-TKÜ erfahren. Solange der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung nicht sichergestellt sei, müssten Online-Durchsuchungen unterbleiben. Der Rahmen für den Einsatz von V-Personen soll besser abgesteckt werden.

Verwaltungsrecht

Die Koalitionäre wollen die Mehrfachstaatsangehörigkeit ermöglichen und den Weg zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit vereinfachen. Eine Einbürgerung soll in der Regel nach fünf Jahren möglich sein, bei besonderen Integrationsleistungen nach drei Jahren. Eine Niederlassungserlaubnis soll nach drei Jahren erworben werden können. In Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern werden mit ihrer Geburt deutsche Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger, wenn ein Elternteil seit fünf Jahren einen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat.

Die Ampel hat es sich zum Ziel gesetzt, ein Einwanderungs- und Aufenthaltsgesetzbuch zu erschaffen. Darin soll das System der Duldungstatbestände neu geordnet werden und es sollen Menschen belohnt werden, die bereits ein Teil unserer Gesellschaft geworden sind: Gut integrierte Jugendliche sollen nach drei Jahren Aufenthalt in Deutschland und bis zum 27. Lebensjahr die Möglichkeit für ein Bleiberecht bekommen (§ 25a AufenthG). Besondere Integrationsleistungen von Geduldeten sollen nach sechs bzw. vier Jahren bei Familien ein Bleiberecht eröffnen (§ 25b AufenthG). Statt Kettenduldungen sollen Menschen, die am 01.01.2022 seit fünf Jahren in Deutschland leben, nicht straffällig geworden sind und sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen, eine einjährige Aufenthaltserlaubnis auf Probe erhalten können, um in dieser Zeit die übrigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu erfüllen. Sowohl Geduldete in der Ausbildung als auch ihre ausbildenden Betriebe sollen durch eine Aufenthaltserlaubnis (§ 60c AufenthG) rechtssicherer gestellt werden. Arbeitsverbote für bereits in Deutschland Lebende werden abgeschafft. Einem an sich bestehenden Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis steht ein laufendes Asylverfahren nicht entgegen, sofern bei Einreise die Voraussetzungen für die Aufenthaltserlaubnis bereits vorlagen. 

Gleichzeitig betont die Koalition aber auch, dass nicht jeder Mensch, der nach Deutschland kommt, bleiben kann. Daher soll eine Rückführungsoffensive gestartet werden, um Ausreisen konsequenter umzusetzen, insbesondere die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern soll schneller möglich sein. Der Bund wird die Länder bei Abschiebungen künftig stärker unterstützen. 

Das aktive Wahlalter für die Wahlen zum Europäischen Parlament soll auf 16 Jahre sinken. Auch das aktive Wahlalter für die Wahl zum Deutschen Bundestag soll auf 16 Jahre sinken. Die Koalition merkt aber an, dass hierfür eine Grundgesetzänderung erforderlich wäre. Schließlich sollen im Ausland lebende Deutsche ihr Wahlrecht leichter ausüben können. 

Das bisherige Transsexuellengesetz soll zu einem Selbstbestimmungsgesetz werden. Dazu gehören ein Verfahren beim Standesamt, das Änderungen des Geschlechtseintrags im Personenstand grundsätzlich per Selbstauskunft möglich macht, ein erweitertes und sanktionsbewehrtes Offenbarungsverbot und eine Stärkung der Aufklärungs- und Beratungsangebote. Die Kosten geschlechtsangleichender Behandlungen müssen vollständig von der GKV übernommen werden. Die Strafausnahmen in § 5 Abs. 2 des Gesetzes zum Schutz vor Konversionsbehandlungen werden aufgehoben und ein vollständiges Verbot auch von Konversionsbehandlungen an Erwachsenen geprüft. 

Das Blutspendeverbot für Männer, die Sex mit Männern haben, sowie für Trans-Personen soll abgeschafft werden.  

Die Waffenrechtsänderungen der vergangenen Jahre sollen evaluiert werden, bestehende Kontrollmöglichkeiten gemeinsam mit den Schützen- und Jagdverbänden effektiver ausgestaltet werden. Bei Gegenständen, für die ein Kleiner Waffenschein erforderlich ist, soll dieser künftig auch beim Erwerb vorgelegt werden müssen. Private Sicherheitsdienste werden eigene Regeln mit verbindlichen Standards in einem eigenen Gesetz erhalten.

Verbraucherschutz

Bei der Vergabe von Verbraucherkrediten wollen die Koalitionäre sich auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass der Schutz vor Überschuldung durch nicht marktgerechte Zinsen und Wucher bei sämtlichen Darlehensformen gestärkt und irreführende Werbung verboten wird. Parallel sollen die Schuldner- und Insolvenzberatung ausgebaut und Kosten für Vorfälligkeitsentschädigungen begrenzt werden. Die behördliche Aufsicht für Inkassounternehmen wird gebündelt. 

Im E-Commerce sollen Widerrufbuttons verpflichtend werden. Abo-Verträge müssen immer auch mit einer Mindestlaufzeit von höchstens einem Jahr angeboten werden. Eine allgemeine Bestätigungslösung soll es für telefonisch geschlossene Verträge geben. Aber auch bei Haustürgeschäften soll der Schutz vor unseriösen Marktteilnehmern verbessert werden. 

"Nachhaltigkeit by design" soll zum Standard bei Produkten werden. Die Lebensdauer und Reparierbarkeit sollen durch ein Recht auf Reparatur gefördert werden. Herstellerinnen und Hersteller müssen während der üblichen Nutzungszeit Updates etwa für Smartphone-Software bereitstellen. Für langlebige Güter soll es eine flexible Gewährleistungsdauer geben, die sich an der vom Hersteller oder der Herstellerin bestimmten jeweiligen Lebensdauer orientiert.

Flugreisen sollen in die Pauschalreise-Richtlinie bezüglich der Insolvenzabsicherung einbezogen werden. Entschädigungs- oder Ausgleichszahlungen sollen bei allen Verkehrsträgern automatisiert werden. "No-show"-Klauseln werden im AGB-Recht untersagt.

Straßenverkehr

Um Jugendliche schon frühzeitig für die Gefahren im Straßenverkehr zu schulen, wird begleitetes Fahren ab 16 Jahren ermöglicht. Auch hier steht ansonsten die Digitalisierung im Vordergrund: Der Führerscheinunterricht soll genauso digitaler werden wie die Digitalisierung von Fahrzeugdokumenten. 

Außerdem will die Koalition, dass Notbrems- und Abstandsassistenten in Nutzfahrzeugen nicht abgeschaltet werden dürfen. Die Nachrüstung von Lkw-Abbiegeassistenzsystemen werde bis zum verpflichtenden Einbau weiterhin gefördert.

Redaktion beck-aktuell, 26. November 2021.