Mit selbstgebautem Visier bei der Demo: Plastikfolie ist keine Schutzwaffe
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Bei einer Demonstration band sich ein Mann eine Plastikfolie vors Gesicht, um sich vor Pfefferspray zu schützen. Diese wertete das AG Frankfurt a.M. als "Schutzwaffe" und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe. Dabei ist es übers Ziel hinausgeschossen, sagt nun der EGMR, der die Versammlungsfreiheit verletzt sieht.

Laut § 17a VersG ist es verboten, bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel Schutzwaffen zu tragen, wenn diese geeignet und auch dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen abzuwehren. Doch bei der Auslegung des Begriffs "Schutzwaffe" war das AG allzu großzügig: Es verurteilte einen Demonstranten für das Tragen einer Plastikfolie. Ein Verstoß gegen das Recht des Mannes aus Art. 11 EMRK (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit), befand der EGMR nun einstimmig (Urteil vom 20.05.2025 – 44241/20).

Eine Plastikfolie und ein Gummiband

Das behelfsmäßige Visier, das Benjamin Russ sich für eine Demonstration gegen die Eröffnung des neuen Sitzes der EZB in Frankfurt gebaut hatte, war eigentlich nur eine Plastikfolie mit der Aufschrift "Smash Capitalism". Diese hatte er sich mit einem Gummiband vor die Augen gebunden. Doch das Gericht wertete das behelfsmäßige Visier als Schutzwaffe und damit als Verstoß gegen das Versammlungsrecht (§§ 27 Abs. 2, 17a VersG). Im Juni 2016 erging ein Strafbefehl, gegen den sich Russ erfolglos zur Wehr setzte. Laut Gericht können Schutzwaffen auch selbst hergestellte Konstruktionen sein, wenn sie objektiv geeignet sind, Angriffe oder Strafverfolgungsmaßnahmen abzuwehren. Das sei bei dem Visier der Fall, weil es ihn vor Pfefferspray schützte.

Nachdem Russ weder Erfolg mit seiner Berufung noch mit einer Verfassungsbeschwerde gehabt hatte (Beschluss vom 18.03.2020 2 BvR 1796/19), wandte er sich an den EGMR und rügte eine Verletzung seines Rechts auf Versammlungsfreiheit gemäß Art. 11 EMRK. Der Begriff "Schutzwaffe" sei übertrieben weit ausgelegt worden. Außerdem sei die Versammlung friedlich verlaufen. Das Gericht gab ihm nun recht.

EGMR: LG hat nicht genug argumentiert

Laut EGMR hatte das Frankfurter Gericht zwar das Recht des Demonstranten auf freie Meinungsäußerung berücksichtigt, aber keine ausreichende Abwägung zwischen seinem Recht auf Versammlungsfreiheit und dem angestrebten Ziel der Verhinderung von Unruhen und Gewalt vorgenommen. Auch die Merkmale der Demonstration habe es nicht gewürdigt.

Insbesondere hätten die nationalen Gerichte nicht erklärt, warum das Tragen eines behelfsmäßigen Visiers eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstelle. Bei der Demonstration in Frankfurt sei es zwar zu Gewalttätigkeiten und Straftaten gekommen, so der EGMR. Allerdings habe das AG nicht nachgewiesen, dass der Demonstrant selbst gewalttätige Absichten oder Verhaltensweisen gezeigt habe.

Das Verbot von Schutzwaffen ziele darauf ab, Unruhen und Verbrechen zu verhindern und die Rechte und Freiheiten anderer zu schützen, schrieb der EGMR. "Dennoch bestand das Visier lediglich aus einer Platte aus hartem, durchsichtigem Plastik und einem Gummiband", beschrieb das Gericht – für eine strafrechtliche Verurteilung kaum ausreichend. Denn eine solche bedürfte einer besonderen Rechtfertigung. Weil eine friedliche Demonstration grundsätzlich nicht zu strafrechtlichen Sanktionen führen solle, hätte das Gericht strenger prüfen müssen, ob die Verurteilung verhältnismäßig und "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" war. Russ erhält nun eine Entschädigung in Höhe von 7.305 Euro von Deutschland. Eine Wiederaufnahme des Strafverfahrens hielt der EGMR für "die geeignetste Form des Vorgehens".

EGMR, Urteil vom 20.05.2025 - 44241/20

Redaktion beck-aktuell, dd, 20. Mai 2025.

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