"Diktator nimmt Rache": Tichanowskajas Mann muss 18 Jahre in Haft

Schon vor der Urteilsverkündung gegen ihren Ehemann spricht die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja am Dienstagvormittag von einer "rechtswidrigen" Entscheidung. Dann, wenige Stunden später, steht die Strafe für Sergej Tichanowski fest: 18 Jahre Lagerhaft – unter besonders harten Bedingungen. Die belarussische Justiz wirft dem 43-Jährigen vor, "Massenaufstände" vorbereitet und organisiert zu haben.

Urteil aus politischem Kalkül

Doch Oppositionelle und Menschenrechtler sind überzeugt, dass hinter dem Urteil, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Gefängnis verlesen wurde, politisches Kalkül steckt – und Vergeltung für den Mut, sich gegen den autoritären Machthaber Alexander Lukaschenko aufzulehnen.

EU erkennt Lukaschenko nicht mehr als Präsidenten an

Tichanowski wollte ursprünglich bei der Präsidentenwahl im vergangenen Jahr gegen Lukaschenko kandidieren, wurde dann aber noch Monate vor der Abstimmung festgenommen. An seiner Stelle trat seine Frau Swetlana an, die nun mit Blick auf die Urteilsverkündung schreibt: "Der Diktator nimmt öffentlich Rache an seinen stärksten Gegnern." Viele Belarussen sehen die 39-Jährige als wahre Siegerin der Wahl. Auch die EU erkennt Lukaschenko nach der als gefälscht geltenden Abstimmung nicht mehr als Präsidenten an.

Weitere Verurteilungen

Neben Tichanowski wurden am Dienstag fünf weitere Männer zu vielen Jahren Freiheitsentzug verurteilt – darunter der prominente Oppositionspolitiker Nikolai Statkewitsch, der für 14 Jahre ins Straflager muss. Das Team des Politikers Viktor Babariko – er wurde bereits im Sommer zu 14 Jahren Lagerhaft verurteilt – kritisiert, dass alle Beschuldigten politische Gefangene seien.

Fall Maria Kolesnikowa sorgte für Entsetzen

Für besonderes Entsetzen in Deutschland hatte zuletzt auch der Fall von Babarikos Mitarbeiterin Maria Kolesnikowa gesorgt, die mehrere Jahre als Kulturmanagerin in Stuttgart gearbeitet hatte und für elf Jahre ins Straflager muss. Menschenrechtler sprechen von Hunderten politischen Gefangenen in belarussischen Haftanstalten.

Kritik von deutschen Politikern

Auch an den neuen Urteilen kam umgehend Kritik aus dem Westen: "Der Einsatz für Demokratie und Freiheit ist kein Verbrechen, sondern Menschenrecht", heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung der FDP-Menschenrechtsexpertin Gyde Jensen und des Grünen-Bundestagsabgeordneten Robin Wagener. Die Gerichtsentscheidung sei "brutale Willkür" Lukaschenkos. "Dieses Urteil spricht jeder Rechtsstaatlichkeit Hohn", sagte der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Der CDU-Abgeordnete Jürgen Hardt bezeichnete die Vorwürfe gegen Tichanowski und seine Mitangeklagten demnach als "absurd und erkennbar konstruiert". Der Linken-Politiker Gregor Gysi erklärte: "Lukaschenko irrt auch, wenn er glaubt, seine Macht so absichern zu können. Genau das Gegenteil wird er damit bewirken."

Brutales Vorgehen gegen friedliche Demonstranten

Der immer wieder als "letzter Diktator Europas" bezeichnete Lukaschenko steht im Westen auch deshalb in der Kritik, weil seine Sicherheitskräfte in den Monaten nach der Präsidentenwahl oft brutal gegen friedliche Demonstranten vorgingen. Zehntausende wurden damals festgenommen, Hunderte verletzt und mehrere Menschen getötet. Unter anderem deshalb verhängte die EU zahlreiche Sanktionen gegen die Ex-Sowjetrepublik, die nun noch abhängiger ist von der Rückendeckung Russlands als zuvor.

Tichanowskaja gibt sich kämpferisch

Swetlana Tichanowskaja, die kurz nach der Abstimmung nach Litauen floh und sich von dort weiter für die belarussische Demokratiebewegung einsetzt, betonte immer wieder, nicht aufgeben zu wollen. Auch nun gibt sie sich kämpferisch: Irgendwann komme der Tag, an dem sie ihren geliebten Mann wiedersehe, sagt sie in einer Videobotschaft – an der Wand hinter ihr hängt ein Bild von Sergej. "Und alles, was ich mache, mache ich für diesen Moment."

Auch Tichanowskaja zu Fahndung ausgeschrieben

In der Haft besuchen können wird Tichanowskaja ihren Mann, mit dem sie zwei gemeinsame Kinder hat, in den kommenden Jahren wohl nicht: In ihrer Heimat ist sie nach ihrer Flucht zur Fahndung ausgeschrieben worden. Im Fall einer Rückkehr drohen auch ihr viele Jahre Straflager.

Redaktion beck-aktuell, Hannah Wagner, 15. Dezember 2021 (dpa).