DNA-Profile aus Ahnenforschung: Wenn plötzlich die Polizei beim Urenkel klingelt
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Anbieter wie Ancestry oder 23andMe, die geographische Herkunftsanalysen über DNA-Proben verkaufen, werden immer beliebter. Doch was, wenn Strafverfolger Zugriff darauf hätten? In anderen Ländern ist das sehr erfolgreich, doch Kai Cornelius warnt vor Schnellschüssen.

Die rasante Entwicklung genetischer Analysemethoden hat bereits für eine Fülle neuer Ermittlungswerkzeuge für Polizei und Staatsanwaltschaft gesorgt. Nun könnte sich ein neues Feld auftun: Kommerzielle DNA-Datenbanken zur Ahnenforschung, wie Ancestry oder 23andMe, bei denen Kundinnen und Kunden eigene DNA-Proben einsenden und dann mehr über ihre ethnische Abstammung erfahren können, werden nicht nur immer beliebter, sondern eröffnen auch neue Ansätze zur Aufklärung von Straftaten. 

So ist es durch jüngste Gesetzesänderungen in Schweden und Dänemark bereits möglich, die Methode der forensischen DNA-Genealogie (Verwandtschaftssuche) anzuwenden. Diese Ermittlungstechnik geht über den direkten DNA-Abgleich hinaus: Ein unbekanntes DNA-Profil vom Tatort wird mit Datenbankprofilen verglichen, um nicht den Täter oder die Täterin selbst, sondern dessen biologische Verwandte zu identifizieren. Dabei können die Ermittlungsbehörden auch auf kommerzielle genetische Ahnenforschungs-Datenbanken zugreifen. Anschließend durchsuchen sie öffentliche Aufzeichnungen wie Geburts-, Heirats- und Sterbedaten, Kirchenbücher und andere Archivmaterialien, um einen detaillierten Stammbaum zu erstellen und so den Kreis potenzieller Verdächtiger einzugrenzen.

DNA-Datenbank brachte schon "Golden State Killer" zur Strecke

Dieser Zugriff auf kommerzielle Gendatenbanken stellt einen gravierenden Eingriff dar, denn die Suche in solchen Datenbanken lässt ebenso Rückschlüsse auf unbeteiligte Dritte, nämlich die Verwandten, zu. Dies bedeutet, dass der Zugriff auf eine Datenbank nicht nur einen Einzelnen, sondern potenziell ganze Familiencluster in den Fokus staatlicher Ermittlungen rücken könnte, ohne dass diese Personen selbst einen Anlass für einen Verdacht gegeben hätten.

Jedoch hat sich diese Methode als äußerst wirksam erwiesen, um lange ungelöste "Cold Cases" aufzuklären, bei denen traditionelle Ermittlungsansätze keine Ergebnisse lieferten. Die Erfolgsbilanz in den USA ist mit einer Reihe von gefassten Gewaltverbrechern, darunter dem berüchtigten "Golden State Killer", bemerkenswert. Auch in Skandinavien gab es entscheidende Durchbrüche: Der Doppelmord von Linköping in Schweden, ein 16 Jahre alter Fall, wurde 2020 durch die Identifizierung entfernter Cousins des Täters gelöst. In Dänemark führte die Verwandtschaftssuche zur Festnahme eines Verdächtigen im 34 Jahre alten Mordfall Hanne With.

Das skandinavische Modell – auch eins für Deutschland?

Diese Beispiele zeigen, dass die Verwandtschaftssuche ein entscheidendes Werkzeug ist, wenn herkömmliche Methoden an ihre Grenzen stoßen. Zugleich werden dadurch fundamentale Fragen insbesondere des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung berührt, die nicht zuletzt durch europäische Vorgaben geprägt sind. Damit stellt sich die Frage, ob und wie ein vergleichbarer Ansatz in Deutschland zu bewerten wäre.

Die gesetzlichen Regelungen in Schweden und Dänemark stellen eine legislative Antwort auf die Erfolge der forensischen DNA-Genealogie dar. Zwar ist der Zugriff auf kommerzielle Gendatenbanken für Ermittlungszwecke gestattet. Jedoch sind dabei strenge Vorgaben zu beachten. So ist in Schweden die Methode nur für Mord und schwere Sexualdelikte vorgesehen, in Dänemark daneben auch für Terrorismus oder andere besonders schwere Straftaten. Außerdem soll die forensische DNA-Genealogie nur als letztes Mittel - nach dem Scheitern traditioneller Ermittlungsmethoden - eingesetzt werden. In Schweden ist zusätzlich eine biogeographische Herkunftsanalyse erforderlich, die darauf hindeutet, dass die gesuchte Person aus einem Land stammt, in dem DNA-genealogische Recherchen deshalb erfolgversprechend sind, weil ausreichend Daten in kommerziellen Datenbanken vorhanden und Personenstandsdaten einsehbar sind.

Ethnische Herkunftsbestimmung in Deutschland untersagt

In Deutschland ist die DNA-Analyse in Strafverfahren durch die Strafprozessordnung geregelt, insbesondere durch die §§ 81e, 81g und 81h StPO. Gemäß § 81e StPO darf eine molekulargenetische Untersuchung zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters, der Abstammung und des Geschlechts vorgenommen werden. Zudem ist die Bestimmung von Haut-, Augen- und Haarfarbe sowie des Alters (sog. Phänotypisierung) zulässig.

Dagegen ist die Bestimmung der biogeographischen Herkunft einer Person in Deutschland derzeit nicht erlaubt. Die Diskussion darüber ist trotz eines investigativen Mehrwertes angesichts der Befürchtungen vor Diskriminierung sehr kontrovers. Ein Vorschlag zur Einführung wurde auf der 96. Konferenz der Justizministerinnen und -minister aufgrund eines Patts nicht angenommen.

Durch § 81g StPO wird die DNA-Analyse zur Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren erlaubt. Dabei werden die Daten beim Bundeskriminalamt (BKA) gespeichert. Die Analyse ist auf die reine Identitätsfeststellung und die Bestimmung des Geschlechts beschränkt. Rückschlüsse auf andere Merkmale, Persönlichkeiten oder das Aussehen sind nicht zulässig. 

Das BKA verwendet für die polizeiliche DNA-Analyse in Deutschland ausschließlich Sequenzen aus nicht-kodierenden Regionen der DNA, um eine eindeutige Identifizierung zu ermöglichen, ohne Rückschlüsse auf persönliche Eigenschaften zuzulassen.

BGH untersagte Nutzung von "Beinahe-Treffern" in DNA-Analyse

Eine weitere Hürde für eine etwaige Verwandtschaftssuche in Deutschland ist die Rechtsprechung des BGH. In einem wegweisenden Urteil vom 20. Dezember 2012 (Az. 3 StR 117/12) hat dieser die Nutzung von sogenannten "Beinahe-Treffern" aus DNA-Reihenuntersuchungen (geregelt in § 81h StPO) zum Rückschluss auf eine Verwandtschaft explizit untersagt. Ein wesentliches Argument des BGH war, dass Nichtbeschuldigte einen Gentest verweigern dürfen, wenn sie damit Verwandte belasten könnten (§ 81c Abs. 3 StPO).

Diese restriktive Rechtsprechung ist tief im deutschen Verfassungsrecht verankert, insbesondere im Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses Recht, das sich aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ableitet, gewährleistet dem Einzelnen die Befugnis, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen. Genetische Informationen gelten als besonders schützenswert, da sie nicht nur den Einzelnen, sondern auch seine biologischen Verwandten betreffen und weitreichende Rückschlüsse ermöglichen. Die Verwandtschaftssuche würde somit in das informationelle Selbstbestimmungsrecht einer Vielzahl von Personen eingreifen, die selbst nicht verdächtig sind, aber deren genetische Daten über einen Verwandten zugänglich werden.

Europarecht setzt enge Grenzen

Neben den nationalen verfassungsrechtlichen Vorgaben ist das europäische Datenschutzrecht von entscheidender Bedeutung. Dabei ist insbesondere die Richtlinie (EU) zum Datenschutz bei der Strafverfolgung 2016/680 (LED) maßgeblich. Danach müssen Daten nicht nur rechtmäßig und auf faire Weise verarbeitet werden, sondern sie dürfen auch nur für festgelegte, eindeutige und rechtmäßige Zwecke erhoben und verarbeitet werden (Zweckbindung) und müssen für die Zwecke der Verarbeitung auf das notwendige Maß beschränkt sein (Datenminimierung). 

Außerdem enthält die LED spezifische Regelungen für die Verarbeitung sensibler – also auch genetischer – Daten (Art. 10 LED). Die Verarbeitung solcher Daten ist grundsätzlich untersagt, es sei denn, sie ist unbedingt erforderlich und es bestehen geeignete Garantien für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Person. Eine gesetzliche Ermächtigung zum Zugriff auf solche Datenbanken muss auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen (Erwägungsgrund 29 der LED). Angesichts der Sensibilität genetischer Daten und der weitreichenden Implikationen für eine Vielzahl unbeteiligter Personen sind hier äußerst strenge Anforderungen zu stellen.

Das Schweizer Modell als Alternative?

Die Erfolge der forensischen DNA-Genealogie bei der Aufklärung schwerster Verbrechen sind unbestreitbar. Gleichwohl ist der Schutz der informationellen Selbstbestimmung, insbesondere im Hinblick auf genetische Daten, ein hohes Gut, das nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden darf. Auch die Sorge vor "Racial Profiling" und der Stigmatisierung von Bevölkerungsgruppen durch biogeographische Herkunftsanalysen ist ein hochsensibles Thema.

Bevor in Deutschland ein ähnlicher Weg wie in Skandinavien auch nur denkbar ist, bedarf es einer tiefgreifenden juristischen und gesellschaftlichen Debatte. Eine mögliche gesetzliche Regelung müsste entsprechend hohe Hürden aufbauen, um den Schutz der Grundrechte zu gewährleisten und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit streng zu beachten. Vielleicht wäre dabei auch ein Blick zum südlichen Nachbarn – in die Schweiz – hilfreich. Seit der Reform des DNA-Profil-Gesetzes im Jahr 2023 ist es Ermittlerinnen und Ermittlern in der Schweiz erlaubt, in nationalen staatlich kontrollierten DNA-Datenbanken nach Verwandten von Tatverdächtigen zu suchen. Das schließt die Nutzung kommerzieller Plattformen durch Schweizer Ermittler aus. 

Dieser Ansatz erlaubt es, die Vorteile der Verwandtschaftssuche zu nutzen, um lange ungelöste "Cold Cases" aufzuklären, bei denen traditionelle Ermittlungsansätze keine Ergebnisse lieferten, gleichzeitig aber die komplexen Datenschutz- und Einwilligungsfragen im Zusammenhang mit dem Zugriff auf private, kommerzielle Datenbanken zu vermeiden. 

Prof. Dr. Kai Cornelius ist Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches, Europäisches und Internationales Strafrecht, Strafprozessrecht und Digitalisierungsrecht an der Universität Hamburg. Er ist zudem Richter am Hanseatischen Oberlandesgericht.

Gastbeitrag von Prof. Dr. Kai Cornelius, 12. August 2025.

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