Tod im italienischen Polizeigewahrsam: Überdosis nicht verhindert

Wird ein Mann in Gewahrsam genommen, der gerade "high" zu sein scheint, muss die Polizei Maßnahmen treffen, die verhindern, dass er sich durch eine Überdosis später selbst verletzt. Der EGMR hat Italien zur Zahlung von 30.000 Euro Schadensersatz verurteilt.

Ein Mann in Mailand wurde 2001 im Rahmen einer Polizeioperation festgenommen, als er gerade seine Wohnung verließ. Die Beamten erkannten, dass er offenbar kurz zuvor Drogen konsumiert haben musste und er erhebliche gesundheitliche Schwierigkeiten hatte. Sie beschlagnahmten eine Prise Betäubungsmittel aus seiner Brieftasche. Nachdem sich sei Zustand stabilisiert hatte, brachten sie den Mann eine dreiviertel Stunde später auf die Wache. Dort schlief er etwa zwei Stunden in Handschellen in der Arrestzelle, bis er darum bat, auf Toilette zu gehen. Dort brach er bewusstlos zusammen und starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Die Autopsie ergab, dass er an einer akuten Kokainvergiftung gestorben war – er musste noch im Polizeigewahrsam erneut Drogen konsumiert haben, die ihn töteten.

Die Angehörigen verklagten Italien vergeblich auf Schadensersatz, die italienischen Gerichte – zuletzt der Kassationsgerichtshof in Rom – vertraten die Ansicht, dass die Polizisten nicht für den Tod verantwortlich gewesen waren, weil der Mann sich selbst vergiftet hatte. Dies sah der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte anders.

Recht auf Leben: Pflicht zum aktiven Schutz des Lebens von Menschen in Hoheitsgewalt

Inhaftierte Menschen befinden sich laut EGMR in einer besonders verletzlichen Lage, daher komme dem Staat eine erhöhte Verpflichtung zu, diese auch vor Selbstverletzungen zu schützen. Da die Beamten wussten, dass der Mann gesundheitlich angeschlagen war und unter Drogen stand, hätten sie ihn medizinisch versorgen müssen und ihn nach weiteren Drogen durchsuchen müssen.

Art. 2 EMRK verpflichte die Vertragsstaaten nicht nur, es zu unterlassen, jemanden zu töten, sondern darüber hinaus, das Leben der Menschen, die sich in ihrer Hoheitsgewalt befinden, aktiv zu schützen. Daher trifft Polizisten laut den Straßburger Richterinnen und Richtern die Pflicht, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, Selbstverletzungen der in Gewahrsam befindlichen Menschen zu verhindern. 

Der EGMR (Az.: 2264/12) sprach den Angehörigen Schadensersatz in Höhe von 30.000 Euro plus Kosten von 10.000 Euro zu. 

Redaktion beck-aktuell, rw, 15. September 2023.