EGMR: Türkei muss Oppositionspolitiker Demirtas aus Haft entlassen

Die Türkei muss den seit zwei Jahren inhaftierten Oppositionspolitiker Selahattin Demirtas so schnell wie möglich aus der Untersuchungshaft entlassen. Dies hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg mit Urteil vom 20.11.2018 entschieden. Zwar habe für die Verhaftung ein begründeter Verdacht bestanden, doch sei die Länge der Untersuchungshaft nicht gerechtfertigt, befand das Gericht (Az.:14305/17).

Ehemaliger HDP-Chef befindet sich seit November 2016 in Haft

Der ehemalige Chef der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP sieht sich aus politischen Gründen verfolgt und hatte Beschwerde gegen seine Untersuchungshaft eingelegt. Demirtas war im November 2016 unter Terrorvorwürfen verhaftet worden. Der 45-Jährige trat bei den Wahlen im Juni aus dem Gefängnis heraus als Kandidat gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan an. Demirtas erreichte mit 8,4% der Stimmen den dritten Platz.

EGMR: Verhaftung sollte Meinungsvielfalt und politische Debatte verhindern

Die Richter urteilten nun, dass die Tatsache, dass Demirtas nicht seiner Arbeit in der Nationalversammlung nachkommen konnte, unter anderem einen unrechtmäßigen Eingriff in die Meinungsfreiheit darstelle. Die Inhaftierung, insbesondere während der Präsidentschaftswahlen und des umstrittenen Referendums für den Übergang von einem parlamentarischen in ein Präsidialsystem, habe das eigentliche Ziel gehabt, Pluralismus zu ersticken und die Freiheit der politischen Debatte einzugrenzen, befanden die Richter. Der Gerichtshof hat daher entschieden, dass die Türkei Demirtas so schnell wie möglich aus der Untersuchungshaft wegen der aktuellen Vorwürfe entlassen muss - es sei denn, die Türkei trage neue Gründe und Beweise für die Inhaftierung vor.

Erdogan sieht sich nicht an Urteil gebunden

Erdogan bezeichnete die Entscheidung des EGMR als nicht bindend. "Die Urteile des EGMR sind nicht bindend für uns. Wir machen einen Gegenzug und beenden die Sache", sagte Erdogan nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am 20.11.2018. Was er damit meinte, ließ Erdogan im Unklaren. Die Türkei als Mitglied des Europarats muss sich grundsätzlich an das EGMR-Urteil halten. Rechtskräftig ist es aber noch nicht. Beide Seiten können innerhalb von drei Monaten die Verweisung an die Große Kammer des EGMR beantragen.

EGMR, Urteil vom 20.11.2018 - 14305/17

Redaktion beck-aktuell, 20. November 2018 (dpa).

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