Umstände des Einzelfalls entscheidend
Ob ein Gutachten auch mehrere Jahre später noch die weitere Gefährlichkeit eines Straftäters nachweisen kann, sei abhängig von den Umständen des Einzelfalls. Entscheidend sei, ob es bedeutsame Veränderungen seit der letzten Untersuchung gegeben habe – etwa eine Freilassung oder eine freiwillige Therapie.
Kläger war zunächst entlassen worden
Dem Kläger, der zwischenzeitlich unter Auflagen entlassen worden ist, half das nicht. Der Berliner war 1998 zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt worden, weil er seiner Ex-Freundin in den Hals gestochen hatte. Nach dem Ende seiner Haftzeit verzögerte sich eine Entscheidung über seine Sicherungsverwahrung, sodass er entlassen werden musste. In Freiheit fand der Mann eine Wohnung, einen Job sowie eine Therapeutin und beging keine weiteren Straftaten.
Sicherungsverwahrung nach knappem Jahr in Freiheit angeordnet
Ein knappes Jahr später wurde die Sicherungsverwahrung dennoch angeordnet – aufgrund von viereinhalb Jahre alten Gutachten. Aus der Sicht des Gerichtshofs war das in Ordnung. Die Berliner Gerichte hätten vernünftig dargelegt, dass das eine Jahr in Freiheit zu wenig gewesen war, um zu beweisen, dass der Mann nicht mehr gefährlich sei. Denn der Berliner habe wiederholt schwere Gewalttaten begangen. Seine therapeutischen Bedürfnisse seien außerdem komplex.
Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung immer wieder Streitthema
Die Sicherungsverwahrung ist – anders als die Haft – keine Strafe für ein Verbrechen. Sie soll dazu dienen, die Allgemeinheit vor Tätern zu schützen, die ihre Strafe verbüßt haben, aber als gefährlich gelten. In Straßburg wird seit Jahren über die Ausgestaltung gestritten. Mit einer umfassenden Neuregelung gab sich der Gerichtshof 2016 zufrieden. Ausschlaggebend war, dass der Gesetzgeber die individuelle therapeutische Betreuung der Straftäter gestärkt hatte.