Rechtsanwalt und Opernsänger – unterschiedlicher könnten die beiden Berufe von Wolfgang Schwaninger nicht sein. Lange Zeit dachte er, dass er sich für einen Weg entscheiden muss. Doch mittlerweile hat sich gezeigt, dass sich beide Karrieren hervorragend ergänzen. "Wenn ich als Gastsänger an einem Staatstheater singe und gleichzeitig als Jurist mit dem Bühnenverein, der Arbeitgeberorganisation der Theater und Orchester, über die Arbeitsbedingungen von Gastsängern verhandele, da denke ich, bin ich am richtigen Platz", sagt der Tenor, der heute vor allem als Rechtsanwalt für die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA) tätig ist.
Der 59-jährige Schwaninger studierte Jura in Heidelberg. Schon als Kind entdeckte er seine Liebe zur Musik. Er sang in Chören und nahm viele Jahre Gesangsunterricht. Nach seinem Referendariat in Karlsruhe und kurzer Anwaltstätigkeit entschied er sich für das Leben als Opernsänger, gab seine Anwaltszulassung zurück und wurde festes Ensemblemitglied am Staatstheater Meiningen. Dort arbeitete er mit namenhaften Regisseuren wie Klaus Maria Brandauer oder der Mezzosopranistin Brigitte Faßbender. 1997 wechselte er an das Staatstheater am Gärtnerplatz nach München.
Zwölf Jahre lang war er als Tenor fest bei Theatern angestellt. Ebenso lange arbeitete er als freischaffender Künstler oder in Gastverträgen an Häusern in Deutschland, Europa und Asien. Er sang unter anderem den Loge in Richard Wagners "Das Rheingold", Siegmund in "Die Walküre", Tristan in "Tristan und Isolde", Florestan in Beethovens "Fidelio" und die Titelpartie in Benjamin Brittens "Peter Grimes".
Dann kam Corona. Die Pandemie traf vor allem die freischaffenden Künstler und Künstlerinnen an Theatern schwer. Die Bühnen blieben während des Lockdowns lange dunkel. Vorstellungen wurden abgesagt, Engagements blieben aus. Künstler und Künstlerinnen mussten sich neu sortieren – auch Schwaninger: "Ich hatte die letzten Verpflichtungen im März 2020 und dann war erstmal nichts mehr".
"Es gibt immer Arbeit für Juristen, man muss sie nur suchen"
Schwaninger wurde nach 24 Jahren als Sänger wieder Rechtsanwalt – mit 54 Jahren. "Es war für mich eine Notwendigkeit, um Geld zu verdienen, aber auch endlich die Gelegenheit, den Anwaltsberuf wieder aufzunehmen", sagt er. Der Tenor, der sich jahrelang als Ensemblesprecher engagiert hatte, spezialisierte sich als Jurist auf das, was er kannte: Die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Theatermitarbeitern.
Er kämpfe während der Pandemie um Ausfallgagen und Entschädigungen, half beim Ausfüllen von Anträgen zu Corona-Hilfen und ging gegen Auflösungs- und Knebelverträge vor. Die Probleme der Theaterschaffenden waren in der Krise groß. Schon wenige Tage nach Gründung seiner Kanzlei konnte er sich vor Anfragen kaum retten. "Es gibt immer Arbeit für Juristen, man muss sie nur suchen", sagt Schwaninger.
Heute, vier Jahre später, steht er wieder auf der Opernbühne, zuletzt in Lübeck. Bald singt er am Staatstheater Augsburg in der Oper "Die letzte Verschwörung" von Moritz Eggert. Zumeist kämpft er mittlerweile aber als Justiziar der GDBA dafür, dass sich die Arbeitsbedingungen für die Künstler und Künstlerinnen an öffentlich finanzierten Theatern grundsätzlich verbessern. "Das Theater ist eine ganz fantastische Welt und ein privilegierter Arbeitsplatz. Es sind aber auch viele Dinge in Schieflage", sagt er.
Schlechte Bezahlung, unregelmäßige Arbeitszeiten und minimaler Kündigungsschutz: Viele Probleme hätten mit dem Normalvertrag Bühne (NV Bühne) zu tun. Das ist der Tarifvertrag, der für die meisten der künstlerisch Beschäftigten an öffentlichen Theatern gilt. In kaum einem anderen Berufsfeld seien die Anstellungsverhältnisse so unsicher wie am Theater, sagt Schwaninger.
Theaterschaffenden droht Nichtverlängerung aus "künstlerischen Gründen"
Künstler und Künstlerinnen würden regelmäßig befristet beschäftigt, bis zu 19 Jahre dürfe eine Befristung andauern. Das Theater habe jedes Jahr die Möglichkeit, den Vertrag aus "künstlerischen Gründen" nicht zu verlängern. Die Festengagierten könnten bei "Nichtgefallen" ihren Job verlieren, ohne dass die Gründe dafür gerichtlich nachprüfbar seien. "Das ist ein Damoklesschwert, das über jedem Arbeitsverhältnis steht", sagt der Sänger.
Auch für Gastkünstler an Theatern ist es seit Corona nicht besser geworden. Im Gegenteil. Die Häuser würden Vorstellungen viel öfter als früher absagen. Geld gebe es dann häufig keines, erläutert Schwaninger. Schuld sei ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2007 (Urteil vom 07.02.2007 – AZR 270/06). Obwohl Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge entrichtet werden müssten, werde danach bei Gastkünstlern häufig arbeitsrechtlich von einer selbstständigen Tätigkeit ausgegangen. Vorteile einer Festanstellung wie Kurzarbeitergeld würden entfallen. "Diese Zwitterstellung, das ist das große rechtliche Problem, was wir gerade mit dem deutschen Bühnenverein in einem `Tarifvertrag Gast` zu lösen versuchen", sagt der Tenor.
Bei den Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite profitiert Schwaninger von den Erfahrungen, die er als festangestellter und freischaffender Sänger am Theater gemacht hat. Doch auch der Opernsänger Schwaninger profitiert vom Juristen. "Für Darsteller auf der Bühne ist es großartig, wenn man mit einem breiten Spektrum an Menschen zu tun hat", sagt er. Seine Erfahrungen als Jurist würden ihm etwa bei der Gestaltung der etwas "düsteren" Charaktere helfen. Wenn man einen Kriminellen spielen müsse, beispielsweise einen Betrüger, sei es sehr hilfreich, schonmal einen im Gerichtssaal live erlebt zu haben.
Schwaninger sieht sich durch seine doppelte Ausbildung zudem als eine Art Brücke zwischen der künstlerischen und der juristischen Welt. "Der Künstler an sich ist hochemotional", sagt er. In der Verwaltung werde häufig eine andere Sprache gesprochen. Wenn ein Künstler denke, er sei innerhalb der Emotionsskala bei zwei, dann sei das für andere Menschen häufig schon eine zehn. Beim Kontakt mit Behörden und Gerichten könne er deshalb sehr gut vermitteln.
"Die größte künstlerische Persönlichkeit, der ich jemals begegnet bin"
Für die Zukunft will der Rechtsanwalt sich die juristische und die künstlerische Welt so lange wie möglich offenhalten. "Ich bin jetzt Ende 50 und freue mich, dass ich als Sänger immer noch sehr gut zu tun habe", sagt der doppelbegabte Jurist. Die menschliche Stimme sei ein Instrument auf Zeit. Mit dem Alter könne die Kraft nachlassen. Die allermeisten Tenöre könnten deshalb nicht bis zum Rentenalter arbeiten.
Wenn er seine Karriere als Sänger tatsächlich irgendwann beenden müsse, sei es aber auch kein ganz so schmerzvoller Abschied. Denn ihm blieben viele schöne Erinnerungen: "Ich blicke auf eine fast dreißigjährige Karriere zurück und habe mit großartigen Menschen zusammengearbeitet, wie den Regisseuren August Everding, John Dew, Claus Guth und Hans Peter Lehmann oder den Dirigenten Herbert Blomstedt, Lawrence Foster, Constantinos Carydis und Stefan Soltesz."
Vor allem an die Zeit mit Vicco von Bülow, bekannt als Loriot, erinnert Schwaninger sich gerne: "Er war die größte künstlerische Persönlichkeit, der ich jemals begegnet bin." Wenn von Bülow Texte gesprochen habe, sei da in den Augen des Publikums pure Liebe gewesen, vom Kindesalter bis zum Greis. Der Rechtsanwalt wirkte bei Loriots Inszenierungen von Friedrich von Flotows Oper "Martha" und Leonard Bernsteins Oper "Candide" mit. Einmal sei von Bülow extra zu Schwaningers Geburtstag in die Vorstellung gekommen. Das seien Erlebnisse, die einem auf Dauer blieben.
Wenn er irgendwann der Oper den Rücken kehren müsse, habe er zudem auch noch sein zweites Standbein, die Juristerei. In der nächsten Zeit möchte Schwaninger vor allem bei den Tarifverhandlungen mit dem Bühnenverein noch viel für die Theaterschaffenden erreichen. Denn eine große Gemeinsamkeit gibt es zwischen seiner Arbeit als Sänger und als Jurist: In beiden Karrieren ist es die Liebe zum Theater, die ihn antreibt.