Im Rechts-Check: Dobrindts Erlass, Merz‘ EM-Vergleich und Verwirrung um die Notlage
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Der Innenminister will Schutzsuchende zurückweisen und das auf eine Notlage stützen, der Kanzler nur wie während der Fußball-WM kontrollieren und keine Notlage ausrufen. Die Bundespolizei korrigiert den Kanzler. Ein Faktencheck und die große Frage: Was ist rechtlich überhaupt möglich?

Die Migration war wohl – noch vor der Wirtschaft – das Wahlkampfthema Nummer eins und eines, bei dem sich die Union klar zu profilieren versuchte. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) versprach damals, er werde "am ersten Tag meiner Amtszeit das Bundesinnenministerium im Wege der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers anweisen, die deutschen Staatsgrenzen zu allen unseren Nachbarn dauerhaft zu kontrollieren und ausnahmslos alle Versuche der illegalen Einreise zurückzuweisen."

Insofern kam es nicht überraschend, dass sein Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) Ende der vergangenen Woche in einem Schreiben an den Präsidenten der Bundespolizei eine "mündliche Weisung vom 13. September 2015" zurücknahm und dabei auf § 18 Abs. 2 Nr. 1 AsylG verwies, wonach Schutzsuchende, die aus einem sicheren Drittstaat einreisen wollten, zurückgewiesen werden könnten. Also alles zurück auf den modus operandi vor 2015?

Was soll nun an den Grenzen passieren? 

Hier ist man sich zwischen Kanzleramt und Innenministerium offenbar nicht ganz einig. Denn die Weisung von Dobrindt will zu dem, was der Kanzler sagte, nicht ganz passen. Friedrich Merz, am vergangenen Freitag unterwegs bei Staatslenkerkolleginnen und -kollegen in Brüssel, denen es kaum gefiele, wenn Deutschland die Grenzen zulasten der Nachbarstaaten dicht machte, sprach nämlich davon, dass Kontrollen "wie bei der Fußball-Europameisterschaft" stattfinden sollten. 

Nur gab es zu dieser Zeit im vergangenen Jahr vielleicht verschärfte Kontrollen, um die Sicherheit des Turniers zu gewährleisten, aber keine Zurückweisungen von Asylsuchenden an der Grenze. Weiter sagte Merz: "Wir werden auch weiter zurückweisen, aber das ist alles im Einklang mit europäischem Recht und darüber sind auch unsere europäischen Nachbarn vollumfänglich informiert." Bislang sind Zurückweisungen an den deutschen Grenzen jedoch – jedenfalls offiziell – kaum durchgeführt worden, da sie nach Ansicht der alten Bundesregierung nicht rechtskonform gewesen wären.

So bemühte sich im Anschluss die Polizeigewerkschaft DPolG, ihrem Chef Dobrindt beizupflichten und Merz insoweit zu korrigieren. Die Anordnung aus dem Innenministerium schreibe Zurückweisungen zwingend vor, ließ Heiko Teggatz von der DPolG am Samstag die Bild-Zeitung wissen. Auch der Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Andreas Roßkopf, bestätigte der Bild diese Lesart.

Damit scheint zunächst einmal das Wort von Dobrindt zu gelten, denn dieser hat nach § 57 BPolG die Fachaufsicht über die Bundespolizei. Heißt: Die Polizei soll Asylsuchende aus Drittstaaten an der deutschen Grenze zurückweisen, ausgenommen sind laut Dobrindt nur vulnerable Gruppen wie Schwangere oder Kinder. 

Ist das das Ende einer Anweisung aus der Merkel-Zeit?

Der Dobrindt-Erlass spricht von einer Anweisung aus September 2015 und insinuiert damit, dass damals unter Angela Merkel ("Wir schaffen das") ein rechtlicher Zustand geschaffen worden sei, den der frühere bayerische Ministerpräsident und spätere Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) einst als "Herrschaft des Unrechts" bezeichnete und den man nun rückgängig mache.

Hierzu weist jedoch der Migrationsrechtler Daniel Thym bei LTO darauf hin, dass damals keineswegs neue – womöglich gar rechtswidrige – Regeln geschaffen worden seien. Vielmehr sei es schlicht die Rechtslage, dass Asylsuchende an der Grenze empfangen werden müssten. Dies, so Thym, sei nicht erst seit 2015, sondern bereits seit 1995 so praktiziert worden. Die Rede von einem Rechtsbruch der Merkel-Regierung bezeichnet er daher als "verschwörungstheoretische […] Erzählung".

Wäre das rechtlich möglich?

Zudem könnte die Dobrindt-Weisung sich womöglich als rechtswidrig herausstellen. Denn wenngleich das deutsche Recht, das im Zuge der Asylrechtsverschärfung in den 1990-er Jahren deutlich strenger geworden ist, ein solches Verfahren nahelegt, steht nach Ansicht vieler Expertinnen und Experten europäisches Recht dagegen.

Nach der Dublin-Verordnung sind nämlich grundsätzlich alle Mitgliedstaaten der EU verpflichtet, das Asylgesuch einer Person, die ihr Staatsgebiet betritt, zu prüfen. Zurückschicken könnte man sie allenfalls, nachdem festgestellt wurde, dass ein anderer EU-Staat für sie zuständig ist.

Was ist, wenn Asylsuchende aus vulnerablen Gruppen rein dürfen? 

Nun sieht der Dobrindt-Erlass eine Ausnahme für "(e)rkennbar vulnerable Personen" vor. Doch auch das hilft erst einmal nicht darüber hinweg, dass die Asylgesuche anderer Geflüchteter ebenfalls geprüft werden müssen. Denn das Dublin-System ist am Ende eine Kompetenzverteilung, die darauf ausgelegt ist, Menschen nicht ziellos zwischen europäischen Staaten hin und her wandern zu lassen. 

Dies erklärt vermutlich, dass GdP-Chef Roßkopf gegenüber der Bild-Zeitung betonte, die rechtliche Verantwortung für das Vorgehen liege beim Innenministerium.

Notlage oder nicht?

Ein Ausweg könnte die sogenannte Notlagenklausel im Europarecht sein, genauer in Art. 72 AEUV. Dieser belässt den Mitgliedstaaten abseits anderer Regelungen stets die Zuständigkeit für die "Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit". Wäre diese also gefährdet, könnte Deutschland vom europäischen Asylrecht abweichen.

Doch auch hier gibt es mindestens kommunikative Unklarheiten. Während Innenminister Dobrindt öffentlich ankündigte, seinen Erlass hierauf stützen zu wollen, ließ Kanzler Merz verlauten, keine Notlage "ausrufen" zu wollen. Während Daniel Thym bei LTO den Widerspruch noch mit der juristischen Feinheit entwirren will, dass eine solche Notlage entweder besteht oder nicht, jedenfalls aber nicht durch Proklamation entsteht und Merz diese damit auch nicht ausrufen muss, dürften die Bürgerinnen und Bürger von dieser Kommunikation jedenfalls verwirrt sein.

Ob eine Notlage juristisch überhaupt helfen würde, ist dabei zweifelhaft. Denn wenngleich ihre Anforderungen umstritten sind, spricht einiges dafür, dass der letztlich für eine Beurteilung zuständige EuGH die Voraussetzungen dafür in der gegenwärtigen Lage, in der die Zustromzahlen ohnehin sinken, nicht gegeben sähe.

Das bekräftigte zuletzt auch der Migrationsrechtler Winfried Kluth bei der Vorstellung des Jahresgutachtens des Sachverständigenrates für Integration und Migration. Die Voraussetzungen für eine Notlage seien sehr hoch, so Kluth. Es gebe aktuell keine Situation, in der das Handeln des Staates durch die Aufnahme von Geflüchteten gefährdet sei.

Redaktion beck-aktuell, Maximilian Amos, 13. Mai 2025.

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