Recht auf eine Kippe: Absolutes Rauchverbot für Gefängnisse gekippt

Gefängnisinsassen müssen rauchen dürfen, sagt der EGMR. Ein absolutes Rauchverbot verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Im Oktober 2017 erließ Estland ein absolutes Rauchverbot in seinen Gefängnissen. Vier Männer, die zu diesem Zeitpunkt eine Haftstrafe verbüßten, klagten gegen das Verbot - zunächst jedoch erfolglos. Zwei der Fälle gelangten vor das Oberste Gericht Estlands zu einer verfassungsrechtlichen Überprüfung. Im Jahr 2019 erklärte das Gericht das Verbot jedoch für verfassungsgemäß.

Die Männer trieben die Sache bis vor den EGMR, wo sie nun Erfolg hatten: Das kategorische Rauchverbot verstoße gegen die EMRK, urteilte der Gerichtshof am Dienstag (Urteile vom 04.11.2025 - 17982/21 u. a.).

Insassen beklagten Entzugserscheinungen

Das oberste estnische Gericht hatte seinerzeit befunden, das absolute Rauchverbot störe zwar das Recht auf Eigentum und Selbstverwirklichung. Es sei aber notwendig, um Nichtraucherinnen und Nichtraucher zu schützen und die Sicherheit im Gefängnis zu wahren, sowie Handel mit Zigaretten zu unterbinden. Das Gericht habe auch andere, mildere Maßnahmen in Betracht gezogen, diese aber für weniger wirksam gehalten.

Vor dem EGMR beriefen sich die Männer auf Art. 3 EMRK (Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung) und Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens). Die Männer erklärten, sie litten unter Entzugserscheinungen wie Gewichtszunahme, Schlafstörungen, Depressionen und Angstzuständen. Zwei der Männer machten außerdem geltend, keine Nikotin-Ersatztherapie erhalten zu haben.

Keine unmenschliche Behandlung

Im Hinblick auf eine Verletzung von Art. 3 EGMR erklärte der EGMR die Klage für unzulässig. Obwohl das Rauchverbot und der damit einhergehende Nikotin-Entzug bei den Insassen Stress und Leid verursacht hätten, sei die erforderliche Schwelle für eine unmenschliche Behandlung nicht überschritten worden. Die Männer hätten vor den estnischen Gerichten nicht geltend gemacht, dass sie keine angemessene Behandlung erhalten hätten. Auch jetzt seien sie nicht in der Lage, einen Beweis dafür zu erbringen, dass sie eine Behandlung verlangt hätten und ihnen diese verweigert worden sei.

Im Hinblick auf Art. 8 EMRK erklärte der EGMR die Klage jedoch für zulässig. Die Entscheidung zu rauchen und die Frage der Behandlung von Entzugserscheinungen fielen unter das Recht auf Achtung des Privatlebens. Das absolute Rauchverbot solle allerdings dem Schutz anderer vor Passivrauchen dienen.

EGMR: Wichtige Fragen außer Acht gelassen

Der EGMR bemängelte inhaltlich, dass das Verbot nicht das Ergebnis einer parlamentarischen Debatte gewesen, sondern nur durch eine ministerielle Verordnung und im Übrigen die Hausregeln der Gefängnisse entstanden sei. Die Abwägung habe sich vor allem auf den Gesundheitsschutz, die Sicherheit des Gefängnisses und die Möglichkeit der Behandlung fokussiert. Dabei seien Fragen der persönlichen Autonomie und der Entscheidungsfreiheit der Insassen über ihren Körper und ihre Gesundheit nicht einbezogen worden.

Darüber hinaus sei das Rauchen von Tabak auch außerhalb des Gefängnisses legal und es gebe keinen Konsens der Mitgliedsstaaten, das Rauchen in Gefängnissen zu regulieren.

Der EGMR kam daher zu dem Schluss, dass ein so weitreichendes Rauchverbot in Gefängnissen nicht gerechtfertigt sei und stellte somit eine Verletzung von Artikel 8 fest.

Redaktion beck-aktuell, kw, 4. November 2025.

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