Zum ersten Thema hatte die CDU/CSU-Fraktion einen Antrag (BT-Drs. 20/4335) eingebracht. Darin fordert sie, Betriebsratsarbeit umfassend digital zu ermöglichen. Unter anderem plädiert sie für ein (rechtssicheres) Online-Wahlverfahren zu Betriebsratswahlen. Die Linksfraktion fordert in ihrem Antrag (BT-Drs. 20/6885) mit Blick auf die sinkende Tarifbindung von der Bundesregierung einen "Aktionsplan zur Stärkung der Tarifbindung".
Vorrang von Präsenz-Wahlen contra optionale Online-Wahlen
Aus Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) sollten rechtssichere Online-Wahlen immer nur als "dritte Option" neben Wahlen in Präsenz und der Briefwahl ermöglicht werden, aber keinesfalls als Ersatz. Betriebsratswahlen in Präsenz hätten einen unbestreitbaren Wert, die Demokratie im Betrieb erlebbar zu machen, die Beschäftigten im Moment der Stimmabgabe zusammenzubringen und der Auszählung beizuwohnen, sagte DGB-Vertreterin Isabel Eder.
Adél Holdampf-Wendel vom IT-Branchenverband Bitkom vertrat dagegen die Auffassung, dass die Durchführung von Online-Betriebsratswahlen in Unternehmen als zusätzliche Option im Betriebsverfassungsgesetz verankert werden müsse. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei mobiler Arbeit ist aus Sicht von Bitkom im Betriebsverfassungsgesetz bereits ausreichend geregelt. Eine Anpassung des Gesetzes sei diesbezüglich nicht erforderlich.
Die Chancen der Digitalisierung für die Arbeit der Arbeitnehmervertreter müssten ebenso wie die Möglichkeit zu Online-Wahlen, "dort, wo es sinnvoll ist", gewinnbringend genutzt werden, sagte Ludger Ramme vom Deutschen Führungskräfteverband (ULA). Dies gelte umso mehr für die Mitbestimmung der leitenden Angestellten. Aus Sicht seines Verbandes sollte das im Koalitionsvertrag vorgesehene Pilotprojekt mit den Sprecherausschuss-Wahlen gestartet werden, sagte Ramme. Es gebe schließlich bereits sichere und bei anderen bundesweiten Wahlen, die als Distanzwahlen durchgeführt wurden, ausreichend erprobte Software.
Online-Meetings statt Präsenzvorrang
Der Einzelsachverständige Christian Burtchen sieht in der Bevorzugung physischer Meetings sogar ein "ziemliches Problem". Gerade in Startups, Agenturen und Tech-Firmen wirke der Präsenz-Zwang nicht nur anachronistisch, sondern hindere auch Menschen daran, sich aktiver im Betrieb oder im Betriebsrat einzubringen, befand er. Die vorübergehenden Maßnahmen zu Zeiten der Pandemie mitsamt der Möglichkeit komplett digitaler Betriebs- und Betriebsratsversammlungen hätten gezeigt, dass ein unbedingtes Festklammern an der Präsenzpflicht oder auch deren Priorisierung nicht erforderlich sei. Betriebsräten sollte es daher freistehen, ihre Sitzungen - ohne den derzeit bestehenden Vorrang von Präsenzsitzungen - auch digital abzuhalten, verlangte Burtchen.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) hält einen generellen Präsenzvorrang nicht mehr für zeitgemäß. Es müsse in der Hand der Betriebspartner liegen, ob beispielsweise Präsenz- oder virtuelle Sitzungen Vorrang haben, oder ob dies für jeden Einzelfall von den Betriebspartnern entschieden wird. Holdampf-Wendel von der Bitkom sprach sich dafür aus, Online-Betriebsratssitzungen und Online-Betriebsversammlungen als gleichwertige Alternativen zu Präsenzformaten zu ermöglichen.
Mitbestimmungsrechte stärken
Betriebsräte stünden vor völlig neuen Herausforderungen, sagte der Einzelsachverständige Professor Peter Wedde von der Frankfurt University of Applied Sciences. Sie müssten auf der digitalen Ebene mit Beschäftigten kommunizieren. Gleichzeitig gebe es aber auch eine genauso große Gruppe von Beschäftigten, die weiterhin analog agieren wolle. "Betriebsräte müssen also ihre Power aufsplitten", sagte Wedde. Gerade bei den Sachmitteln für die digitale Betriebsratsarbeit stoße man aber an die Grenzen des aktuellen Betriebsverfassungsgesetzes. Laut Wedde gebe es noch immer Betriebsratsmitglieder, die sich mit den Arbeitgebern um ein Notebook streiten müssten. Es müsse aber normal sein, dass Betriebsräte über moderne Arbeitsmittel verfügen können.
Auch Christian Herzog vom Christlichen Gewerkschaftsbund sind nach eigener Aussage solche Fälle bekannt. Betriebsräte müssten die benötigten digitalen Möglichkeiten an die Seite gestellt bekommen. "Die Digitalisierung nutzt aber niemanden etwas, wenn ich im Betrieb keine digitale Infrastruktur habe", fügte er hinzu. Entscheidend sei es, die Mitbestimmungsrechte zu stärken. Als ein "Riesenproblem" bezeichnete Herzog die Frage der Datensicherheit. Das Vertrauen in die Infrastruktur der Arbeitgeber sei "nicht immer hoch". Folge davon sei, dass sich Betriebsräte außerhalb des Arbeitgebers in digitalen Gruppen wie WhatsApp zusammenschließen würden.
Aus Sicht der Bitkom ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei mobiler Arbeit im Betriebsverfassungsgesetz bereits ausreichend geregelt. Eine Anpassung des Gesetzes sei diesbezüglich nicht erforderlich.
Stärkung der Tarifbindung: Staatliches Handeln contra Eigenverantwortung der Sozialpartner
Auf die aktuelle Studienlage zum Thema Tarifbindung und Lohnhöhe wies Helena Bach vom Institut der Deutschen Wirtschaft hin. Darin werde die Frage aufgeworfen, ob eine Ausweitung der Reichweite von Tarifverträgen überhaupt ein effektives Instrument ist, um höhere Löhne durchzusetzen. Wenn Lohnunterschiede hauptsächlich auf strukturellen Faktoren wie der Betriebsgröße oder dem Humankapital von Beschäftigten beruhten, stelle eine Ausweitung der Tarifbindung nicht den richtigen Ansatzpunkt dar. Zudem deuteten die Befunde an, dass im Wettbewerb um das zukünftig immer knapper werdende Angebot an Arbeitskräften sich bestehende Lohnunterschiede auch ohne staatliches Eingreifen verkleinern dürften, so Bach.
Der Einzelsachverständige Professor Thorsten Schulten sieht hingegen einen großen Handlungsbedarf mit Blick auf die Tarifbindung. In vielen anderen europäischen Staaten sei die Tarifbindung viel größer als in Deutschland. Grund dafür seien politische Formen der Unterstützung des Tarifvertragssystems durch Allgemeinverbindlichkeitserklärungen oder ähnliche Instrumente. Auch wenn noch auf das Bundestariftreuegesetz gewartet werde, zeigten Erfahrungen in einzelnen Bundesländern, dass in einigen Sektoren die Tariftreuevorgaben in öffentlichen Sektoren dazu beitragen, Tarifbindung zumindest zu stabilisieren, sagte Schulten.
Nach Auffassung des DGB ist es Aufgabe des Staates, aktiv zu einer Stärkung der Tarifbindung beizutragen, um so die notwendigen Rahmenbedingungen für gute Arbeit und fairen Wettbewerb zu schaffen. Daher brauche es ein Bundestariftreuegesetz für die öffentliche Auftragsvergabe und die Bewilligung staatlicher Fördermittel - ebenso wie die Abschaffung von sogenannten "Ohne-Tarif"-Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden.
Auch aus der Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) ist die Stärkung der Tarifbindung ein wichtiges Anliegen. Vorschläge, wie dies gelingen kann, sollten aber auf die Eigenverantwortung und die Expertise der Sozialpartner setzen, sagte BDA-Vertreter Thomas Prinz. Die Tarifbindung sollte also vor dem Hintergrund der durch das Grundgesetz vorgegebenen Rechtslage durch die Tarifvertragsparteien selbst gestärkt werden.