BVerwG: Regionale IHKs können aus DIHK austreten
Seit Ende Dezember 2020 liegt die schriftliche Begründung des sogenannten DIHK-Urteils (NJW 2021, 406) vor. Darin hat das BVerwG festgestellt, dass der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) kein allgemeinpolitisches Mandat hat und Mitglieder der regionalen IHKs den Austritt ihrer IHK aus dem DIHK verlangen können.
BVerwG-Urteil auf BRAK nicht anwendbar
Laut BRAK hat das Urteil die Selbstverwaltung insgesamt in den Vordergrund gerückt. Konkret behandele es die Themen Pflichtmitgliedschaft und Reaktionen auf Überschreitungen des Aufgabenbereichs einer Dachorganisation. Der DIHK sei der privatrechtlich als Verein konstituierte Dachverband der Industrie- und Handelskammern, dessen Aufgabenbereich frei durch seine Satzung geregelt ist. Die BRAK sei als Dachorganisation der in ihr gemäß § 175 BRAO zusammengeschlossenen 28 Rechtsanwaltskammern demgegenüber eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 176 Abs. 1 BRAO) und habe, anders als der DIHK, einen klaren gesetzlich verankerten Aufgabenbereich. Dieser sei in § 177 BRAO normiert. Das Urteil des BVerwG sei aufgrund dieses klaren, gesetzlich verankerten Aufgabenbereichs auf die BRAK nicht anwendbar.
Gesetzentwurf: DIHK soll Körperschaft des öffentlichen Rechts werden
Allerdings liege gegenwärtig ein Gesetzentwurf vor, mittels dem der DIHK (bisher eingetragener Verein) in eine Körperschaft des öffentlichen Rechts unter Rechtsaufsicht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie umgewandelt werden soll. Vorgesehen sei eine Konkretisierung des Aufgabenbereichs in § 10a IHKG-E. Der Regierungsentwurf sehe dabei ausdrücklich vor, dass stets die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen sind (§ 1 Abs. 1 IHKG-E).
Austrittsanspruch aus Dachverband soll gesetzlich ausgeschlossen werden
Als besonders bedeutsam erachtet die BRAK die Regelung in § 11a Abs. 3 IHKG-E, wonach sowohl die Industrie- und Handelskammern als auch deren Kammerzugehörige gegenüber dem DIHK einen Anspruch auf Unterlassung haben, soweit der DIHK die gesetzlichen Kompetenzen nach § 10a IHKG-E überschreitet. Über die Klage würde dann das zuständige Verwaltungsgericht entscheiden. Diese Regelung geht laut Begründung des Regierungsentwurfs auf die DIHK-Entscheidung des BVerwG zurück. Denn dieses habe auf die Grundrechtsrelevanz der Mitgliedschaft für IHKs in der Dachorganisation für die gesetzlichen Mitglieder der IHKs hingewiesen. Insgesamt wolle der Gesetzgeber die Aufgabenerfüllung der IHKn auf Bundesebene dauerhaft sichern und einen Austrittsanspruch aus dem Dachverband durch Gesetz ausschließen, erläutert die BRAK. Dies würde die Probleme des DIHK, die dieser durch das Urteil des BVerwG hat, dauerhaft lösen.
Auswirkungen auf die BRAK?
Einen solchen "Durchgriff" sogar des einzelnen Kammerzugehörigen auf den Dachverband kennt die BRAO nicht. Zu möglichen Auswirkungen des Gesetzentwurfs auf die BRAK merkt diese zunächst an, dass auch sie gemäß § 176 Abs. 1 BRAO eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist. Der Gesetzgeber habe mit dieser Entscheidung bewusst die in § 175 BRAO verankerte Zweckbestimmung der BRAK als Dachorganisation der RAKn und Rechtsanwälte gestärkt, um eine sachgemäße Aufgabenerfüllung zu ermöglichen. Mit der Errichtung der BRAK habe der Gesetzgeber bewusst eine Entscheidung zur Sicherung der anwaltlichen Berufsfreiheit getroffen. Die Interessenvertretung der Gesamtheit der Anwaltschaft durch eine Selbstverwaltungskörperschaft sei eine organisatorische Maßnahme zur Wahrung der Staatsferne, die notwendig sei, um die anwaltliche Unabhängigkeit zu gewährleisten. Dies erschöpfe sich nicht in der Aktivierung verwaltungsexternen Sachverstands und einem Mitspracherecht. Essentiell seien vielmehr die Distanz zum Staat und die Abwehr jedweder staatlichen Einwirkung auf die anwaltliche Unabhängigkeit, damit der Rechtsanwalt die Interessen seines Mandanten frei von staatlicher Kontrolle und Bevormundung vertreten kann. Das habe auch und gerade seinen Niederschlag in dem gesetzlichen Aufgabenbereich der BRAK nach § 177 BRAO gefunden.
Anwaltschaft als Organ der Rechtspflege
Anwaltliche Tätigkeit diene dem Interesse der Mandanten, gleichzeitig seien Anwälte aber auch in besonderem Maße dem Allgemeinwohl verpflichtet. Die freie und unabhängige Anwaltschaft sei als Organ der Rechtspflege integraler Bestandteil des Rechtsstaates, betont die BRAK. Anwälte nähmen neben den Gerichten und der Staatsanwaltschaft eine eigenständige Funktion im Kampf um das Recht wahr, indem sie ihren Mandanten rechtliches Gehör verschaffen und Waffengleichheit vor Gericht herstellen. Die Anwaltschaft sei nicht zuletzt über die Beratungs- und Prozesskostenhilfe Garant für die Gewährleistung des Zugangs zum Recht, unabhängig von den jeweiligen finanziellen Verhältnissen des Mandanten. Ein Anwalt übe einen freien Beruf aus, kein Gewerbe. Rein ökonomische Aspekte spielen in der Rechtsberatung keine Rolle.
DIHK wirtschaftlichen Interessen und Gewerbetreibenden verpflichtet
Dagegen sei der DIHK auch nach dem Neuentwurf den wirtschaftlichen Interessen und Gewerbetreibenden verpflichtet, unterstreicht die BRAK. Der gesetzlich definierte Aufgabenbereich decke sich mit dem bisherigen Aufgabenfeld des DIHK unter Berücksichtigung des Urteils des BVerwG. Über die bisherige Rechtslage und Rechtsprechung hinaus gehe die in § 11 Abs. 3 Satz 1 IHKG-E vorgesehene Regelung: Danach hätten die Industrie- und Handelskammern sowie ihre Kammerzugehörigen gegenüber dem DIHK zukünftig einen Anspruch auf Unterlassung, soweit der DIHK die gesetzlichen Kompetenzen nach § 10a IHKG-E überschreitet. Bisher hätten Einflussnahmen des einzelnen Kammermitglieds auf die Tätigkeit des Dachverbands (unabhängig davon, ob dieser privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich konstituiert war) - wenn überhaupt - nur durch Inanspruchnahme der jeweiligen Kammer mit dem Ziel der Einwirkung auf den Dachverband ermöglicht werden können.
BRAK fordert Unterscheidung zwischen gewerblicher und freiberuflicher Selbstverwaltung
Weiter führt die BRAK aus, die Begründung des Regierungsentwurfs (S. 15) vergleiche den DIHK mit der BRAK. Diese Feststellung sei formal beziehungsweise institutionell zwar zutreffend. Aber: Sollte der DIHK - wie es der Regierungsentwurf vorsieht - eine Körperschaft des öffentlichen Rechts werden, müsse zukünftig zwingend zwischen gewerblicher und freiberuflicher Selbstverwaltung unterschieden werden, da es jedenfalls inhaltlich an der Vergleichbarkeit der Dachorganisationen fehle. Dies wäre entgegen der Begründung des Regierungsentwurfs eine grundlegende Neuerung. Die freiberufliche Selbstverwaltung sei durch eine homogene Mitgliederstruktur und wenige Interessenunterschiede gekennzeichnet, während die gewerbliche Selbstverwaltung aufgrund ihrer gruppenpluralen Organisation und ihrer weit gefächerten Aufgabenbereiche insbesondere weit weniger in den Rechtsstaat integriert sei als speziell die BRAK.
BRAK wehrt sich gegen Gleichstellung der Organe der Rechtspflege mit Gewerbetreibenden
Die anwaltliche Selbstverwaltung diene der Sicherung des Rechtsstaatsprinzips, indem sie sich für die Sicherung der anwaltlichen Freiheit vor staatlicher Einflussnahme und für die unabhängige Stellung der Anwaltschaft im demokratischen Rechtsstaat einsetze. Die Mitgestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen des Anwaltsberufs sei dabei eine der Kernaufgaben der BRAK. Damit nehme sie eine besondere Funktion im Rechtsstaat wahr, die mit anderen Berufsgruppen nicht im Ansatz vergleichbar sei. Anwälte übten einen freien, keinen gewerblichen Beruf aus, weil sie neben dem Sachverstand und der individuellen Beratung (dies ist das besondere Merkmal der Freiberuflichkeit) die für die Wahrung der Unabhängigkeit erforderliche Staatsferne herstellen. Dies sei das entscheidende Abgrenzungskriterium gegenüber anderen freiberuflichen Selbstverwaltungsorganisationen. Die gewerbliche Selbstverwaltung dagegen sei nicht erforderlich, um Staatsferne herzustellen.
Anwälte mit wesentlicher Funktion im Rechtsstaat
Im Gegenteil sei die Betonung der besonderen Wichtigkeit der Außenhandelsstellen, die sich im Regierungsentwurf mehrfach wiederfinde, ein Beleg für Staatsnähe. Bei einer an rein wirtschaftlichen Interessen orientierten Selbstverwaltung fehle die wesentliche Funktion im Rechtsstaat. Dieser Unterschied müsse - obgleich dieselbe Rechtsform mit ähnlichen Konstrukten (Stichwort: Rechtsaufsicht) gewählt wird - ausdrücklich festgehalten und herausgestellt werden. Die Organe der Rechtspflege könnten nicht mit Gewerbetreibenden gleichgestellt werden - auch nicht im Hinblick auf ihre Selbstverwaltung.
Weiterer Unterschied: Anwaltskammern zu Selbstverwaltung befugt
Darüber hinaus seien die Rechtsanwaltskammern zur Selbstverwaltung (Zulassung zur Anwaltschaft, Widerruf der Zulassung, Aufstellung, Überprüfung und Sanktionierung der Berufspflichten) befugt, so die BRAK. Bei den IHKs stehe eine vergleichbare Etablierung von Gewerbezulassung, Berufspflichten und deren Durchsetzung nicht in Rede. Auch dies zeige den erheblichen Unterschied zu einer gewerblichen Selbstverwaltung. Die freiberufliche Selbstverwaltung werde immer auf eine klare und eindeutige Abgrenzung achten und hinwirken.