Experten sehen Handlungsbedarf in Bezug auf Vielkläger im Sozialrecht

Auch Experten aus Politik, Praxis, Verbänden und Verwaltung sehen Handlungsbedarf im Zusammenhang mit dem Phänomen Vielkläger im Sozialrecht. Dies ist das Ergebnis eines digitalen Symposiums, das auf Einladung von Hessens Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) am 18.11.2020 stattgefunden hat. Gegenstand war die Gesetzesinitiative zur Einführung einer besonderen Verfahrensgebühr für Vielkläger im sozialgerichtlichen Verfahren.

Missbrauch der Kostenfreiheit

Die Verfahren vor den Sozialgerichten sind derzeit für Individualparteien gerichtsgebührenfrei, mithin kostenlos. "Kernelement des sozialen Rechtsstaats ist es, dass jede Bürgerin und jeder Bürger Rechtsschutz vor den Sozialgerichten suchen kann. Es ist besonders wichtig, dass diese Klagen kostenfrei sind", betonte Kühne-Hörmann. Niemand sollte davon abgehalten werden, seine Anliegen einem Gericht vorzutragen, weil kein Geld da sei. Doch die Kostenfreiheit habe zwei Seiten: Der Missbrauch der Kostenfreiheit von sozialgerichtlichen Verfahren durch Einzelne führe dazu, dass sich Bürger mit einem berechtigten Anliegen hintenanstellen müssten.

Einzelne Vielkläger

Die Zahlen sprächen für sich: Seit 2010 seien circa 20% der sozialgerichtlichen Verfahren in Hessen von etwa 1% der Rechtsschutzsuchenden betrieben worden. Allein 2.614 Verfahren seien auf acht Vielkläger zurückgegangen. Im Jahr 2019 habe ein spezieller Kläger 250 Verfahren vor dem Hessischen Landessozialgericht angestrengt, berichtete Kühne-Hörmann.

BSG-Präsident: Weiterer Daten über "Phänomen Vielkläger" erforderlich

Rainer Schlegel, Präsident des Bundessozialgerichts, verdeutlichte den Ansatz der Initiative aus Sicht der richterlichen Praxis: "Es geht um das Spannungsverhältnis zwischen niedrigschwelligem Rechtsschutz und der Abwehr missbräuchlicher Inanspruchnahme der Sozialgerichte." Der hessische Vorschlag thematisiere zu Recht ein verbreitetes Problem. "Es bedarf aber sicherlich noch der Ermittlung weiterer Daten über das Phänomen Vielkläger und des durch sie verursachten Aufwandes, um eine zielgenaue Lösung zu finden", betonte er.

Präsident des LSG Hessen: Sozialgerichtlicher Rechtsschutz zu schützen

Der Präsident des Hessischen LSG, Alexander Seitz, ergänzte: "Ich halte den Vorschlag in der hessischen Bundesratsinitiative für ausgewogen." Er berücksichtige einerseits das besonders wichtige Anliegen, auch wirtschaftlich schwachen Klägern jederzeit Zugang zu den Sozialgerichten zu gewähren. Zugleich sei der Vorschlag auf das wahrscheinlich in allen Bundesländern bestehende Bedürfnis gerichtet, die Sozialgerichtsbarkeit vor dem Missbrauch kostenloser Rechtsbehelfe zu schützen. Ein solcher Missbrauch gehe von Personen aus, die ihre ganze Kraft dafür aufwendeten, staatliche Institutionen aus Gründen zu beschäftigen, die mit einem berechtigten Rechtsschutzbegehren nichts zu tun hätten. Dieses Verhalten gehe letztlich zulasten all jener Kläger, die berechtigt um sozialgerichtlichen Rechtsschutz nachsuchten, betonte Seitz.

Gesetzesinitiative Anfang Dezember im Rechtsausschuss des Bundesrats

Der Gesetzesentwurf soll dazu beizutragen, die Ressourcen der Justiz zweckentsprechend einzusetzen. Dazu sollen diejenigen Verfahren, denen kein nachvollziehbares Begehren zugrunde liegt, reduziert werden, da die Belastung der Gerichte mit diesen Klagen enorm ist. Eine Eindämmung der beschriebenen Klageserien würde zu einer deutlichen Entlastung von Richtern und Serviceeinheiten auch deshalb führen, weil in den meisten Fällen die Beteiligten kaum noch in der Lage sind, die Vielzahl der von ihnen geführten Verfahren zu überblicken und durch eine Vielzahl von Folgeeingaben gerade die Serviceeinheiten erheblich beschäftigen, heißt es in der Mitteilung des hessischen Justizministeriums. Die hessische Gesetzesinitiative wird am 02.12.2020 endgültig vom Rechtsausschuss des Bundesrats beraten.

Redaktion beck-aktuell, 18. November 2020.