Keine Abschiebung krebskranken Schmerzpatienten nach Russland

Ein Drittstaatsangehöriger, der an einer schweren Krankheit leidet, darf nicht abgeschoben werden, wenn er bei Ausbleiben einer geeigneten Behandlung im Zielland dort der Gefahr einer raschen, erheblichen und unumkehrbaren Zunahme der mit dieser Krankheit verbundenen Schmerzen ausgesetzt wäre. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 22.11.2022 im Fall eines krebskranken russischen Staatsangehörigen entschieden.

Krebskranker Russe wendete sich gegen Abschiebung ins Heimatland

Ein russischer Staatsangehöriger, der im Alter von 16 Jahren an einer seltenen Form von Blutkrebs erkrankt ist, befindet sich derzeit in den Niederlanden in Behandlung. Im Rahmen seiner medizinischen Behandlung wird ihm Cannabis zur Schmerzbekämpfung verabreicht, was in Russland nicht erlaubt ist. Nach erfolglosen Asylanträgen sollte er nach Russland zurückkehren. Das mit der dagegen gerichteten Klage befasste niederländische Gericht beschloss, dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, um im Wesentlichen zu erfahren, ob das Unionsrecht in einem solchen Fall dem Erlass einer Rückkehrentscheidung oder einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme entgegensteht.

EuGH: Keine Abschiebung bei drohender Zunahme des Leidens

Der Gerichtshof hat nunmehr entschieden, dass ein Mitgliedstaat keine Rückkehrentscheidung gegenüber einem illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen erlassen darf, wenn dieser an einer schweren Krankheit leidet und Gründe für die Annahme bestehen, dass seine Rückkehr ihn aufgrund der Nichtverfügbarkeit einer angemessenen Versorgung im Zielland der tatsächlichen Gefahr einer raschen, erheblichen und unumkehrbaren Zunahme der durch seine Krankheit verursachten Schmerzen aussetzen würde, sodass schwere, unumkehrbare psychische Störungen bis hin zum Selbstmord zu befürchten seien.

Rückkehrentscheidung muss Gesundheitszustand berücksichtigen

Von einer "raschen Zunahme der Schmerzen" könne aber nur dann ausgegangen werden, wenn wahrscheinlich sei, dass sie innerhalb einer im Recht des betreffenden Mitgliedstaats im Voraus absolut festgelegten Frist einträten. Würden die Mitgliedstaaten eine Frist festlegen, so dürfe diese nur indikativ sein und könne die zuständige nationale Behörde nicht von einer konkreten Prüfung der Situation der betroffenen Person entbinden. Mit Blick auf die Achtung des Privatlebens, zu dem auch die medizinische Behandlung eines Drittstaatsangehörigen gehöre, dürfe nur dann eine Rückkehrentscheidung oder Abschiebung erlassen werden, wenn sie seinen Gesundheitszustand berücksichtigt habe. Unterschiedliche beziehungsweise schlechtere medizinische Standards an sich stünden einer Rückführung jedoch nicht entgegen, solange es nicht zu einem tatsächlichen Risiko unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung komme.

EuGH, Urteil vom 22.11.2022 - C-69/21

Redaktion beck-aktuell, 22. November 2022.