Digitalausschuss: Starke Kritik an EU-Plänen zur Chatkontrolle

Der Digitalausschuss hat sich am 01.03.2023 in einer Anhörung mit den Plänen der Europäischen Kommission zur "Chatkontrolle" im Kampf gegen die Online-Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen von Kindern und Jugendlichen befasst. Die Mehrheit der Experten machte deutlich, dass ihnen die Pläne, die unter anderem den Einsatz von Technologien wie Client-Side-Scanning (CSS) vorsehen, zu weit gehen.

Chaos Computer Club kritisiert "nie dagewesene Überwachungsinfrastruktur"

Teil der geplanten Verordnung ist, dass private Kommunikation und Cloudspeicher auf Anordnung durchsucht werden können. Unter den Verordnungsentwurf fallen drei Arten von sexualisiertem Missbrauch, etwa Missbrauchsdarstellungen, bislang unbekanntes Material, aber auch das sogenannte Grooming, also die gezielte Kontaktaufnahme zu Minderjährigen in Missbrauchsabsicht. Die Sprecherin des Chaos Computer Clubs meinte, der Verordnungsentwurf verfehle grundsätzlich das Ziel, Kindesmissbrauchsdarstellungen entgegenzutreten. Es liege eine "krasse Überschätzung von Fähigkeiten von Technologien" zugrunde, insbesondere was das Erkennen von unbekanntem Material angehe. Der Entwurf stelle eine noch "nie dagewesenen Überwachungsinfrastruktur" dar. Bei einer Fehlerrate von 1% und einer Milliarde Nachrichten am Tag könnten zehn Milliarden Falschmeldungen entstehen. Durch den Entwurf werde zudem eine Ausweispflicht im Internet nötig. Zu bedenken sei, dass Netzsperren zu "Zensurtools sondergleichen" werden könnten.

EU-Pläne gehen selbst Cybercrime-Ermittlern zu weit

Die European Digital Rights-Vereinigung forderte die Rücknahme des Verordnungsvorschlags. Er unterminiere den Datenschutz von privater Kommunikation in Mails, Chats oder von Fotos in der persönlichen Cloud. Dem schloss sich auch der Verein für liberale Netzpolitik (LOAD) an. Die anlasslose und umfängliche Überwachung von Kommunikation und gespeicherten Inhalten sei unverhältnismäßig und stehe dem Recht auf Verschlüsselung entgegen. Selbst der Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen, Oberstaatsanwalt Hartmann, verwies darauf, dass ein so umfassender Eingriff wie mit der Verordnung geplant, nicht erforderlich sei. Vielmehr sollten die derzeit unzureichend aufgestellten Strafverfolgungsbehörden gestärkt werden, sodass auf Basis der Erkenntnisse serverseitiger Scans und den Ermittlungsverfahren selbst ausreichend Informationen generiert werden können.

"Schaden für die Privatsphäre aller Menschen wäre immens"

Hartmann begrüßte hingegen die Stärkung der europäischen Zusammenarbeit und auch die Meldepflicht für Anbieter. Rechtlich fraglich sei, ob und in welcher Intensität eigene Detektionsmechanismen angewandt werden können und sollen. Er plädiere dafür, dass sich diese auf das Wiedererkennen über Hash-basierte Verfahren begrenzten. Dem Kinderschutz sei nicht gedient, wenn die Verordnung später vor dem Europäischen Gerichtshof scheitere, betonte die Gesellschaft für Freiheitsrechte. “Der Schaden für die Privatsphäre aller Menschen wäre immens“. Die anlasslose Überwachung verletze den Wesensgehalt des Rechts auf Privatsphäre und könne damit durch keine Grundrechtsabwägung gerechtfertigt werden. So könnten auch Bilder von einvernehmlichem Sexting auf den Tischen von EU-Beamten und Strafverfolgungsbehörden landen. Im Hinblick auf die Netzsperren gab der Sachverständige zu bedenken, dass dies technisch nicht für einzelne Unterseiten einer Webseite möglich sei.

Auch Kinderschutzbund gegen anlasslose Chatkontrolle

Dass die Verordnung bei aller Kritik auch gute Seiten habe, betonte Joachim Türk vom Kinderschutzbund Bundesverband - er sei dankbar, dass eine öffentliche Debatte angestoßen werde. Auch unterstütze er die Einrichtung einer europäischen Behörde. Fatal sei es hingegen, wenn das Dunkelfeld der Taten im Bereich sexualisierter Gewalt gegen Kinder im Vertrauen auf Scans einer Künstlichen Intelligenz nicht weiter bearbeitet würde, da dies mühsam und teuer sei. Das Löschen sei wichtig, um den Dauerkreislauf des Materials zu durchbrechen, betonte Türk. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf vertrauliche Kommunikation seien Kinderrechte. “Diese Überzeugung macht es uns unmöglich, die anlasslose Chatkontrolle als Option zu akzeptieren“, resümierte auch dieser Sachverständige.

Redaktion beck-aktuell, 2. März 2023.